Wirtschaft, wie sie nicht im Buch steht

22.11.2003, 00:00 Uhr
Wirtschaft, wie sie nicht im Buch steht

© Fengler

Die Zwölftklässler zählen zu den 21 Oberstufenschülern am Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck, die ihre Freizeit ein Schuljahr lang auf „business@school“ verwenden. Mit diesem Patenschafts-Projekt bringt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group im sechsten Jahr Wirtschaft in die Schulen — momentan rund 60 in Deutschland und Österreich. Wirtschaft, wie sie nicht im Lehrbuch steht. In kleinen Gruppen untersuchen die Schüler den Aufbau eines großen Konzerns, danach eines Kleinbetriebs. Zuletzt soll jedes Team eine eigene Geschäftsidee entwickeln; die originellste wird dann ausgezeichnet.

„Riesen-Stress“

An den Wettbewerb im nächsten Sommer denken Matthias und Torsten noch nicht. Erst einmal sprechen sie jetzt über Umsatzentwicklung bei E.on, Tochtergesellschaften und Liberalisierung des Strommarkts. Einen „Riesen-Stress“ hatten sie mit diesem Auftritt hier, erzählen sie. In den vergangenen Wochen haben sich die vier Hersbrucker Teams regelmäßig nachmittags getroffen, Geschäftsberichte gelesen, am Computer die Powerpoint-Präsentation über „ihr“ Unternehmen gebastelt.

„Die sind hier wirklich außergewöhnlich motiviert“, flüstert einer der vier Anzugherren im Publikum und kreuzt auf seinem Bewertungsbogen freundliche Dinge an. Die Boston-Berater sind heute als Jury zu Gast und stellen knifflige Fragen, etwa, wo sich Aktienkäufe derzeit lohnen würden. „Knallharte Geschäftsmänner“, dachte Matthias zu Schuljahresbeginn. Aber dann fand er sie zunehmend netter. Hin und wieder telefonierten die Schüler mit ihren Beratern, holten sich Tipps. Eine Bilanz liest sich nun mal schlechter als ein Musikmagazin.

Als die Wirtschaftslehrerin Sylvia Liebl, die „business@school“ am Paul-Pfinzing-Gymnasium betreut, um Teilnehmer warb, sagte sich Matthias: „Das kann man immer mal brauchen.“ Fürs Vorstellungsgespräch, fürs Studium, überhaupt für den Alltag. Auch Sylvia Liebl lernt dazu: „Das Projekt weitet einem Lehrer den Blick dafür, was nach der Schule gefragt ist. Vortragstechnik, Teamarbeit — die Schüler lernen hier fürs Leben.“

Viel bekommen die Teilnehmer nicht für ihren Einsatz. Ein Zertifikat von den Beratern, Lob im Zeugnis und eine mündliche Eins von Lehrerin Liebl. Da soll noch mal einer sagen, Jugendliche interessierten sich nicht für Wirtschaftsfragen. Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft halten es 73 Prozent der 14- bis 24-Jährigen für „wichtig bis sehr wichtig“, über wirtschaftliche Themen informiert zu sein. Aber fast 60 Prozent stellen auch fest, keine Ahnung vom Börsengeschehen zu haben.

Die Schuld an dieser Wissenslücke kann man hin- und herschieben. Sylvia Liebl zum Beispiel meint, dass Wirtschaft in den Familien ausgeblendet wird. „Die Eltern verdienen das Geld, und das war es dann.“ Manche kriegen nicht mal mit, dass ihre Kinder — ohnehin nur in Bayern und Baden-Württemberg — „Wirtschaft und Recht“ als Schulfach haben, sagt sie. Die Schüler wiederum bemängeln die Theorielastigkeit der Lehrpläne. Betriebswirtschaft taucht sogar im Leistungskurs kaum auf. Und wenn, dann mit veralteten Daten, erzählen sie in Hersbruck.

Den Vater zum Lehrer

Sylvia Liebl hält volkswirtschaftliche Theorien im Unterricht für nötig. Aber sie räumt ein, dass ihr Fach von der Praxis lebt. Und dass Berührungsängste zwischen Schule und Geschäftswelt vorerst nur durch Zusatzprojekte schwinden können. Sie heißen „Schüler-Unternehmen“, „Planspiel Börse“ oder eben „business@school“. Matthias und seine vier Teamkollegen haben dabei schon jetzt gemerkt, dass Wirtschaft zum Greifen nahe liegt. In der nächsten Etappe, der Analyse eines Mittelständlers, wollen sie sich mit dem Bauunternehmen von Torstens Vater beschäftigen. Ohne jedes Schulbuch.

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