Wo der Politik ein Licht aufgeht

30.11.2007, 00:00 Uhr
Wo der Politik ein Licht aufgeht

© Kirch

Ortswechsel, kurz vor 9 Uhr: 50 Schritte und drei Glastüren weiter öffnet sich in diesem Augenblick die Pforte zum Andachtsraum des Deutschen Bundestags im ehemaligen Reichstagsgebäude. Eben hat wie immer das Kölner Domgeläut zur Morgenandacht geladen.

An diesem Mittwoch hat Stephanie Zwanger ihre Premiere. Die junge Pfarrerin aus Tübingen ist für ein Jahr von der württembergischen Landeskirche an den Sitz des Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche Deutschlands ausgeliehen worden. Sie gehört zu der jungen Theologengeneration, die das liturgische Handwerk nach den neuen Empfehlungen der Fachleute gelernt hat: Gestik, Sprache, Tonfall und Strahlkraft sitzen. Ihre Andacht ist bestens vorbereitet, so dass sie auch die vier Riedinger Sänger nicht überraschen können, die der Münchner CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler an diesem Tag in den Andachtsraum geschleust hat. Der Viergesang aus dem Chiemgau hatte tags zuvor Ludwig Thomas «Heilige Nacht» begleitet, die der leibhaftige Thoma-Nachfolger und CSU-Querkopf Gauweiler in einer szenischen Lesung vorgetragen hatte. Die Zuhörer sollen begeistert gewesen sein.

An diesem Morgen sitzt Gauweiler als einziger der 613 Parlamentarier und Parlamentarierinnen bescheiden in der letzten Stuhlreihe. Ein, zwei externe Besucher sind da und mehrere Bundestagsbedienstete. Die Riedinger Sänger künden von der jungfräulichen Geburt - hohe Theologie, tiefgehende Mystik erklingen da in vokalreicher bayerischer Mundart. Es folgt der Psalm 24 «Machet die Tore weit». Das Bibelwort «Alles zu seiner Zeit» sei zum Motto«Alles zu jeder Zeit» umgedeutet worden, mahnt die junge Theologin. Ihr direkter Vorgesetzter, Oberkirchenrat Volker Faigle, wird sie dafür später tüchtig loben.

Mitunter nutzen Abgeordnete den Raum, um hier in der Meditation Kraft für ihren Arbeitstag zu schöpfen. Der von dem Düsseldorfer Künstler Günther Uecker gestaltete Raum im Nordostflügel des Reichstags bildet mit seinem Dämmerlicht einen Kontrast zur lichtdurchfluteten Glas- und Betonarchitektur des Reichstagsgebäudes. Der Raum ist bewusst als interreligiöse Einrichtung angelegt. Wofür auch die Nürnberger CSU-Abgeordnete Renate Blank eintrat, als damals, noch in Bonn, vor dem Umzug nach Berlin ein spiritueller Ort im Reichstag gesucht wurde. Interreligiös sollte er deshalb angelegt sein, weil auch vier Abgeordnete muslimischen Glaubens im Parlament sitzen. Das Kreuz auf dem Altarblock aus Granit kann weggestellt werden. Eine steinerne Kante im Boden zeigt die Ostrichtung an und ermöglicht Betrachtern, beim Gebet in Richtung Mekka oder Jerusalem zu blicken. Allerdings kann sich niemand im Bundestag daran erinnern, dass schon jemals Muslime ihre Teppiche entrollt hätten.

Renate Blank, die dem neunköpfigen Kunstbeirat des Bundestags angehört, kann ein Lied von den Streitigkeiten um diesen Andachtsraum singen, den nicht nur Abgeordnete ihrer eigenen Fraktion lieber als Kapelle mit Ewigem Licht und unverrückbarem Kreuz gesehen hätten. Stattdessen wurden von Uecker sieben Holzbildtafeln mit Nägeln und Symbolen des Leidens an die grau verputzten Wände gelehnt. Renate Blank erinnert sich noch gut an eine Bemerkung des Mainzer Bischofs Karl Lehmann, der alle Einwände mit dem Argument wegwischte, wer in diesen Kunstwerken kein Kreuz sehe, sei nicht guten Willens.

Heute haben sich die kritischen Stimmen beruhigt. Und die Nürnberger Abgeordnete kann über die zum Teil harschen Vorwürfe lachen, die ihr damals für das Eintreten zu Gunsten eines Kunstwerkes gemacht wurden, das - wie auch der Andachtsraum - längst zur nicht mehr wegzudenkenden Institution im Reichstag geworden ist: Der umstrittene Trog mit der Erde und Pflanzen aus diversen Wahlkeisen hatte die Kritiker auf den Plan gerufen, weil der Künstler Hans Haacke sein Werk «Der Bevölkerung» gewidmet hat und damit die Schrift am Haupteingang zum Reichstags konterkarierte, wo es heißt «Dem Deutschen Volke». Sie sei als Abgeordnete schließlich der gesamten Bevölkerung verpflichtet, die eben nicht nur aus Deutschen bestehe, hatte Renate Blank damals ihr Eintreten für das Kunstwerk verteidigt. Längst hat sich die Aufgeregtheit darüber gelegt.

Und Ärger mit dem ausladenden Kunstwerk im Innenhof des Reichstags haben allenfalls die Gärtner des Bundestags, weil sich mittlerweile wuchernde Brombeerranken als Leitpflanze durchgesetzt haben. Aber vielleicht symbolisieren sie am trefflichsten die prekär-verschlungene bundesdeutsche Finanzsituation, die sich in dieser Sitzungswoche durch alle Ressort-Etats zog. Raimund Kirch, NZ

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