Zurück in das normale Leben

27.11.2008, 00:00 Uhr
Zurück in das normale Leben

© Chaffin

Endlich ist das Warten zu Ende, auf eine E-Mail, einen Anruf, ein Lebenszeichen. Ronnie Ross kennt das Gefühl, wenn man nicht weiß, ob der Liebste noch am Leben ist. «Manchmal war die Ungewissheit schlimm«, erinnert sich die 31-Jährige. Nicht nur für sie, sondern auch für Nate, den elfjährigen Sohn. Ehemann Jeffrey war bereits zum zweiten Mal im Irak eingesetzt, zuletzt als Scout. Er sei durch Bagdad und Baqbah patrouilliert, habe die Straßen nach «feindlichen Kämpfern« abgesucht. «Jeder erreicht dabei mal einen Punkt, an dem er nervös wird«, formuliert der 32-Jährige vorsichtig und gesteht damit indirekt gefährliche Situationen und eigene Angst ein.

Danach verfällt er aber sofort in den militärisch korrekten Jargon: «Wir sind gut ausgebildet und für jeden Notfall vorbereitet«, sagt Ross, der aus einer echten Soldatenfamilie kommt. Seine Mutter hat einen US-Soldaten geheiratet, die Großmutter lebt in Nürnberg.

Schon jetzt zeigten sich in dem Zweistromland Erfolge. «Die Lage im Irak hat sich bereits verbessert und wird sich noch weiter stabilisieren«, meint er. Ronnie schweigt bei diesen Worten. Sie ist nur glücklich, dass Jeffrey zurückgekommen ist, unversehrt.

Kameraden mit Krücken, Gipsverband und im Rollstuhl

26 Soldaten fehlen bei der Zeremonie, sie haben die Mission nicht überlebt. Mit ernster Miene lauschen die anwesenden Soldaten dem Lob ihrer Vorgesetzten. «Ihr wurdet umzingelt und von allen Seiten beschossen – aber dennoch habt Ihr Euch nicht versteckt«, hebt Generalleutnant Kenneth W. Hunzeker hervor. Die Soldaten hätten hart gearbeitet, um für die Menschen im Irak ein besseres Leben und eine bessere Zukunft zu schaffen.

Die eigene Zukunft sieht jedoch nicht bei allen zurückgekehrten GIs rosig aus. Zu den stramm stehenden Kameraden gesellen sich kurzzeitig die Verletzten, Männer im Rollstuhl, mit Krücken oder Gipsverband. Aber trotz ihrer womöglich lebenslangen Behinderungen sind sie stolz auf diesen Einsatz. Auch sie lassen sich diesen besonderen Tag nicht nehmen – und feiern nach der Heldenehrung in einem Riesen-Vergnügungszelt zwischen Rockmusik, Coca-Cola, Hotdogs und Hüpfburg mit. Schnell sollen die Soldaten wieder in ihr früheres Leben zurückfinden.

Wie in einem typisch amerikanischen Freizeitpark oder Supermarkt ertönen aus den Lautsprechern sogar Rezepte für das heutige Thanksgiving – eine Art Erntedankfest, das die Amerikaner traditionell mit der ganzen Familie begehen.

Auch dieser Dienstag gehört in den Rose Barracks der US-Armee in Vilseck nicht nur den Soldaten, sondern allen Angehörigen. Nate etwa, der Sohn von Ronnie und Jeffrey, genießt den Nachmittag.

Wie sehr gerade die Familien unter den Einsätzen leiden, weiß Daniel König nur zu gut. Der Oberpfälzer ist Präsident des deutsch-amerikanischen Freundschaftsprogrammes «Kontakt Vilseck«. Gemeinsam mit seinem amerikanischen Kompagnon Wolfgang Glowania läuft er durch die Reihen und begrüßt die Frauen und Kinder, die sein Club in den vergangenen Monaten betreut hat. «Niemand gibt die Belastung offen zu«, berichtet er. Aber im täglichen Umgang merke man den Stress, unter dem die Familien während des Auslandseinsatzes stehen, schon. Der Verein organisiert für die Angehörigen Ausflüge zu Kirchweihen, ins Schwimmbad Palm Beach oder nach Nürnberg, um ihnen ein bisschen Ablenkung zu verschaffen, erzählt König, der sehr viele amerikanische Freunde hat. «Das bleibt in einer kleinen Stadt wie Vilseck nicht aus«, meint er und fügt nachdenklich hinzu: «Bislang war noch keiner meiner Bekannten unter den Todesopfern, Gott sei Dank.«

Im Gegensatz zu John Bradford. Drei seiner Kameraden sind gefallen, der 30-Jährige spricht von seinen Brüdern. Sein eigenes Leben war ebenfalls immer wieder in Gefahr, besonders bei Einsätzen im Bagdader Stadtteil Sadr City, erzählt er offen. Auch er findet schnell zurück in die gängige Militärsprache. «Wir sind gut trainiert und ausgebildet«, fährt er fort. Die Sicherheitslage im Irak habe sich innerhalb der vergangenen 15 Monate doch erheblich zum Positiven gewandelt.

Den Sinn dieses Krieges stellt er also nicht in Frage: Heute sei er stolz, sehr stolz. Auch für Obamas angekündigten Kurswechsel hat er wenig Verständnis: Das müsse der Demokrat mit den Generälen abklären. Und so schnell, glaubt Bradford, kommt der Abzug sicher nicht.

Einer der wenigen Soldaten, die das anders sehen, ist Thomas Murphy. «Wir haben unseren Job gemacht«, findet er. Nun könne die irakische Polizei die Kontrolle übernehmen. Außerdem seien die Amerikaner künftig mehr in Afghanistan gefordert. Dreimal sei er im Irak und auch in Afghanistan gewesen, erzählt er mit einer Dose Pepsi in der Hand. Kein Wunder, dass er sich bei diesen wiederholten Einsätzen über jede Rückkehr besonders freut. «Manchmal war es besonders schlimm«, räumt der First Class Sergeant (SFC) ein. Das letzte Drittel des Einsatzes hat er vor allem Städte kontrolliert: «Da war viel los«, erinnert er sich.

Seit zwölf Jahren ist der 32-Jährige, der aus Charleston/South Carolina stammt, in der Armee. Im Urlaub, der jetzt allen Heimkehrern bevorsteht, will er sich mit seiner Frau erst einmal Deutschland angucken. Dafür hatte er bislang keine Zeit. Mitte Juli 2007 sei er in Grafenwöhr angekommen. Und dann, sagt Murphy, ging es sofort in den Irak.

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