Elektroantrieb auf die schlaue Art

3.5.2019, 15:24 Uhr
Elektroantrieb auf die schlaue Art

© Hersteller

Neuruppin funktioniert noch nicht, und deshalb haben wir jetzt ein Problem. Kein wirklich essenzielles, aber doch eines, das uns zu bedächtiger Fahrweise zwingt. Wir möchten nicht schneller als 120 km/h fahren, bittet uns die Referentin von Toyota Motor Europe, bevor wir - begleitet von den guten Wünschen des japanischen Botschafters Takeshi Yagi - zu unserer 285 Kilometer langen Wasserstoff-Fahrt von Berlin nach Hamburg aufbrechen.

Unterwegs tanken in Neuruppin ist also nicht möglich, und so legen wir mit dem Toyota Mirai ein eher gemächliches Tempo vor. Geräuschlos surren wir durch Berlin, leisten uns ab und an einen zackigen Ampelstart, der den Sportwagen auf der Nebenspur blass aussehen lässt, und gleiten schließlich relaxt über die A24 in Richtung Hansestadt. Als wir in die Parkgarage der Elbphilharmonie einbiegen, zeigt uns das Display noch 67 Restkilometer an, mit einer Tankfüllung hätten wir somit 365 Kilometer geschafft.

100 Wasserstoff-Tankstellen

Dabei könnte der 113 kW (154 PS) starke Mirai durchaus schneller, wenn er denn dürfte. 178 km/h Spitze schafft die wasserstoffbetriebene Limousine, komfortabel und lokal emissionfrei. Die Sache mit der noch nicht betriebsbereiten H2-Tankstelle zeigt aber auch die Crux auf: Zwar verdichtet sich das Netz an Wasserstoffstationen beständig, in Deutschland stehen aktuell 64 Stationen zur Verfügung, bis zum Jahresende sollen es 100 werden. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sei das eine "exzellente Situation", sagt Ferry M. Franz, Direktor des Berliner Office von Toyota Motor Europe. Trotzdem bleibt noch Luft nach oben, gerade im Hinblick auf Resteuropa. Schon südlich von Bozen sieht es ziemlich mau aus mit Tankmöglichkeiten.

Elektroantrieb auf die schlaue Art

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Einfach tanken

Schade, denn in den Augen vieler ist die Wasserstoff-Mobilität die vernünftigere Form des Elektroantriebs und der Batterietechnologie überlegen. Die Reichweite der H2-Fahrzeuge stellt sich langstreckentauglich dar, der Tankvorgang geht einfach vonstatten und nimmt nur wenige Minuten in Anspruch. Eine Tankkarte gilt für alle Stationen, zum Bezahlen muss der Kunde nicht einmal zur Kasse gehen.

Fast alles wie vom Verbrenner gewohnt also, und unkomplizierter als beim Akku-Stromer. Er wolle sich lieber nicht vorstellen, wie es aussieht, wenn 50.000 Urlauber mit ihrem batterieelektrischen Auto in die Ferien starten und sich dann nach 250 Kilometern an den Schnellladestationen stauen, sagt Heinrich Klingenberg, Geschäftsführer von hySolutions und als solcher nicht ganz unparteiisch, denn die Gesellschaft hat sich unter anderem den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft zum Ziel gesetzt.

Nur Wasser als Abfallprodukt

Wie ein batterieelektrisches Auto (Battery Electric Vehicle, kurz BEV) erfährt auch ein H2-Fahrzeug Antrieb von einem Elektromotor. Der benötigte Strom wird an Bord erzeugt, er entsteht durch die chemische Reaktion des betankten Wasserstoffs mit Sauerstoff in einer Brennstoffzelle (englisch Fuel Cell). Als Abfallprodukt entsteht nur Wasser, umweltschädliche Abgase wie CO2, Stickoxide (NOx) oder Schwefeldioxid (SO2) werden nicht emittiert.

Wie öko die Technologie tatsächlich ist, hängt freilich davon ab, wie der Wasserstoff gewonnen wird. Im buchstäblich grünen Bereich läuft die Zerlegung von Wasser und Sauerstoff (Elektrolyse) nur dann ab, wenn der dazu benötigte Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Hier tut sich ein weiterer Vorteil der H2-Technologie auf: Wasserstoff ist sehr gut dazu geeignet, überschüssige Energie aus Windkraft- oder Solaranlagen zu speichern.

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Noch keine validen Zahlen gibt es, was die CO2-Bilanz der Brennstoffzellenfahrzeuge im Vergleich zu batterieelektrischen Stromern und Autos mit Verbrennungsmotor betrifft. "Wir haben aber eine Ahnung, dass es gut für uns aussieht", sagt Sybille Riepe, Sprecherin von H2 Mobility. Das Joint Venture hat das Fraunhofer-Institut um eine "ehrliche Studie" gebeten, die Ergebnisse sollen in wenigen Wochen vorliegen.

Asiaten haben die Nase vorn

VW hat anno 2004 mit dem Touran HyMotion experimentiert, Ford mit dem Focus FCV Hybrid, Peugeot mit dem Quad Quark, Fiat mit dem Panda Hydrogen und Daimler mit seinen Necars oder der B-Klasse F-Cell. Wirklich serienfertige Fahrzeuge führen aber nur Toyota (Mirai), Honda (Clarity, nicht in Europa), Hyundai (Nexo) und Mercedes (GLC F-Cell) im Programm. Hyundais Schwestermarke Kia will nächstes Jahr mit einem eigenen Brennstoffzellenmodell nachziehen. Die meisten anderen Hersteller halten sich hingegen bedeckt in Sachen Wasserstoff. Vielmehr sei der Batterieantrieb "auf absehbare Zeit die beste und effizienteste Möglichkeit für weniger CO2 im Straßenverkehr", hat VW-Chef Herbert Diess in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" erklärt.

Die Zeit drängt

Den Autobauern sitzt die Zeit im Nacken. Der CO2-Ausstoß von Neuwagen muss bis 2021 auf 95 g/km sinken und davon ausgehend bis 2030 um weitere 37,5 Prozent. Als Zwischenziel hat die EU bis 2015 eine Minderung um 15 Prozent verordnet. Davon ist man noch weit entfernt, zuletzt lagen die Emissionen bei durchschnittlich 118,5 Gramm. Es muss also schnell gehen, für intensive Entwicklungsarbeit an der Brennstoffzelle bleibt keine Zeit. Stattdessen fokussieren sich die Hersteller auf das BEV, das im Übrigen auch klar von der Politik favorisiert wird.

Das eher verhaltene H2-Engagement spiegelt sich auch in den Aktivitäten des Hydrogen-Councils wieder, dem 53 Unternehmen (u. a. Audi, BMW, Shell) angehören. Ihr Gesamtumsatz liegt bei fast zwei Trillionen (!) Euro pro Jahr, von denen aber nur drei Milliarden jährlich in die Wasserstofftechnologie investiert werden.

Toyota ist dennoch fest entschlossen, der Brennstoffzelle zum entscheidenden Durchbruch zu verhelfen. Bereits 1996 begannen die Japaner mit ihren H2-Aktivitäten, exakt in dem Jahr, in dem auch der erste Prius auf den Markt kam. Für den Hybriden wurde Toyota zunächst belächelt. Heute führt die Marke 21 Hybridmodelle im Programm und blickt auf über 13 Millionen weltweit verkaufter "HEVs" zurück. Mit deren Hilfe habe man 93 Millionen Tonnen CO2 eingespart, rechnet Ferry M. Franz vor und verweist gleichzeitig auf Toyota-Agenden wie die Earth Charta von 1992 und die Environmental Challenge, deren Ziel es ist, die CO2-Emissionen des Unternehmens bis 2050 auf Null zu drücken. Nach einer Studie der Unternehmensberatung PA Consulting gehört Toyota (neben Honda, Renault/Nissan/Mitsubishi und den als Nischenherstellern geltenden Volvo und Jaguar Land Rover) zu den Autobauern, denen 2021 keine CO2-Strafzahlungen drohen.

Elektroantrieb auf die schlaue Art

© Toyota

Anders als bei den meisten anderen Herstellern spielt für Toyota das batterieelektrische Auto nicht die zentrale Rolle, was klimafreundliche Zukunftsszenarien betrifft. Bis auf den Prius PHEV führt Toyota derzeit keinen Plug-in-Hybriden im Programm, ein reines BEV gibt es bislang überhaupt nicht. Zwar kommt 2020 ein erster Akku-Stromer auf den Markt, dem bis 2025 neun weitere folgen sollen. Deren Einsatzzweck sehen die Japaner aber vorzugsweise als Kurzstrecken-, Pendler- und Auslieferungsfahrzeuge, während man auf der Mittel- bis Langstrecke Brennstoffzellen-Pkw favorisiert. Auch in Lkws und Fernreisebussen soll die Fuel-Cell-Technologie zum Einsatz gelangen. Die Brennstoffzelleneinheit ("Stack") kommt dabei aus eigener Produktion.

Aufschlag bei Olympia

Unlängst hat Toyota über 5600 Patente rund um die Brennstoffzellentechnologie für die Konkurrenz freigegeben, man wolle den Weg für die alternative Antriebstechnik öffnen, heißt es. "Jeder Mitbewerber ist uns willkommen", sagt Ferry M. Franz dazu. Den ganz großen Fuel-Cell-Aufschlag plant Toyota anlässlich der Olympischen Spiele 2020 in Tokio machen, beim Heimspiel in Japan sollen publikumswirksam Brennstoffzellenbusse und -shuttles eingesetzt werden.

Der aktuelle, 78.600 Euro teure Mirai wird dann keine Rolle mehr spielen. Man merkt dem seit 2015 gebauten, 4,89 Meter langen F-Cell-Pionier an, dass er in die Jahre gekommen ist - die ehedem als futuristisch empfundenen Formen wirken inzwischen eher unschön, das Kofferraumvolumen (361 Liter) ist begrenzt, das Navi nimmt seine Arbeit träge auf und bleibt während unserer Fahrt rätselhaft schweigsam. Der Hyundai-Konkurrent Nexo ist klar das modernere und bessere Auto. Schon auf der Tokyo Motor Show im Oktober dürfte Toyota aber mit dem Nachfolger seines Wasserstoff-Pioniers gleichziehen. Auch er wird wieder Mirai ("Zukunft") heißen, auch er wird sich wieder als viertürige Limousine präsentieren. In der Länge aber legt der Mirai II noch einmal zu, sein Kofferraumvolumen wächst, statt vier finden fünf Personen Platz und auch die Reichweite steigt.

Im Vergleich zum noch aktuellen Modell soll der Produktionsausstoß auf 30.000 Einheiten pro Jahr verzehnfacht werden, eventuell bietet auch die feine Schwestermarke Lexus ein Derivat an.

Fuel-Cell von Audi?

Vielleicht bekommt die Brennstoffzellen-Technologie ja doch noch den Schwung, den sie verdient. Erst unlängst hat Bosch angekündigt, in die Serienfertigung von Stacks einzusteigen. Und auch Audi scheint dem Wasserstoffantrieb eine neue Chance zu geben. Einem Bericht des britischen Magazins "Autocar" zufolge soll Ingolstadt innerhalb des Volkswagen-Konzerns zum Kompetenzzentrum für Brennstoffzellen werden. Schon 2021 könnte ein erstes Modell serienfertig sein - und dann sicherlich auch in Neuruppin tanken können.

Ulla Ellmer

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