Wasserstoff: Die Lösung kommt aus Erlangen

19.12.2020, 17:52 Uhr
Wasserstoff: Die Lösung kommt aus Erlangen

© Hydrogenious

Geht es nach den Plänen vieler Regierungen, soll es mit fossilen Kraftstoffen in den nächsten Jahren oder zumindest Jahrzehnten vorbei sein. Es müssen also Alternativen her. Die derzeit favorisierte stellt die batterieelektrische Mobilität dar. In den Blickpunkt rückt aber auch das Fahren mit Wasserstoff (H2): Er reagiert in einer Brennstoffzelle mit dem Sauerstoff aus der Umgebungsluft, dabei entsteht Strom, der wiederum einen Elektromotor antreibt. Vorteil von Fuel-Cell-Autos: Sie sind schnell betankt und erzielen hohe Reichweiten.

Serienfertige Wasserstoff-Fahrzeuge gibt es aktuell noch sehr wenige. In Deutschland werden nur der Hyundai Nexo und der Toyota Mirai angeboten, von dessen – unlängst vorgestellter – zweiter Generation sich der japanische Hersteller eine deutliche Steigerung der Absatzzahlen verspricht. "Wir begrüßen alle Maßnahmen, die dafür sorgen, dass Wasserstoff mehr genutzt wird", sagt Firmensprecher Andreas Lübeck daher.

Eine solche Maßnahme könnte eine Technologie sein, die vom Erlanger Unternehmen Hydrogenious LOHC kommt. Dort hat man ein Verfahren entwickelt, das den Transport und die Lagerung von Wasserstoff deutlich entkompliziert.

Wasserstoff: Die Lösung kommt aus Erlangen

© Hyundai

Bei den derzeit üblichen Verfahren sind sehr hoher Druck oder extrem niedrige Temperaturen nötig, um das H2 auf sinnvollem Raum zu speichern. LOHC – Liquid Organic Hydrogen Carrier – geht anders vor: Vereinfacht gesagt, wird der Wasserstoff chemisch an ein Öl, einen sogenannten flüssigen organischen Wasserstoffträger, gebunden. Das dabei entstehende Produkt ist weder entflammbar noch explosiv, es lässt sich ohne hohen Sicherheitsaufwand lagern und in großen Mengen transportieren. Am Ort der Endanwendung wird der Wasserstoff wieder aus dem "Gemisch" herausgelöst und, beispielsweise, dazu genutzt, um Brennstoffzellenfahrzeuge zu betanken.

Die Infrastruktur ist schon da

Der Transport erfordert keine Spezial-Lkws oder -Schiffe, die gasförmigen Wasserstoff bei hohem Druck oder flüssig im tiefkalten Zustand befördern können. Stattdessen lässt sich das chemisch gebundene H2 auch in Tanklaster füllen, die üblicherweise Heizöl, Benzin oder Diesel an den Ort ihrer Bestimmung bringen. Und das Produkt kann in jenen Tanks bevorratet werden, die Zapfstationen jetzt schon vorhalten. Heißt: Für Transport und Lagerung reicht die bereits bestehende Infrastruktur aus; Tankstellen müssten nur mit einer LOHC Ausspeicheranlage sowie einem kleinen Wasserstoffzwischenspeicher ausgestattet werden.

Grüner Wasserstoff für Mitteleuropa

Der wichtigste Öko-Pluspunkt ergibt sich aber in anderer Hinsicht. Die Herstellung von Wasserstoff per Elektrolyse – Wasser wird unter Zufuhr von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten – ist sehr energieintensiv. "Aus ökologischer Sicht muss man sich also fragen, wo der reichlich benötigte Strom denn herkommt", sagt Lederer. Die Antwort: Idealerweise aus regenerativen Energiequellen. Anders als das verhältnismäßig wind- und sonnenarme Deutschland bieten andere Regionen hier bessere Voraussetzungen. Denkbar wäre es also, die Wasserstoffproduktion in Spanien oder auf dem afrikanischen Kontinent (Stichwort Sonnenenergie) stattfinden zu lassen, vor Ort könnte das chemisch gebundene H2 gespeichert und schließlich nach Mitteleuropa zum Endabnehmer transportiert werden, in Zukunft möglicherweise sogar mit Brennstoffzellen-Lkws.

Wasserstoff: Die Lösung kommt aus Erlangen

© Linde

Bei dem genannten Szenario kann LOHC auch seinen Kostenvorteil am effektivsten ausspielen, der sich eben vor allem dann ergibt, wenn der Wasserstoff gelagert und über längere Distanzen hinweg transportiert werden soll – was, des geringeren (sicherheits-)technischen Aufwands wegen, günstiger kommt als bei konventioneller H2-Speicherung und Beförderung.

Spin-Off aus der Uni

Chef von Hydrogenious ist Daniel Teichmann (37), der sich bereits im Rahmen seiner Promotion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) mit der Thematik der Wasserstoffspeicherung beschäftigt hat. Als Spin-Off der Uni gründeten Teichmann und einige Professoren im Jahr 2013 die Hydrogenious LOHC Technologies GmbH, wo das Verfahren weiterentwickelt, kommerzialisiert und der Vermarktung zugeführt wurde. Für die Technologie hat Teichmann den Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft gewonnen und ist 2020 mit dem Innovation Radar Prize ausgezeichnet worden.

Wasserstoff: Die Lösung kommt aus Erlangen

© Hydrogenious

"LOHC ist in aller Munde", sagt Andreas Voß, der bei Air Liquide – einem französischen Hersteller technischer Gase – die Unternehmenskommunikation leitet. Die Technologie sei etwas, das man sich tatsächlich "wohlwollend anschauen" solle. Manches müsse man allerdings auch bedenken: Die Frage der Wirkungsgradverluste beispielsweise, wie sie bei allen chemischen Prozessen entstehen. Beim LOHC-Verfahren finden gleich zwei davon statt: Einmal die Einspeisung des Wasserstoffs ins Öl, und später dann die Ausspeisung.

Die beim chemischen Binden des Wasserstoffs entstehende Wärme könne vor Ort sinnvoll verwendet werden, entgegnet Marko Lederer. Konkrete Ansatzpunkte würden derzeit ausgearbeitet. 

Für den Langstrecken-Transport von Wasserstoff werden derzeit noch andere Möglichkeiten in Erwägung gezogen. So denkt man beispielsweise darüber nach, Erdgas-Pipelines entsprechend umzuwidmen.

Bereits im Einsatz

Während es sich hierbei noch um Zukunftsmusik handelt, wird das LOHC-Verfahren bereits eingesetzt. Schon 2016 wurde im Rahmen eines Förderprogramms eine LOHC-Freisetzungsanlage nach Stuttgart zum Fraunhofer Institut ausgeliefert, wo man den freigesetzten Wasserstoff über eine Brennstoffzelle rückverstromt hat, um schlussendlich in einem Parkhaus Elektroautos zu laden. Ein US-Unternehmen, bei dem Wasserstoff als industrielles Nebenprodukt anfällt, wendet die LOHC-Technologie ebenfalls an. Der gespeicherte Wasserstoff wird anderorts von Kunden genutzt. In Finnland befindet sich eine H2-Tankstelle im Aufbau, für die Hydrogenious die Anlagen liefert. Und im ersten Halbjahr 2021 soll in Erlangen eine von der Gesellschaft H2 Mobility betriebene Tankstelle entstehen, die von Hydrogenious mit "grünem" Wasserstoff beliefert wird – produziert in der hauseigenen Elektrolyse, mit Strom, den eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach bereitstellt. An der Tankstelle wird der Wasserstoff platzsparend in unterirdischen Tanks gelagert.

Wichtige Kunden sieht das Erlanger Unternehmen perspektivisch in der chemischen-, aber ebenso in der Stahlindustrie, die bekanntlich mit grünem Wasserstoff als Energieträger klimafreundlich werden will. Und auch die Autobranche zeigt bereits Interesse: Der koreanische Hersteller Hyundai ist im Mai 2020 bei Hydrogenious LOHC eingestiegen.

Ulla Ellmer