Auch ohne Abi an die Uni ? Klar, das geht !

6.3.2015, 09:55 Uhr
Auch ohne Abi an die Uni ? Klar, das geht !

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Herr Klinger, in der Debatte um den Hochschulzugang rückt der Begriff „Dritter Bildungsweg“ immer mehr ins Blickfeld. Was genau ist damit gemeint?

Ansgar Klinger: Dritter Bildungsweg bedeutet, dass jemand ein Studium aufnimmt, ohne zuvor ein schulisches Abitur oder Fachabitur – sei es direkt oder nach einer Ausbildung auf dem sogenannten Zweiten Bildungsweg – abgelegt zu haben. Grundlage dafür ist ein Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder aus dem Jahr 2009, der beruflich qualifizierten Bewerbern ein fachgebundenes Studium ohne die übliche schulische Hochschulzugangsberechtigung viel leichter ermöglicht, als das zuvor der Fall war.

 

Und was braucht man, um ein Studium ohne Abi anfangen zu können?

Ansgar Klinger: Das ist in jedem Bundesland etwas anders geregelt. In Bayern zum Beispiel braucht man ein Meisterzeugnis, das Zeugnis einer beruflichen Fortbildungsprüfung oder das Abschlusszeugnis einer öffentlichen oder staatlich anerkannten Fachschule, Fachakademie oder Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie. Alternativ gilt auch die Kombination aus abgeschlossener Berufsausbildung, mindestens dreijähriger Berufstätigkeit, einem Beratungsgespräch an der Hochschule und eventuell einer bestandenen Aufnahmeprüfung.

 

Was will man damit erreichen, dass man den Hochschulzugang erleichtert?

Ansgar Klinger: Das soll ein deutliches Signal setzen: Berufliche Bildung allein ist nicht die Sackgasse, für die sie oft gehalten wird! Es kann weitergehen. Leistungswillige Leute mit beruflichem Abschluss können auch noch einen akademischen Abschluss machen.

 

Wie wird denn dieses Angebot angenommen?

Ansgar Klinger: Direkt nach dem Beschluss der KMK ist unter den Studienanfängern der Anteil der Leute, die auf dem Dritten Bildungsweg kommen, von zuvor etwa 1, 4 Prozent auf über 2 Prozent gestiegen. Zuletzt hat er sich allerdings bei etwa 2,6 Prozent eingependelt. Unter dem Strich kann man also sagen: Das Angebot wird bisher keineswegs besonders gut angenommen.

 

Woran liegt das?

Ansgar Klinger: Ich denke, es liegt vor allem daran, dass die Möglichkeiten, ohne Abitur zu studieren, noch viel zu wenig bekannt sind. Der Grund dafür könnte sein, dass das gesellschaftliche Interesse an dem Thema sehr gering ist. Es ist kein Thema, das ständig durch die Medien geistert und daher breit wahrgenommen wird.

 

Was würde dagegen helfen?

Ansgar Klinger: Zum Beispiel könnten die Hochschulen weitaus mehr um diese neuen „Kunden“ werben. Aber im Moment wollen und können sie das auch gar nicht, weil sie mit den hohen Studentenzahlen ohnehin überlastet sind. Wenn in ein paar Jahren die Zahlen wie erwartet sinken, dann werden die Hochschulen die beruflich Qualifizierten brauchen, um ihre Kapazitäten sinnvoll nutzen zu können. Und dann brauchen die Hochschulen eine Veränderung ihrer Kultur — von einer Jugend- in eine Erwachsenen-Kultur.

 

Wie meinen Sie das?

Ansgar Klinger: Dritter Bildungsweg bedeutet Folgendes: Da kommen keine Jugendlichen aus der Schule, sondern es kommen erwachsene Berufstätige, denen der Hochschulbetrieb an und für sich sehr fremd ist und die unter Umständen sogar nebenberuflich studieren. Darauf müssen sich die Dozenten wohl einstellen. Außerdem müssen die Hochschulen ihr Angebot an Teilzeitstudiengängen ausweiten. Und sie müssen mehr als bisher beruflich erworbene Kompetenzen wie Studienleistungen anerkennen.

 

Das sind jetzt alles eher formale Änderungen. Wie sieht es denn mit den Inhalten des Lehrangebots an den Hochschulen aus?

Ansgar Klinger: Da mag es in Einzelfällen Probleme mit dem Wissensstand geben. Dafür gibt es aber auch jetzt schon Vorkurse, in denen die beruflich Qualifizierten, wenn nötig, in speziellen Fächern auf den Stand von Abiturienten gebracht werden. Grundsätzlich erwarte ich kaum Probleme. Denn wer beruflich tätig war oder ist, der hat gelernt, strukturiert zu arbeiten. Das hat er vielen klassischen Abiturienten unter Umständen weit voraus.

 

Zum Schluss noch ein Blick voraus: Ein beruflich Qualifizierter, der ein Studium abschließt, wird in der Regel danach nicht nur eine bessere Bezahlung erwarten, sondern auch eine Tätigkeit, die seiner akademischen Qualifikation entspricht. Schon jetzt wird manchmal die zunehmende Akademisierung der Berufswelt beklagt. Wie halten Sie davon?

Ansgar Klinger: Das sehe ich nicht als etwas Beklagenswertes. Ich denke, es ist für unsere Volkswirtschaft nur vorteilhaft, wenn sie möglichst viele, möglichst gut qualifizierte Arbeitskräfte hat. Deshalb würde ich eher umgekehrt von einer Verberuflichung der Hochschulen sprechen. Ebenso lässt sich die Frage der Durchlässigkeit auch in die andere Richtung denken: Was muss ein Bachelor- beziehungsweise Master-Absolvent vollbringen, um einen Meistertitel zu erwerben?

 

Die Veranstaltung „Berufliche Bildung: Viele Wege führen zum Studium“ findet am Donnerstag, 12. März, um 16.30 Uhr im Bürowirtschaftlichen Zentrum (Berufliche Schule 9) in Nürnberg, Wieselerstraße 3 (Aula W018) statt (U-Bahn Linie 2, Haltestelle Schoppershof).

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