Drill und Demütigung: Früher war Schule viel strenger

29.8.2015, 08:00 Uhr
Drill und Demütigung: Früher war Schule viel strenger

© Fotos: Astrid Löffler

Senioren können ganz schön aufmüpfig sein. „Was soll ich über meinen ersten Schultag groß erzählen?“, fragt ein betagter Herr im Albert-Schweitzer-Senioren-Stift. „Wir sind doch alle mal zur Schule gegangen – an der Hand der Mutter und mit einem großen Ranzen auf dem Rücken.“ Ina Patraschko lässt sich nicht beirren und macht den Anfang: „Ich kann mich noch gut an meinen ersten Schultag erinnern. Ich war sehr schüchtern und musste Sachen anziehen, die mir überhaupt nicht gefallen haben.“

Eis gebrochen

Spätestens als Mathias Rösch, der Leiter des Schulmuseums, aufzeigt, wie stark sich Schule in den vergangenen 400 Jahren verändert hat, ist das Eis gebrochen. Fragen, etwa warum Schüler früher geschlagen wurden oder warum Lehrer im 19. Jahrhundert nicht von ihrem Gehalt leben konnten, verdeutlichen, dass es über das Thema eben doch viel zu sagen gibt.

Drill und Demütigung: Früher war Schule viel strenger

Ina hat als FSJlerin Kindergarten- und Schulkinder durch die Einrichtung in der Regensburger Straße geführt und für sie „historischen Unterricht“ gehalten. „Am Anfang fiel mir das total schwer“, erinnert sich die 18-Jährige. „Vor allem weil ich gar nicht so viel älter bin als die meisten Besucher, und die mich dann auch nicht so ernst genommen haben.“

Gleichzeitig hat Ina festgestellt, dass die 1906 gegründete Einrichtung kaum Angebote für die Generation 60 plus im Programm hat. Um das zu ändern, entwickelte Ina das Schultüten-Projekt. Zwei Monate hat die FSJlerin unter anderem darauf verwendet, eine kleine Ausstellung mit historischen Materialien zu konzipieren, individuelle Schultüten zu basteln und Altenheime anzuschreiben, ob sie sich an der Aktion beteiligen wollen.

Drill und Demütigung: Früher war Schule viel strenger

Im Albert-Schweitzer-Seniorenstift, in dem die Premiere stattfand, waren die Reaktionen der 13 Teilnehmer sehr unterschiedlich. Während manche erklärten, das alte Zeug interessiere sie nicht mehr und die Zeit sei vorbei, hatten andere große Freude, sich beispielsweise in alte Schulbücher wie „Mein Nürnberg“ zu vertiefen. Eine Seniorin fand bei der Gelegenheit sogar zufällig eine ehemalige Mitschülerin

Für die junge Generation ist es interessant zu hören, wie viele Wendungen so manche Schullaufbahn in den Vor- und Nachkriegsjahren genommen hat, etwa durch Umzug und Schulschließung. Auch fällt auf, dass die Bewohner des Seniorenstifts in Erlenstegen überwiegend aus gutem Haus kommen, etwa Kinder von Ärzten, Beamten, Pfarrern und Ingenieuren sind, und selbst oft eine ähnliche Karriere eingeschlagen haben. Ina beginnt indes im September eine Ausbildung als Veranstaltungskauffrau im K4 in Nürnberg. „Im FSJ habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht“, berichtet die 18-Jährige. Auch sei sie durch die Arbeit im Schulmuseum viel offener geworden und habe überhaupt erst herausgefunden, welcher Beruf sie interessiere. „Nach meiner mittleren Reife wusste ich zunächst gar nicht, was ich machen soll“, erzählt die 18-Jährige offen.

Drill und Demütigung: Früher war Schule viel strenger

Gefährliche Zeitreise

Den historischen Unterricht im Albert-Schweitzer-Seniorenstift übernimmt derweil Museumsdirektor Rösch. „Ich habe bewusst alles vermieden, was autoritäre Anklänge hat“, berichtet der Historiker nach der kurzen, gespielten Schulstunde. Schließlich hätten viele Menschen aus dieser Generation extremen Drill und so manche Demütigung erfahren. „Es ist gefährlich, das Gedächtnis durch Rollenspiele so stark anzuregen“, weiß Rösch.

Auch bei Ina hat sich vor allem eines eingeprägt: dass Schule früher sehr viel strenger war. „Wenn ich mir überlege, wie viel Freiheit wir heute haben, dann ist das schon ein großer Unterschied.“

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