Ein turbulentes Jahr in zwei Familien

6.2.2016, 10:00 Uhr
Ein turbulentes Jahr in zwei Familien

© privat

Drei Kinder behüten – am Strand der Cape Cod, eine Stunde von Boston im Bundesstaat Massachusetts entfernt. Klingt alles eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Doch bevor es zu meiner Gastfamilie geht, absolviere ich eine Woche lang eine Trainingsschool in New York. Dort lerne ich die unterschiedlichsten Au-pairs aus aller Welt kennen und knüpfe erste Freundschaften.

Dann startet das Au-pair-Abenteuer, und ich sitze da: in einem Auto voller durcheinander schreiender Kinder, mit Gasteltern und dem alten Au-pair auf dem Weg in das neue Zuhause. Und das Einzige, was man sich in diesem Moment nur denkt ist: Was reden die denn alle?

Erst mal angekommen gewöhnt man sich aber sehr schnell an den vollgestopften Wochenplan der amerikanischen Kinder. Von Montag bis Sonntag ist alles durchgetaktet, selbst das Essen. Jeder ist woanders, und ein treuer Begleiter bleibt immer: der Stress.

In der Früh versuche ich, drei nörgelnde Kinder gleichzeitig aus dem Bett zu kriegen und zum Schulbus zu bringen. Am Nachmittag geht es weiter mit der Frage: Wen bringe ich zu welcher Freizeitaktivität und wie hole ich möglichst geschickt drei Kinder an drei verschiedenen Standorten zur gleichen Zeit ab? Die Fähigkeit zum Multitasking ist bei amerikanischen Familien Pflicht.

Richtiges Familienleben erlebe ich leider nicht, meine Gastfamilie gestaltete sich als sehr schwierig. Die Eltern konzentrieren sich eher auf sich, als mit den Kindern und mir am Abend zu essen. Nach sechs Monaten und oft 65 Stunden Arbeit in der Woche, entscheide ich mich, diese Familie zu verlassen.

Nicht, weil ich die Kinder nicht mag, sondern weil ich Differenzen mit meinem Gastvater habe. Und schon ist die Gastfreundschaft beendet, und ich sitze samt Gepäck alleine vor der Tür. Die Agentur unterstützt mich leider auch nicht, denn niemand sieht es gerne, wenn das Au-pair geht.

Zwei Wochen habe ich Zeit, eine neue Gastfamilie zu finden – oder man fliegt heim. Untergekommen bei einer Freundin denke ich an alles außer an das Heimgehen. Am letzten Tag der zwei Wochen nimmt mich dann doch eine neue Familie auf: indisch, zwei Kinder, und mein neues Zuhause befindet sich in Cambridge neben der Harvard University.

Ein turbulentes Jahr in zwei Familien

Gott sei Dank, ich muss Boston nicht verlassen. Doch auch diese Familie ist alles andere als leicht. In einem Mini-Zimmer, ohne Kleiderschrank und Privatsphäre, lebe ich und kümmere mich um die Kinder. Das Englisch bleibt hier auch zurück, denn meine Gastfamilie verständigt sich auf Indisch.

Weitere sechs Monate später ist mein Au-pair-Jahr auch in dieser Gastfamilie zuende. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Und jeder fragt mich immer: Wie hast du das bloß ausgehalten, Katja? Ja, das ist eine gute Frage, wenn man mit den Gastfamilien kein Glück hat und nach und nach alle deine Freunde heimfliegen, weil sie selbst auch unglücklich sind und aufgeben. Das Wichtigste ist, dass man sein Ziel nie aus den Augen verliert und immer das Beste daraus macht.

Das Gute ist, dass man das Schlechte irgendwann vergisst. Denn wenn ich jetzt an mein Au-pair-Jahr zurückdenke, erinnere ich mich an das beste Jahr meines Lebens: In jeder freien Sekunde bin ich mit meinen Au-pair-Freunden gereist – von Hawaii bis zum Mount Rushmore und von Chicago bis New Orleans war alles dabei. Die typischen Roadtrips durch die Wüsten der USA und die endlos weiten Staaten durften nicht fehlen.

Außerdem habe ich mich auf College Partys geschlichen, mit Amerikanern angefreundet und einen Kurs an der Harvard University belegt. Dort konnte ich nicht nur mein Englisch aufpolieren, sondern auch die amerikanische Kultur kennenlernen. Trotz allem werden mir die Football- Regeln wohl immer ein Rätsel bleiben.

Beste Freundin

Die Gastkinder spielen natürlich die wichtigste Rolle im Leben als Au-pair. Täglich denke ich an die schöne und lustige Zeit mit den Kindern zurück und wie man mit kleinen Dingen, wie Kostümebasteln, einem Kind das schönste Lächeln auf das Gesicht zaubern kann.

In beiden Familien gibt man Tag für Tag alles für die Kinder, und sie sehen in dir eine beste Freundin, die immer da ist. Und so fällt der Abschied von den Kindern sehr schwer und ist somit einer der schlimmsten Momente im Leben eines Au-pairs.

Trotz aller Achterbahnfahrten während meines Auslandsjahres kann ich sagen, dass ich mir meinen ganz persönlichen perfekten American Dream erfüllt habe – ohne aufzugeben.

Extra Infos zum Au-pair-Jahr:

Möglichst frühzeitig solltet ihr anfangen, mit Kindern Erfahrungen zu sammeln. Mindestens 200 Stunden aus den vergangenen drei Jahren müsst ihr jedenfalls vorweisen, damit ihr euch bewerben dürft. Je mehr, desto besser.

Ein entscheidender Punkt bei der Bewerbung als Au-pair ist auch die Wahl der Organisation. Denn als Au-pair in den USA ist eine Agentur Pflicht. Hier solltet ihr Info-Treffen besuchen und die beste Agentur auswählen. Die Betreuung vor Ort in Amerika ist ein wichtiger Punkt, Agenturgröße und Preis des Programmes spielen kaum eine Rolle.

Genauso bei der Gastfamilie. Hört auf euer Bauchgefühl! Selbst wenn ihr schon ein halbes Jahr auf die Familie wartet, ist es okay „nein“ zu sagen, wenn man sich nicht hundertprozentig sicher ist, ob die Familie passt. Dabei achtet nicht darauf, in welchen Ort ihr kommt oder wie viele Kinder die Familie hat. Am wichtigsten ist das Familienleben.

Auch die Größe des Hauses oder wie das Zimmer gestaltet ist, sollte egal sein. Nimmt die Familie euch gut als Familienmitglied auf, spielt alles andere keine Rolle. Aus eigenen Erfahrungen empfehle ich keine Familien, in denen die Eltern von zu Hause arbeiten

Meine persönlichen Tipps: Versucht, so wenig wie möglich aus Deutschland mitzunehmen, habt Spaß mit den Kindern und reist viel mit Freunden. Und auch wenn es manchmal schwierig ist: Konzentriert euch auf das Gute!

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