Erlanger Professorin prophezeit den USA harte Zeiten

21.3.2018, 15:45 Uhr
Erlanger Professorin prophezeit den USA harte Zeiten

© Foto: David Ausserhofer, DFG

NZ: Frau Paul, wie ist die Stimmung in den USA?

Heike Paul: Nicht so wirklich euphorisierend, muss ich sagen. Eher bedrückend. Das soziale Klima ist deutlich rauer geworden, auch die politische Kultur und der generelle Umgangston. Bei dem Vorbild kein Wunder.

NZ: Präsident Donald Trump?

Paul: Ja, der raue Ton wird vom Präsidenten vorgelebt. In seiner Konfliktbewältigung ist er ja nicht besonders freundlich oder verhandlungsbereit. Er ist keiner, der sagt, wir finden schon eine Lösung. Sondern er macht klare Ansagen und erwartet, dass der Rest der Welt sich fügt. Das lädt zur Nachahmung ein, gerade in einem Land, in dem viele Personen derzeit das Gefühl haben, ihre Position gegen andere verteidigen zu müssen.

NZ: Woher kommt dieses Gefühl?

Paul: Trump macht sehr viel Symbolpolitik, er sagt immer wieder den Eliten den Kampf an. Da finden sich Personen wieder, die derzeit ein Gefühl der Entfremdung haben, die im aktuellen kapitalistischen System keinen Platz für sich sehen. Gerade im mittleren Westen der USA und im sogenannten "Rust-Belt" im Nordosten gibt es weite Regionen, in denen die Kleinstädte regelrecht aussterben. Das bringt Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit mit sich. Und zwar so flächendeckend, dass man sich das bei uns gar nicht vorstellen kann. Das ist zum Teil sehr trostlos.

NZ: Lässt sich das vergleichen mit der teils hohen Zustimmung zur AfD in Teilen Ost-Deutschlands?

Paul: Ein einfacher Vergleich wird den Phänomenen nicht gerecht. Die populistischen Strömungen sind ähnlich, aber die politischen und historischen Entwicklungen sind schon sehr unterschiedlich. Es gibt natürlich Parallelen zwischen Marine Le Pen in Frankreich, Trump in Amerika und AfD-Personen, die wir in Deutschland im Rampenlicht sehen.

Die große Frage, die hinter all dem steht, ist die der sozialen Gerechtigkeit. Wer sich in einer Gesellschaft, in der Wettbewerb und wirtschaftliches Wachstum im Mittelpunkt stehen, nicht mehr als Teilnehmer, sondern Zuschauer oder gar als Verlierer versteht, sucht nach einem Ausweg oder nach jemandem, der Schuld ist an der Situation. Diese Selbstwahrnehmung als Opfer trägt große politische Sprengkraft in sich.

NZ: Was lässt sich da tun?

Paul: Studien zeigen, dass in Gesellschaften, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich kleiner ist, weniger Nährboden für Populismus entsteht und die Politik des Sündenbocks weniger gut funktioniert. Soziale Gerechtigkeit ist einfach enorm wichtig für den sozialen Frieden.

NZ: Sind das auch Themen, über die Sie mit Ihren Kollegen in Illinois sprechen?

Paul: Trump ist natürlich ein Thema. Ich bin hier in einem "Swing State", der bei den Wahlen nicht zuverlässig die eine oder die andere Richtung wählt. Bei der Trump-Wahl war Illinois aber demokratisch. Ich denke,
in den Departements Englisch und Geschichte, in denen ich hier angegliedert bin, herrscht schon ein großer Konsens, dass die Lage gerade ziemlich dramatisch ist und es peinlich sein kann, wenn man Besuch aus dem Ausland bekommt. Aber natürlich kann man nicht einfach annehmen, hier keinen Trumpwählern zu begegnen. Man spricht das je nach Situation an oder eben auch nicht.

NZ: Zeigen sich aktuelle politische Debatten auch auf dem Campus?

Paul: In den vergangenen Wochen gab es hier sehr viel Protest gegen die Einsparungen bei Bildung und Wissenschaft. Insgesamt ist eine Politisierung zu beobachten, es engagieren sich mehr Menschen politisch, jeder hat das Gefühl, sich auf irgendeiner Ebene einbringen zu müssen. Das ist auch ein Effekt dieser Präsidentschaft. Ich bin auch in einem Bundesstaat, der sich mit dem Waffengesetz schwer tut.

Auf dem Campus hat jedes Gebäude ein Schild mit einer durchgestrichenen Pistole an der Tür: Das heißt, Waffen sind hier drin verboten. Sonst ist das versteckte Tragen von Waffen aber mit entsprechender Lizenz erlaubt, man kann also in Supermärkten und Restaurants davon ausgehen. Das gehört zu einer Alltagskultur, die seit dem Amoklauf in Parkland wieder kontrovers diskutiert wird. Diesen Konflikt spürt man hier überall.

NZ: In Deutschland schütteln bei dieser Diskussion viele nur den Kopf. Wir verstehen die Waffenliebe der Amerikaner nicht.

Paul: Das sind kulturspezifische Praktiken, die wir uns wirklich sehr schwer vorstellen können. Gleichzeitig kann man den für uns archaisch wirkenden Umgang mit Waffen nicht einfach auf andere Gebiete übertragen. Die Behindertenfreundlichkeit auf dem Campus etwa ist hier wesentlich weiter fortgeschritten als bei uns in Deutschland. Auch mit dem Thema Transgender wird viel offener umgegangen.

Man könnte sich keine Uni in Amerika mehr vorstellen, die dafür keine extra Toiletten oder Umkleidekabinen vorsieht. Das ist bei uns noch nicht der Fall. Vielfalt wird hier ganz groß geschrieben, auch weil Studierende aller Art als zahlende Kunden betrachtet werden, die man gerne haben möchte.

NZ: Aber an Tagen, an denen Trump wie zuletzt wieder, Mitarbeiter entlässt, fragen sich viele hierzulande, was ist da eigentlich los?

Paul: Das fragen sich die Amerikaner selber auch. Der Personalverschleiß ist wirklich enorm. Das ist ein wahnsinniges Spektakel, dessen man auch langsam etwas müde wird. Was das langfristig für das politische System bedeutet, kann ich nicht sagen. Ich habe mir vergangene Woche das State Capitol in Springfield, der Hauptstadt von Illinois, angeschaut.

Erlanger Professorin prophezeit den USA harte Zeiten

© Foto: Frederic J. Brown, afp Photo

Dort gibt es wunderbar ausgeschmückte Räume, an denen die große Wertschätzung der Amerikaner für ihr politisches System und dessen Institutionen zu sehen ist. Auch in Washington D. C. mit seinen Prachtbauten und Monumenten zeigt dieses Land der Welt und den vielen Touristen, wie wichtig ihm die Demokratie und ihre Institutionen sind. Das steht im großen Kontrast zu der Art, wie im Moment Politik gemacht wird. Man hat nicht das Gefühl, dass der Präsident diese Wertschätzung teilt.

NZ: Trotzdem sind viele Wähler immer noch zufrieden mit Trump, oder?

Paul: Sie hoffen noch immer, dass Trumps Regierung in irgendeiner
Weise Veränderungen herbeiführt, die ihnen zugute kommen.

NZ: Dabei ist Trump selbst sehr reich und seine Politik reichenfreundlich. Warum fühlen sich gerade die Armen von ihm verstanden?

Paul: Das ist wirklich verblüffend. Seine aktuelle Reform beschert eindeutig den Reichen noch mehr Geld.

NZ: Amerika galt lange als Vorbild der Deutschen. Ändert sich das gerade?

Paul: Immer schon dachten die Menschen in Deutschland, was in Amerika passiert, geschieht demnächst dann auch bei uns. Aber dieses Bild war noch nie wirklich stimmig. Es gab ja schon immer auch Anti-Amerikanismus. Vielleicht sind die Unterschiede jetzt nur deutlicher und offensichtlicher geworden. Trump verkörpert einfach alle Anti-Amerika-Klischees in einer Person, er ist der sprichwörtliche "ugly American", ein ungebildeter, ungehobelter Kulturbanause.

Aber Amerika ist mehr als sein Präsident. Das Land ist groß, es gibt nicht "die" Amerikaner, sondern viele Unterschiede und Gegensätze innerhalb des Landes. Dazu laufen natürlich viele Austauschbeziehungen mit dem Ausland trotzdem weiter und sie laufen gut, sind eingespielt und lassen sich nicht einfach kappen. Alle hoffen ja auch, dass die Ära Trump irgendwann wieder vorbei geht.

NZ: Sind solche Austauschprogramme unter Forschern deswegen besonders wichtig?

Paul: Ja, und man hat durch die aktuellen Entwicklungen auch wieder
völlig neue Forschungsgegenstände. Es ist wichtig, sich auszutauschen und vergleichende Perspektiven einzunehmen. Ich bin hier an einem Institut, dass sich mit der Grenze zwischen den USA und Kanada beschäftigt, weil die in der Wahrnehmung zu kurz kommt. Alle schauen nur auf die Grenze zu Mexiko und die viel diskutierte Mauer.

NZ: Beeinflusst das politische Tagesgeschehen Ihre Forschung überhaupt?

Paul: Ich forsche viel zu Texten des 19. Jahrhunderts und habe mich hier stark mit der Flüchtlingsfrage beschäftigt. Afroamerikaner, die aus der Sklaverei nach Kanada geflohen sind, weil sie jenseits der Grenze frei waren. Da kann man gar nicht anders, als das auch vor dem aktuellen Horizont zu lesen.

Allein der Begriff "Flüchtling" ist sehr aufgeladen im Moment – auf beiden Seiten des Atlantiks. Und die Probleme, die damals
diskutiert wurden, sind immer noch ungelöst. Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze sind Probleme, die man automatisch mit der heutigen Situation verbindet.

NZ: Können wir daraus etwas für heute lernen?

Paul: Im 19. Jahrhundert war es eine radikale Position zu sagen, wir schaffen die Sklaverei einfach ab. Ähnlich wäre es, wenn wir heute sagen – was einige tun – wir schaffen die Gefängnisse ab, weil sie Unterdrückung und Gewalt vor allem gegen Schwarze ausüben. Die Gefängnisse in Amerika gehören oft privaten Firmen, die ein Interesse daran haben, ihre Betten zu füllen und damit Geld zu verdienen. Meine Aufgabe als Amerikanistin ist es, solche scheinbaren Selbstverständlichkeiten immer wieder in Frage zu stellen.

NZ: Fragen die amerikanischen Kollegen auch, wie die Lage Amerikas in Deutschland gesehen wird?

Paul: Ja, natürlich! Das ist mir schon letztes Jahr aufgefallen, dass die Amerikaner mehr denn je an der Außenperspektive interessiert sind. Viele haben das Gefühl, dass es bei uns besser läuft. Sie bewundern die Stabilität in unserem Land, das Gesundheitssystem, wirtschaftliches Wachstum und eine moderne Demokratie. Angela Merkel ist in den USA recht beliebt, weil sie Unbeirrbarkeit und Unaufgeregtheit verkörpert, das ist natürlich ein Kontrast zu Trump.

NZ: Sie hatten jetzt drei Monate Zeit, sich zu überlegen, was Sie mit dem Preisgeld von 2,5 Millionen Euro machen wollen. Haben Sie sich schon entschieden?

Paul: Ich denke, dass ich mir dadurch viele Freiräume schaffen kann. Ich kann mich vertreten lassen und mich aus bestimmten Tätigkeiten oder manchen Gremien zurückziehen. Ich hatte viele Jahre sehr viele Funktionen und jetzt können es wieder ein paar weniger sein, damit ich mich mehr der Wissenschaft widmen kann. Ich kann mir ein multikulturelles Team zusammenstellen, aus anderen Fächern und
Kulturen, mit renommierten Wissenschaftlern und jungen Doktoranden, und mit ihnen Fragestellungen bearbeiten, die mir wichtig sind.

NZ: Welche Fragestellungen würden Sie gerne bearbeiten?

Paul: Da gibt es eine ganze Reihe! In den vergangenen Jahren habe ich mich viel mit dem Siedler-Kolonialismus beschäftigt, der die USA geprägt hat, aber auch Länder wie Kanada und Australien, die mit der Geschichte des englischen Empire verbunden sind. Diese Vorstellung von positiv belegter Expansion, von Helden, die unerschrocken ins Abenteuer ziehen und neues Land besiedeln, bestimmt bis heute die Identität der USA.

Dass da eigentlich schon Menschen gelebt haben, wird bei dieser Verklärung oft verdrängt. Dabei waren die Siedlerströme nichts anderes als eine Form von Kolonialismus, angetrieben von rücksichtslosen, rassistischen Vorstellungen auf der Suche nach wirtschaftlichen Vorteilen. Diese widersprüchlichen Vorstellungen und die damit verknüpften Gefühle will ich genauer erforschen.

 

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