Landarzt ? Erst mal schauen !

6.10.2015, 08:00 Uhr
Landarzt ? Erst mal schauen !

© Foto: privat

Der Patient hat einen komischen Knubbel am Finger. Ein kurzer Blick von Ute Schaaf genügt, und sie entscheidet: Darum kümmert sich zunächst mal die sogenannte Famula. Die heißt Carolin, studiert Medizin in Köln und absolviert gerade einen Praxisblock (Famulatur) während des Studiums bei Ute Schaaf.

Carolin setzt sich mit dem Patienten in ein Sprechzimmer und stellt die üblichen Fragen: Seit wann haben Sie das? Tut’s weh? Verändert es sich? Sie notiert sich die Antworten – das nennt der Mediziner Anamnese – und überlegt sich eine Lösung: Könnte eine Warze sein, also zunächst mal Warzenlack drauf!

Kurz darauf kommt Ärztin Schaaf dazu und hört sich Carolins Anamese, Diagnose und Therapievorschlag an. Carolin hat alles richtig gemacht. „Warzenlack“ entscheidet Ute Schaaf und bespricht mit ihrer Famula und dem Patienten weitere mögliche Optionen: Es könnte auch ein Fremdkörper sein, den man mit der Pinzette rausholt. Oder eine Verstopfung von Talgdrüsen. „Aber darüber reden wir erst, wenn 14 Tage Warzenlack nichts bringen.“

Erstmal abwarten

„Offen lassendes Abwarten“ nennt die Allgemeinmedizin diese Vorgehensweise. Denn hier gilt der Grundsatz: Nur wenn es wirklich was Gefährliches ist, muss sofort gehandelt werden. Ansonsten ist Gelassenheit besser als Übereifer.

„Aber das lernen wir nicht im Studium und auch nicht in der Klinik“, erklärt Saskia – sondern eben nur vor Ort in einer Landarztpraxis wie der von Ute Schaaf. Saskia hat bis vor kurzem einen Teil ihres Praktischen Jahres (PJ) dort absolviert. Jetzt bereitet sie sich auf das 2. Staatsexamen an der Uni Erlangen-Nürnberg vor. Danach wird sie eine Facharztausbildung beginnen. Und egal, ob sie sich dann für Allgemeinmedizin entscheiden wird oder nicht: „Ich haben hier sehr viel über die Arbeit eines Allgemeinmediziners gelernt“, sagt sie, „das wird mir im späteren Berufsleben auf jeden Fall sehr helfen.“

Und wenn es nur um das Schreiben des üblichen Briefes an den weiterbehandelnden Arzt geht: „Da bekommen wir ganz viele, mit denen wir nur wenig anfangen können“, sagt Ute Schaaf. „Wer dagegen mal hier gearbeitet hat, weiß genau, was wir brauchen.“

Wie zum Beispiel Anne: Sie steht erst am Beginn ihres Medizinstudiums an der Uni in Ulm, ist am Hesselberg aufgewachsen und kommt seit der Schulzeit regelmäßig in den Semesterferien zur Ferienarbeit in die Praxis von Ute Schaaf. Dort unterstützt sie die Arzthelferinnen bei der Büroarbeit.

Welche Krankheiten sind häufig, welche ziemlich selten? Darüber hat Anne schon allein beim Einsortieren der Patientenakten sehr viel gelernt. „An der Uni“, sagt sie „hören wir zu solchen Sachen sehr wenig.“ Dort sagt Saskia, gehe es in erster Linie um Fakten. Faktoren wie psychische Interaktion und Kommunikation mit den Patienten kämen viel zu kurz. In der Praxis von Ute Schaaf ist das ganz anders: „Hier bekommen wir praktisch Einzelunterricht im Umgang mit Menschen.“

Denn der steht in einer Landarztpraxis im Vordergrund: „Viele Patienten kennt man schon lang, oft auch die ganze Familie“, erklärt Ute Schaaf. „Daher weiß ich, wie die ticken, und die wissen, wie ich ticke. Und im Gespräch suchen wir dann nach einer Lösung der Probleme.“ Anders als beim Facharzt: „Da fangen beide Seiten jedes Mal von vorne an.“

Nah am Menschen

Ute Schaaf selbst stammt aus dem Seenland und hat Medizin in Bochum und Würzburg studiert. Ihre Assistentenzeit verbrachte sie überwiegend in Gunzenhausen. Und dann stand für sie fest: „Ich möchte nahe am Menschen arbeiten, und das kann man am besten in einer Landarztpraxis.“

Doch davon gibt es immer weniger. Erst kürzlich hat eine Praxis in Spalt dichtgemacht, weil der Doktor keinen Nachfolger finden konnte. „Ein Teil der verwaisten Patienten ist jetzt bei mir“, sagt Ute Schaaf.

Sie hat zwar noch etliche Berufsjährchen vor sich, aber schon jetzt denkt sie drüber nach: Was passiert, wenn ich mal aufhöre? Deshalb liegt ihr das Thema Landarzt-Nachwuchs so sehr am Herzen. „Natürlich“, sagt sie, „ist keines der Mädels so schnell in der Lage, eine vakante Praxis zu übernehmen. Aber bei dem Thema Ärztenachwuchs auf dem Land sollte man langfristig denken.“

Daher gibt Ute Schaaf im Schnitt drei Studenten pro Jahr die Möglichkeit, in ihrer Praxis die Praxis kennenzulernen. „Hier können sie erleben, dass Allgemeinmedizin viel mehr ist als Pipifax und Bimberleskram – wie viele denken.“ Der Patient mit dem komischen Knubbel am Finger schmiert jetzt erstmal zwei Wochen lang Warzenlack drauf. „Danach sehen wir weiter“, meint Landärztin Ute Schaaf.

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