Lästiger Buchstabensalat im Kopf

28.9.2016, 08:58 Uhr
Lästiger Buchstabensalat im Kopf

© André de Geare

8 Uhr morgens, und gleich in der ersten Stunde Deutschunterricht. Eine Tatsache, die wohl jeden Schüler aufstöhnen lässt. So sitze auch ich ziemlich missmutig im Klassenzimmer. Ein kurzes „Guten Morgen“, dann die Ankündigung des Tages: Wir schreiben ein Diktat! Während meine beste Freundin anfängt zu grinsen, verkrampfe ich meine Hand zu einer Faust.

Schon beginnt die Lehrerin zu diktieren. Und ich? Ich fühle mich auf einmal vollkommen gehetzt. Worte prasseln auf mich ein, und der Stift rutscht mir fast aus meiner feuchten Hand. Kann sie nicht langsamer sprechen? Wohin kommt noch mal das nächste Komma? Willkommen in der Welt der Schüler mit LRS. Wir haben massive Probleme beim Schreiben und Lesen.

Schon in der 1. Klasse hatte ich Schwierigkeiten, der Lehrerin zu folgen. Das bemerkten meine Eltern zuerst gar nicht. Im darauffolgenden Jahr begann ich immer mehr, mit den Gedanken abzuschweifen. Rechtschreibung oder lautes Vorlesen waren für mich ein Graus!

Sprach- und IQ-Test

„Du warst schon immer sehr verträumt und hast für deine Hausaufgaben etwas länger gebraucht“, meint mein Vater, der Rektor an einer Grundschule ist. „Aber obwohl wir es als Lehrer besser wissen sollten“, gibt er zu, „sind wir erst durch deine Klassleiterin auf das wirkliche Problem gestoßen.“

Und tatsächlich gab ein Test in der 4. Klasse den Hinweis: Ich könnte eine Lese-Rechtschreib-Schwäche haben. Darauf folgten Besuche bei der Kinderpsychiaterin. In deren Praxis wurde nicht nur mein Können im Bereich Sprache getestet, sondern auch mein IQ und meine Feinmotorik.

Und es stimmte, ich hatte LRS. Diese Gewissheit war für mich anfangs sehr hilfreich. Vor allem bei Deutschtests wurde ich nun anders bewertet als meine Mitschüler.

„Mir hat das Attest geholfen, da ich bei Aufsätzen mehr Zeit bekomme und meine Rechtschreibfehler nicht gezählt werden“, sagt Sophia (15), eine Freundin. Sie selbst ist von Legasthenie betroffen. Das ist keine heilbare Schwäche wie LRS, sondern eine Störung. „Ich habe kein Problem damit. Schließlich gehört diese Störung zu mir, und das ist schon okay.“

Leider hatte ich nicht immer so ein Gefühl wie Sophia. Nicht selten hat es mich Überwindung gekostet, vor der ganzen Klasse meine Schwäche zuzugeben oder wieder einmal zu hören: „Ach, du bist diejenige mit LRS!“ Durch solche Bemerkungen abgestempelt zu werden, nahm mir mehr als einmal den Mut.

Zeitzuschlag brachte nichts

Darf ich denn keinen Spaß am Lesen haben, auch wenn ich darin eine Schwäche habe? Sind meine Texte automatisch schlecht, bloß weil die Rechtschreibung manchmal nicht stimmt?

„Ich glaube, mir wurde von der 7. bis zur 9. Klasse ein Zeitzuschlag gegeben, aber großartig geholfen hat mir das nicht“, erzählt mein Bekannter Stefan (18). „Schließlich bin ich auch so mit der Zeit klargekommen, und meine Rechtschreibfehler haben trotzdem weiter existiert.“ Für ihn ist die Schwäche mittlerweile Geschichte, denn er hat nach ein paar Jahren nicht mehr beantragt, dass sie im Zeugnis steht. „Ich wollte das einfach nicht mehr.“

Auch ich habe seit einem Jahr die Schwäche offiziell nicht mehr. Ich habe den entsprechenden Test bestanden, obwohl ich ursprünglich vorhatte, mir weiterhin LRS ins Zeugnis eintragen zu lassen. Jetzt mache ich ein Praktikum in der Extra-Redaktion der NN, sitze vor dem Computer und schreibe einen eigenen Artikel.

Natürlich nervt mich der eine oder andere Rechtschreibfehler immer noch, trotzdem weiß ich mittlerweile: Durch das viele Lernen und die lange Anstrengung habe ich es geschafft, auch mit LRS weiterzukommen.

Das ist zwar eine Schwäche, aber ich muss mich nicht von ihr schwach machen lassen!

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