LiteratuReise: Auf Balzacs Spuren

31.7.2018, 15:26 Uhr
Der Eiffelturm wurde erst 37 Jahre nach Balzacs Tod gebaut. Aber den Arc de Triomphe, von dessen Dach aus dieses Foto entstand, gab es schon.

© Veronika Kügle Der Eiffelturm wurde erst 37 Jahre nach Balzacs Tod gebaut. Aber den Arc de Triomphe, von dessen Dach aus dieses Foto entstand, gab es schon.

Brasserie de Balzac, Rue de Balzac, Restaurant Le Balzac – unzählige Orte in Paris schmücken sich mit dem Namen des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac (1799 bis 1850), einem der einflussreichsten Realisten der Literaturgeschichte. In der Zeitschrift "La Caricature" beschrieb er die Großstadt, wie er sie sah, vor allem die Kluft zwischen Arm und Reich. Wie hat sich Paris über die Jahrzehnte hinweg verändert? Und was prägt die Stadt noch heute?

"Zudem ist Paris jedermanns Ziel. Jeder strömt dorthin und jeder aus einem besonderen Grund. (. . .) Der Schriftsteller, um gelesen zu werden."

Als ich meine Reise buchte, habe ich mir bewusst eine Unterkunft über Airbnb gesucht, um das echte Pariser Leben kennenzulernen. Doch mein Gastgeber Léonce hat kaum Zeit, die zentrale Lage im Nordwesten von Paris hat ihren Preis.

Léonce arbeitet, wenn ich schlafe und schläft, wenn ich unterwegs bin. Ganz ähnlich wie Balzac. Der Schriftsteller schrieb meist die Nächte durch. "Ich weiß gar nicht, wie sich Müdigkeit anfühlt, ich bin zu einer Wörter-Maschine geworden", höre ich den Audioguide in meinen Ohren.

Es wird erzählt, wie er zeitweise 15 bis 18 Stunden seines Tages dem Schreiben widmete. Damals unterschied man ganz klar zwischen Schriftstellern, die zum Spaß an der Freude schrieben, und denen, die es taten, um zu überleben. Balzac gehörte Zweiteren an.

Viel Zeit verbrachte er also nicht außerhalb seines Hauses im westlichen Paris oberhalb der Seine. Heute ist das Maison de Balzac ein Museum. Aufgrund von hohen Schulden versteckte er sich dort von 1840 bis 1847 unter dem Namen Monsieur de Breugnol.

Betritt man das Haus, findet man sich umgehend im 2. Stock wieder, wo auch Balzac schlief und an seiner "Comedie humaine" schrieb. Hier darf ich unter anderem einen Blick durch das berühmt-berüchtigte Fenster werfen, aus dem er regelmäßig flüchtete, wenn die Gläubiger vor seiner Tür standen.

Außerdem steht hier der Tisch, an dem er arbeitete, darauf liegen zwei handgeschriebene Aufzeichnungen mitsamt Korrekturen. Müsste ich untertauchen, ich würde mir wohl auch Paris aussuchen.

Die Haupttouristenattraktion, den Eiffelturm, spare ich mir, der war zu Balzacs Lebzeiten noch gar nicht gebaut. Aber der Arc de Triomphe, also steige ich die Treppen zu dessen Dach hoch. Außer Atem stehe ich oben, der Wind bläst mir ins Gesicht. Spätestens jetzt weiß ich: Es hat sich gelohnt. Von hier aus sehe ich den sternförmigen Aufbau der Stadt. Erst 1844 wurde an der Stelle, an der heute der Boulevard péripherique verläuft, eine neue Stadtbefestigung errichtet. Die breiten Alleen durchbrachen die vorher unübersichtlichen Gassen. Der Architekt Georges-Eugène Haussmann ordnete die Avenues in einem rechtwinkligen Muster an, Gärten und Parks wurden angelegt. Vorher waren die Gassen in Paris eng und düster, die Boulevards kamen erst später hinzu.

"Heutzutage zeigt man die großen Roben auf der Avenue des Champs-Élysées."

Trotz finanzieller Schwierigkeiten hatte Balzac eine Schwäche für schöne und teure Dinge. In seinen Vitrinen findet man unter anderem einen vergoldeten Spazierstock mit eingelegten Türkisen. Auch mir ist das Streben nach Schönheit und Reichtum wohl - zugegeben - nicht ganz so fremd, wie es mir lieb wäre.

In der Umkleide einer Boutique bei Champs-Élysées streiche ich über die Seidenhose, die ich gerade anprobiere, mir aber eigentlich nicht leisten möchte. Der Blick aufs Etikett lässt mich schmunzeln: made in Italy. Ich trete wieder hinaus in die Sonne und mache mich auf die Suche nach Plätzen, die schon für Balzac von Bedeutung gewesen sein mussten. "Wo es die meisten Maler und die wenigsten guten Gemälde gibt"

Beeindruckt stehe ich am nächsten Morgen vor dem Louvre, einem architektonischen Kunstwerk, das allein drei Metro-Stationen für sich beansprucht. 1808 war die Antikensammlung der Borghese bereits Teil der Sammlung. 1826 folgten die ägyptische und 1847 die assyrische Abteilung. Ein Jahr nach Balzacs Tod wurde die Ausstellungsfläche des Louvre unter Alfred Émilien de Nieuwerkerke erweitert. Balzac konnte ja nicht ahnen, welch bedeutende Meisterwerke bald schon in Paris zuhause sein würden.

"Wenn Sie durch die Straßen der Ile de Saint-Louis spazieren, fragen Sie nicht nach dem Grund für die lebhafte Traurigkeit, die Sie angesichts (. . .), der großen verlassenen Stadtpalais befällt."

Nur noch vereinzelt schlendern hier Touristen an den kleinen Boutiquen vorbei. Während ich so durch die verwinkelten Straßen spaziere, muss ich an den Roman "Tödliche Wünsche" von Balzac denken. Wie auch mich, hat der Stadtteil Marais die Hauptfigur Rafael in seinen Bann gezogen. In einem Antiquitätenladen findet er schließlich das Chagrinleder, das ihm vermeintlich jeden Wunsch erfüllt.

Unwillkürlich halte ich in den Schaufenstern Ausschau danach. In der Rue de Rosiers kaufe ich mir eine "Falafel authentique". Ich befürchte, Balzac blieb dieses Geschmackserlebnis verwehrt. Im schattigen Jardin de Rosiers genieße ich dann das Essen und die Stille.

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