Nora Gomringer – und die Möglichkeiten von Sprache

28.7.2016, 17:09 Uhr
Nora Gomringer – und die Möglichkeiten von Sprache

© Foto: Judith Kinitz

Nora Gomringer kam als Tochter einer deutschen Germanistin und eines schweizerischen Dichters früh in Berührung mit Sprache und all ihren Möglichkeiten. Text nicht nur auf dem Papier zu behalten, sondern zum Leben zu bringen – das ist ihr großes Ziel. So liegen ihren Gedichtbänden oft Audio-CDs bei. Außerdem bringt sie mit der A-Cappella-Formation „Wortart Ensemble“ Lyrik auf die Bühne, die gesungen und in Poetry Slams gesprochen wird.

Worte zum Leben zu bringen, darum drehen sich auch viele der kurzen Texte und Reden ihres Buches „Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren“. Im ersten Teil erzählt die Autorin zum Beispiel sehr persönlich, warum sie so gern fernsieht, welche Lesungen sie als Autorin gerne hält und welche ihr verhasst sind.

Sie philosophiert über die deutsche und die finnische Sprache, über Rhythmus und Melodien des Sprechens. „Wann singt das Sprechen?“, fragt Nora Gomringer gleich in einem ihrer ersten Texte und antwortet ganz schlicht: „Immer. Das Singen ist dem Sprechen immanent. Dieselben Muskeln werden im Kehlkopf gefordert, ob wir singen oder sprechen. Das Baby ruft mit seinem ersten Schrei den Kammerton a in seiner Kehle wach.“

Im zweiten Teil des Buches finden sich Reden zu verschiedensten Anlässen. So spricht Nora Gomringer auf dem Bamberger Neujahrsempfang über das vergangene Jahr und seine Schwierigkeiten, ruft in Zeiten des Terrors und der Flüchtlingskrise zu Zusammenhalt auf. In einer anderen Rede appelliert sie an die Jugend, mehr zu lesen, aber auch mehr fernzusehen.

In all ihren Texten ist Nora Gomringer anzumerken, dass sie mit Leib und Seele Lyrikerin ist. Obwohl sie nach sieben Gedichtbänden dieses Mal nur Prosatexte zu einem Buch zusammengefasst hat, klingen in jedem ihrer Sätze Wortspiele und Sprachmuster mit.

Melodien, die, so hat es den Eindruck, mit Leichtigkeit ein Gedicht ergeben könnten, wenn sie nur ein wenig anders arrangiert wären. Die Texte sind teilweise weniger als zwei Seiten lang, dennoch ist jeder Satz durchdacht und zur vollendeten Form gebracht.

Dabei nutzt Nora Gomringer meist Fließtext, greift aber gerne mal auf eingerückte Verse zurück oder mischt beide Formate. Aber nicht nur die Form, auch der Inhalt wirkt stets wohlüberlegt. Bei allem Philosophieren lässt die Autorin den Leser ihre Gedankenwege nachvollziehen, unterlegt ihre Meinungen mit eigenen Erfahrungen aus ihrer Kindheit oder ihrem Leben als Schriftstellerin. So versteht man als Leser selbst die Feinheiten der finnischen Sprachkultur.

Dabei schafft sie im Kopf Querverbindungen zu anderen Autoren und deren Werken, aber auch Filmen und Serien, die sie mit Begeisterung zitiert. Sie schafft so ein Gesamtkunstwerk, in dem viel mehr steckt, als auf den ersten Blick scheint.

Allein im folgenden Satz entdeckt man bei jedem Lesen einen versteckten Wortwitz mehr: „Es kracht im Imperium, dem Mann ,kehlt‘ es nach Ruhm, und durch Feuchtgebiete und andere Biotope führen uns Axolotl und Roche(n).“

Nora Gomringer denkt viel nach. Sie geht ins Kino und guckt sich den mittelmäßigen Blockbuster „John Carter“ an. Danach setzt sie sich an den Schreibtisch und philosophiert zwei Seiten lang über die Schöpfung und das Universum. So wird aus Banalität Kunst.

Dabei will die Autorin nie belehren, sie erzählt frei von ihren Gedanken und lässt den Leser an ihren Assoziationen teilhaben, die wie ein Stream of Consciousness wirken, auf den zweiten Blick aber einem durchkomponierten Gedicht ähneln.

„Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren“ ist ein wunderbar bunter Teppich aus verschiedensten Texten, für die man sich Zeit nehmen sollte. Erst bei genauerem Betrachten wird nämlich klar, mit welcher Sorgfalt die Autorin ihre Texte verfasst hat, wie viele Ebenen und Strukturen mitverwebt wurden, die entdeckt werden wollen. Ein Hinweis, dass Nora Gomringer die Prosagattung ebenso gut beherrscht wie die ihr im Blut liegende Lyrik.

 

Nora Gomringer: Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren; Verlag Voland und Quist, ISBN 978-3-863911-15-7, 15,90 Euro

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