Teil 4: Goodbye Passau, Hello North America

2.1.2015, 12:02 Uhr
Teil 4: Goodbye Passau, Hello North America

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Liebe Linda,

gerade habe ich einen unbedachten Blick auf die kleine Ecke auf meinem Bildschirm geworfen, mit der Uhrzeit und dem Datum. Und siehe da! Vor genau vier Monaten bin ich - mit doppelt so viel Handgepäck wie erlaubt - und einer naiv-glückseligen Abenteuerlust in den Flieger Richtung Auslandssemester gestiegen. Und jetzt? Einerseits bin ich inzwischen so gut in der Uni-Routine angekommen, dass es sich so anfühlt, als ob ich schon jahrelang hier studiere. Das habe ich neulich gemerkt, als mir meine deutsche Matrikelnummer nicht mehr einfallen wollte!

Andererseits bin ich doch gerade erst angekommen? Zumindest bringen mich amerikanische Eigenheiten immer noch zum Schmunzeln oder Kopfschütteln: Wenn zum Beispiel im Supermarkt Plastiktüten so großzügig verwendet werden, als ob sie biologisch-abbaubar wären. Aber, genug mit der Nostalgie! Stattdessen möchte, zur Halbzeit meines Auslandaufenthaltes, ein kleines Zwischenfazit ziehen.

Fange wir hiermit an: Was gab es in den USA für Überraschungen? Einfache Antwort für mich: Heimweh! Aber du benutzt doch sicher Skype mit Freunden und Familie, fragst du? Ja, natürlich. Nur: Irgendwann möchte man sich wieder persönlich unterhalten. In den Arm nehmen und eine Unterhaltung mit "Wir sehen uns später!" beenden.

Im Vorfeld habe ich es unterschätzt, vielleicht sogar bewusst unterdrückt, dass es Momente geben könnte, in denen ich mich am liebsten dreimal auf der Stelle drehen würde, um plötzlich im heimischen Schlafzimmer zu landen. So richtige Weihnachtsstimmung kommt im Ausland eben nur begrenzt auf: Dazu bräuchte es einen Weihnachtsmarkt-Besuch in der Kälte mit lauwarmem Kinderpunsch, die Plätzchen-Bäckerei zu Hause, ein prall-gefüllter Nikolausstiefel.

Was jetzt nicht heißen soll, dass mich dieses Gefühl dauerhaft plagt: Im Gegenteil, dafür bin ich viel zu beschäftigt damit, Geburtstagspläne für eine Freundin zu schmieden oder Pflichtlektüren durchzuwälzen. Aber dann, wenn man es abends am wenigsten erwartet, kommt es vielleicht doch auf: das Heimweh. Wie geht es dir in der Hinsicht?

Eine Erkenntnis, die mir das Auslandssemester beschert hat: Der Organisations-Aufwand endet nicht, wenn man im Flieger sitzt, wie am Anfang noch dachte. Völliger Irrsin! Vor allem in der Anfangszeit gab es für mich viel bürokratischen Kleinkram zu erledigen: Den Rundfunkbeitrag nachträglich zurückfordern, mit dem Prüfungssekretariat über Anrechnungen diskutieren, für die Krankenversicherung Belege vom Arzt einfordern.

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Und das zu unmenschlichen Zeiten: Denn, wer die deutsche-Beamten-Öffnungszeiten einhalten möchte, muss hier in den USA (immerhin sieben Stunden Zeitunterschied!) früh aufstehen. Das hat am Anfang nicht nur mich, sondern auch meine Mitbewoherin im Zimmer bestimmt genervt.

Gleichzeitig gibt es an der Augustana College viele Freizeitangebote direkt an der Hochschule, aber wenige Ausflüge. Haben wir uns nicht gefallen lassen, und zum Beispiel über das "Labour-Weekend" einen Kurztrip nach Chicago geplant. Prompt saßen wir eine Woche vor dem Ausflug bis spät in die Nacht wach, und haben verzweifelt gegrübelt, wie man nach Chicago kommt: Die Bustickets konnten wir online mit ausländischen Kreditkarten nicht bestellen, am Schalter waren sie einige Tage später ausverkauft. Zug? Fehlanzeige! Die Lösung (ein privates Shuttle, dessen Preis wir zum Glück zu acht aufgeteilt haben) kam sprichwörtlich in der letzten Minute von unserer Betreuungsdozentin.

Zum Uni-Leben in den Vereinigten Staaten sei nur so viel gesagt: Hausaufgaben, Hausaufgaben, Hausaufgaben! Denn: Die amerikanische Colleges überlassen beim Lernen nichts dem Zufall. Im Vergleich zur Selbstständigkeits-Maxime an der deutschen Hochschule ("Wer durch die Prüfung fällt, ist selbst schuld") wird der Kursinhalten anhand von Gruppenarbeiten, Referaten, Essays und Pflichtlektüren, die in Häppchen aufgeteilt sind, vertieft.

Ob ich mit diesem Prinzip einverstanden bin, würde ich mit einem klaren "Jein" antworten! Einerseits kommt man mit Bulimie-Lernen eine Woche vor der Klausur nicht weit, da die Endklausur in der Regel weniger als 20 Prozent  der Kursnote ausmacht. Mein Zeitmanagement musste ich um einiges straffen, um die Hausaufgaben-Berge und Zeit mit Freunden im Terminplan unterzubekommen.

Andererseits, so meldet sich mein innerer Schweinhund kleinlaut zu Wort, möchte ich manchmal wieder in einer großen Studentenmenge berieselt werden, ohne dem Dozenten mit zehn anderen Studenten schuldig (Lesematerial nicht angeschaut) in die Augen blicken zu müssen. Beim Namen kennt er mich natürlich auch!

Ein Nachtrag zum Thema Überraschungen: Mich hat der Kulturschock, den ich in Rock Island erlebt habe, komplett überrumpelt. Da ich bereits zwei Jahre in den USA gelebt hatte, und die Sprache spreche, hatte ich nicht wirklich damit gerechnet. Vielleicht gerade deswegen ist mir die Lebensweise komplett fremd: Die sofortige Freundlichkeit, die jedem Fremden entgegen gebracht wird. Bis zur Frage "What hobbies do you have?", die darauf hinweist, dass auch der Small-Talk-freudige Amerikaner keine weiteren Einfälle hat.

Oder die Art und Weise, wie in amerikanische Studenten ihre Freizeit akribisch durchplanen: Nach der Uni treibt die Mehrheit meiner Freunde in Uni-Vereinen Sport, engagiert sich in Hochschul-Clubs oder einer Brüderschaft und arbeitet in der Uni Mensa und Verwaltung. Respekt, finde ich – und wundere mich insgeheim, wann solche Studenten Zeit für Hausaufgaben Zeit haben!

Natürlich gibt es im Ausland auch Momente, in denen man Geduld aufbringen muss, oder die eigene Missbilligung unterdrücken sollte. In den USA stört mich vor allem, wie wenig die Mehrheit auf eine ausgewogene Ernährung achtet. Leider wahr: Der Trend zum Fast-Food ist ungebrochen. In Rock Island reihen sich Filialen von Pizza Hut, Taco Bell, McDonalds, Wendy's und Checkers aneinander – und sind in der Regel gut besucht.

Vor allem in unserer Uni-Mensa, die im Buffet-Prinzip serviert, türmen sich Reste auf den Tellern. Weil wieder jemand den eigenen Hunger überschätzt hat, oder es einfach nicht schmeckt. Recycling? Die Wohnheimbetreuerin kann mir tatsächlich nicht verraten, was für Wertstoffe in den "Recycling"-Becher kommen sollen. True story!

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Was habe ich mir für die nächsten zweieinhalb Monate vorgenommen? Mich nicht zu verabschieden, bevor es wirklich so weit ist. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich die Zeit herunterzähle: "Noch eine Woche bis zu den Weihnachtsferien, danach noch fünf Wochen Vorlesungen, dann geht es nach Hause".

Nicht doch! Stattdessen möchte ich den Moment auskosten, so kitschig das klingt. Die Tatsache genießen, dass unser Abendessen in der Mensa (auf Grund der unterschiedlichen Nationalitäten) einer Mini-Versammlung der Vereinten Nationen ähnelt. Das schaut dann so aus: Mai aus Japan erklärt Ben (Vietnam), der Japanisch lernt, wie man den Begriff Flugzeug auf japanisch ausspricht, und wedelt dabei mit den Händen, damit er es sich leichter einprägen kann. "Das klingt fast wie Finnisch!" meint Viktor (Schweden), und probiert es selbst aus: Hiya-Ü-oh (so klingt es für mich).

Ganz klar: Diese interkulturelle Atmosphäre werde ich in Passau vermissen! Aber, genug gequasselt: Was wird dir am meisten von Kanada und Quebéc fehlen?

Liebste Grüße,

Alicia

 

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Liebe Alicia,

danke für deinen Brief! Du bist ja noch mitten drin im Uni-Alltag – für mich hießt es schon wieder Abschied nehmen. Bei mir verrät der Blick auf Datum und Uhrzeit nämlich, dass meine Zeit in Kanada nun schon wieder zu Ende ist: Genau wie du bin ich vor vier Monaten in Nordamerika eingetroffen, aber leider bin ich keine zwei Semester in Québec, sondern nur eines. Ich habe genau das gleiche Gefühl wie du: Am Anfang dachte man noch, dass vier Monaten doch recht lang sind und jetzt fragt man sich, wer wohl an der Uhr gedreht hat.

Heimweh hatte ich in der Zeit eigentlich nicht – natürlich gab es Momentchen, wo ich mir dachte „Zu Hause, in Deutschland, ist das alles aber viiieel besser!", aber im Großen und Ganzen habe ich mich gleich von Anfang an in Québec super wohl gefühlt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich wusste, ich sehen meine Familie und Freunde an Weihnachten wieder – würde ich auch noch länger bleiben, wäre das vielleicht anders.

Deswegen ist bei mir auch schon in Kanada Weihnachtsstimmung aufgekommen – und mit jedem Öffnen eines Türchens an meinen Adventskalendern (ich hatte gleich mehrere, die mir meine Schwestern über den Atlantik geschickt haben), rückte nicht nur Weihnachten näher, sondern auch meine Rückreise. Der habe ich mir dem berühmten lachenden und weinenden Auge entgegen geblickt: Auf der einen Seite freute ich mich natürlich schon auf zu Hause, auf der anderen Seite war da die Stimme in meinem Kopf, die pausenlos „Neeeiiin! Ich will aber noch nicht gehen!" rief.

Aber deine beiden anderen Erkenntnisse aus dem Auslandssemster sind die gleichen wie meine: Viel zu organisieren, viel zu tun! Und das im positiven wie im weniger positiven Sinne. Ich dachte nämlich auch wie du, dass man den Großteil des Organisationsaufwands schon vor dem Abflug ins Abenteuer Ausland abgeschlossen hat – aber Pustekuchen!

Die Kurse, die ich mir zu Hause schon ausgesucht hatte, musste ich nochmal anpassen, weil sie sich entweder überschnitten oder nicht für Bachelor- sondern für Master-Studenten waren. Wenn dann ein Kurs gewählt ist, muss natürlich noch mit den Professoren zu Hause abgeklärt werden, ob der „neue" Kurs denn auch angerechnet werden kann. Mir ging es zum Beispiel so, dass ich meinen Politik-Kurs zweimal ändern musste, weil der Kurs, für den ich mich spontan in Kanada einschrieb, weil der andere doch irgendwie nicht passte, in Passau nicht zu meinem Studienprofil passte (was ich eigentlich gedacht hatte), so dass ich dann am Ende doch den ersten nahm.

Dazu kommen dann noch Sachen wie Krankenversicherung, Untermietvertrag für Deutschland und bei mir auch noch die Suche nach einem Praktikum für die Zeit zwischen dem Ende des Semesters hier und dem Semesterstart in Deutschland.

Und ein Kurs in Nordamerika ist eben auch nicht wie einer in Deutschland, da hast du Recht. Bei uns hielten sich die richtigen „Hausaufgaben" zwar in Grenzen, aber auch hier sind die Kurse mit 3 (vollen) Stunden Unterricht pro Woche und zusätzlich 6 Stunden eigenständige Nach- und Vorbereitung pro Kursstunde angesetzt.

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Und diese Zeit braucht man auch. Zwei Klausuren und eine Hausarbeit sind nämlich der Standard pro Kurs, hinzu kommen Referate, Forenbeiträge, Gruppenarbeiten und Quizzes (also unangekündigte Tests). Erinnert hat mich dieses System ein bisschen an die Schulzeiten: In Kanada werde zum Beispiel die mid-term exams vom Professor (jetzt hätte ich beinahe Lehrer geschrieben…) ausgeteilt, jeder sitzt dabei unruhig auf seinem Platz und wartet, bis sein Name aufgerufen wird um sich die Klausur abzuholen und dann aufgeregt tuschelnd mit den anderen Kursteilnehmern zu vergleichen.

Mir persönlich gefällt aber das nordamerikanische System im Vergleich zum deutschen Ich-versuche-während-des-Semesters-mit-zu-lernen-aber-presse-mir-den-Stoff-dann-doch-erst-in-letzter-Miunte-vor-den-Endklausuren-rein fast besser. Klar, man hat mehr zu tun und hat eigentlich immer irgendeine Aufgabe für die Kurse zu erfüllen, aber ich habe dank des kanadischen Systems das Gefühl, wirklich etwas vom Stoff mitgenommen und verinnerlicht zu haben und nicht nur stur etwas für eine Klausur zu lernen.

((Neben all diesen „bürokratischen" und unitechnischen Sachen galt es dann auch noch Ausflüge zu organisieren, um möglichst viel von Kanada zu sehen. Anders als bei dir, ist hier die Freizeit nicht von der Uni geplant, es gibt natürlich Uni-Sportmannschaften und Hochschulgruppen – aber die sind ehr wie in Deutschland auf freiwilliger Basis und werden nicht allzu ernst genommen.

Aber dafür gab es bei uns von der Wirtschaftsfakultät organisiert Ausflüge: Ich habe an zwei der vier angebotenen teilgenommen.  Diese organisierten Trips haben zwar den Vorteil, dass man sich um eigentlich nichts kümmern muss, aber man kann dann auch nicht so frei auf Entdeckungstour gehen, wie man möchte. Es gilt Treffpunkte mit der Gruppe im Hotel einzuhalten oder an zusätzlichen Programmpunkten teilzunehmen – und die müssen natürlich extra bezahlt werden.

Genau wie ihr haben wir uns dann also privat zusammengeschlossen und selbst Ausflüge in Nationalparks, Städtetrips und sonstige Erkundungstouren gestartet. Ein Erkenntnis dieser Unternehmungen: Entfernungen und Strecken werden hier ganz anders eingeschätzt! Findet man als Deutscher eine Fahr von Nürnberg nach Berlin lang und würde sie nicht für nur einen Tag auf sich nehmen, fährt man hier 6 Stunden im Auto irgendwo hin, ohne mit der Wimper zu zucken.

Und wenn man lange genug hier ist, übernimmt man diese Einstellung: Ich bin zu Beispiel mit Freunden an einem Tag morgens 5,5 Stunden nach Ottawa gefahren, wir haben uns die kanadische Hauptstadt angeschaut und sind abends die gleiche Strecke wieder zurück gefahren. Kein Problem!

Auch in Québec gibt es sehr viele internationale Studierende (vor allem sehr viele Deutsche), die sich dann „zusammenrotten" was es schwierig macht, „richtige Kanadier" kennen zu lernen. Hier konnte ich aber von den Gruppenarbeiten profitieren, um mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und außerdem hatte ich eine „marraine" (also „Patin", eine nette einheimische Studentin, die sich ein bisschen um mich gekümmert hat).

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Was mit an Kanada und Québec fehlen wir fragst du. Das kann ich dir genau sagen – ich bin mittlerweile ja schon wieder in Deutschland angekommen. Auf der einen Seite sind es große Dinge: Nationalparks, die Sprache, die Freundlichkeit und Offenheit der Kanadier, der Kaffee bei Tim Hortons, Elche, die rot-weiße Flagge mit dem Ahornblatt, kanadisches Essen... Und dazu kommt einfach ein gewisses „Kanadisches feeling", das ich nicht beschreiben kann, weil es einfach eine ganz besondere Atmosphäre war und die ich vermisse.

Auf der anderen Seite fallen mir durch meinen Aufenthalt in Kanada ganz normale Sachen in Deutschland auf, die ich jetzt komisch find: Euro-Scheine und Münzen? Wie koomisch! Ich will Dollars zurück! Wie sehen die Getränkeflaschen hier denn aus? So hoch und dünn – wie lustig! Ach so, Steuern sind in den Preisen schon eingerechnet und man bekommt nicht automatisch kostenlos Wasser in Restaurants.

Wie ich am Anfang schon geschrieben habe – es ist schön, wieder zu Hause zu sein, denn zu Hause ist nun mal zu Hause. Aber ich wäre gerne noch länger in Kanada geblieben, das Land fehlt mir jetzt schon! Deswegen: Genieße die restliche Zeit in den USA! Ich freue mich schon auf unser nächstes gemeinsames Semester in Bayern, wenn wir uns wieder „in echt" sehen!

Viele liebe Grüße,

deine Linda

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