Wenn die Armee alles plattmacht

6.11.2014, 17:26 Uhr
Wenn die Armee alles plattmacht

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„Es wäre besser, sie würden uns töten, anstatt uns so leben zu lassen“, sagt Msaed il Hammed – einen Tag, nachdem sie ihr Zuhause und den Großteil ihres Besitzes verloren hat. Ihr Gesicht ist dabei voller Tränen der Verzweiflung.

Am Vortag um zehn Uhr war die israelische Armee mit Abrissfahrzeugen nach Khirbet Yarza gekommen. Innerhalb einer Stunde hatten die 50 Soldaten vier Zelte, zwei Viehunterstände sowie einen Großteil der Lebensmittel, der Küchenutensilien und des Viehfutters zerstört – das Zuhause und die Existenzgrundlage von 16 Menschen, darunter zehn Kindern.

In Khirbet Yarza, einem abgelegenen Dorf etwa 20 Kilometer nordöstlich von Nablus, leben elf Familien, insgesamt etwa hundert Leute. Sie leben vor allem von der Landwirtschaft. Die Männer sind tagsüber mit ihren Ziegen- und Schafherden unterwegs, um in der kargen Hügellandschaft Weideflächen zu finden.

Auch vor der Zerstörung durch die israelische Armee war das Leben von Msaed und ihrer Familie nicht einfach: Sie teilte sich mit ihrer Familie und der Familie ihres Sohnes vier Zelte und war auf Lebensmittel des Welternährungsprogramms angewiesen. Fließend Wasser gibt es hier nicht. Wasser wird in einem nahegelegenen Dorf gekauft und in Tanks nach Khirbet Yarza gebracht.

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Vor einem Jahr hatte die Familie einen Abrissbescheid bekommen: Das Gebiet, in dem das Dorf liegt, war von Israel zur Militärzone erklärt worden. Vor Gericht wurde zwar erreicht, dass der Fall auf Eis gelegt wurde – allerdings ohne Zeitangabe. Msaeds Familie hatte seitdem jeden Tag mit der Zerstörung ihres Besitzes zu rechnen.

Als die israelische Armee dann mit den Baggern auftauchte, blieb den Leuten keine Gelegenheit, etwas von ihrem Besitz zu retten: Die Küchenutensilien wurden zertrümmert, das Getreide auf dem Boden verteilt und einige Hennen unter den Trümmern begraben. Auch die Solaranlage, die von einer spanischen Hilfsorganisation finanziert worden war und die Familie mit Strom versorgt hatte, war nicht mehr zu gebrauchen.

Für die Nacht wurden die Kinder und die meisten Frauen in den nächsten größeren Ort gebracht. Msaed und die Männer blieben jedoch in Khirbet Yarza bei ihren Tieren und übernachteten unter freiem Himmel.

Was die Situation zusätzlich verschärft hat, ist die Tatsache, dass das Internationale Komitee des Roten Kreuzes keine Zelte mehr als Notunterkünfte für von Hauszerstörungen betroffene Familien im Jordan-Tal zur Verfügung stellt. Der Grund: Das israelische Militär hat bereitgestellte Zelte wiederholt beschlagnahmt. Erst einen Tag nach der Hauszerstörung wurde Msaeds Familie von anderen Hilfsorganisationen mit Zelten, Decken, Lebensmitteln und den nötigsten Sanitärartikeln versorgt.

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Von drei Seiten umgeben

Die etwa einstündigen Fahrten ins Jordan-Tal zu Familien, deren Behausungen abgerissen wurden, waren nur ein Aspekt unserer Arbeit. Stationiert waren wir in Yanoun in der Nähe von Nablus. Unser internationales Team dort bestand aus fünf ökumenischen Begleitpersonen (EAs).

Yanoun ist ein kleines Dorf mit nur 80 Einwohnern, die von der Landwirtschaft leben. Das Besondere ist, dass das Dorf von drei Seiten von Außenposten der illegalen israelischen Siedlung Itamar umgeben ist. Die Siedler sind als gewalttätig bekannt, und als die Gewalt im Jahr 2002 eskalierte, flohen die Familien aus Yanoun.

Nur dank internationaler Präsenz konnten die Bewohner in ihr Dorf zurückkehren. Unsere wichtigste Aufgabe war daher, mit mindestens einem EA rund um die Uhr im Dorf präsent zu sein. Doch auch das konnte nicht verhindern, dass die Siedler einmal 115 Olivenbäume fällten.

Ein weiterer bedeutender Bestandteil unserer Arbeit war die Begleitung von Kindern auf ihrem Schulweg, unter anderem in dem Ort As Sawiya, wo Soldaten jeden Tag anwesend sind. Dort beobachteten wir, wie die Schüler an sogenannten Flying Checkpoints von oben bis unten abgetastet wurden. Auch ihre Taschen wurden durchsucht.

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An anderen Tagen schossen die Soldaten Tränengas und Blendgranaten auf die Schule – mit der Begründung, die Jungen hätten Steine auf vorbeifahrende Autos von Siedlern geworfen. Einmal wurde ein 16-jähriger Schüler auf dem Nachhauseweg wegen angeblichen Steinewerfens von Soldaten verhaftet. Erst nach knapp zwei Wochen kam er gegen Kaution aus der Militär-Haft frei. Was er später über seine Behandlung und die Verweigerung grundlegender Rechte berichtete, war schockierend. Sonntags fuhren wir nach Nablus, um Gottesdienste der verschiedenen Konfessionen zu besuchen. So wollten wir unsere Solidarität insbesondere mit den Christen im Heiligen Land zum Ausdruck bringen.

Die Arbeit war nicht immer leicht, manche Situationen waren nur schwer zu ertragen. Die Menschen, die wir getroffen haben, waren jedoch immer sehr freundlich und dankbar, dass sich jemand für ihr Leben unter schwierigsten Bedingungen interessiert. Für mich war diese Zeit eine große Bereicherung. Und ich habe viel gelernt, sowohl über das Leben unter israelischer Besatzung, als auch über die palästinensische Kultur.

 

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