Dönermorde: Waffe bleibt einzige Spur

8.9.2010, 09:26 Uhr
Dönermorde: Waffe bleibt einzige Spur

© dpa

Sein Mitarbeiter hat Urlaub und so muss der Chef selbst ran: Es ist Samstagnachmittag, der 9. September 2000, als Blumenhändler Enver S. aus dem hessischen Schlüchtern an seinem Stand in Nürnberg aushilft. Der 38-Jährige befindet sich im Lieferwagen als der oder die Täter heranschleichen. Aus zwei Pistolen fallen neun Schüsse. Enver S. stirbt zwei Tage später im Krankenhaus.

Mit seinem Tod beginnt eine der mysteriösesten Mordserien der europäischen Kriminalgeschichte, in deren Verlauf zwischen 2000 und 2006 acht türkischstämmige Männer und ein Grieche in Deutschland erschossen werden. Wie ein Phantom schlägt der Täter zu, häufig tagsüber, manchmal in belebten Straßen, immer ohne Zeugen und immer mit der selben Pistole - einer Ceska, Modell 83, Kaliber 7,65 Millimeter mit Schalldämpfer.

In Nürnberg, München, Hamburg, Dortmund, Rostock und Kassel hinterlässt er seine Blutspur. Die Opfer betreiben meist ein Kleingewerbe: Internetcafes, Obst-Gemüse-Handel, Kioske oder eben Dönerbuden, nach denen die Mordserie letztlich benannt wird.

Die Polizei richtet in Nürnberg die Sonderkommission «Bosporus» ein. Zeitweise fahnden bundesweit mehr als 160 Ermittler nach dem Phantom. Sie verfolgen 3500 Spuren und überprüfen 11 000 Personen. Aber Täter und Motiv bleiben verborgen. Selbst eine Verbindung zwischen den Opfern lässt sich nicht finden. «Unserem Wissen nach, kannten sich die Männer nicht», sagt Georg Schalkhaußer, Vize-Chef der Kriminalpolizei Mittelfranken.

Ende vergangenen Jahres wurde die Soko aufgelöst, heute befassen sich fünf Fahnder des Kommissariats für offene Fälle mit der Mordserie. Der 46-Jährige Schalkhaußer leitet die verbleibenden Ermittlungen. «Heiße Spuren haben wir keine mehr.» Aber noch immer sind für den entscheidenden Tipp 300 000 Euro Belohnung ausgesetzt.

Im Juni 2001 tötet der Täter ein zweites Mal in Nürnberg: Mit zwei Schüssen in den Kopf tötet er den Schneider Abdurahim Ö. in dessen Atelier. Dann werden ein Hamburger und ein Münchner Obst- und Gemüsehändler ermordet - mit Kopfschüssen aus der Ceska.

«Der Täter nimmt nun die Patronenhülsen mit», sagt Schalkhaußer. Medien vermuten, er schieße durch eine Plastiktüte. Nach einem weiteren Mord in Rostock, erschießt der Täter 2005 Ismail Y. einen beliebten Nürnberger Döner-Verkäufer. Schüler trauern um den 50- Jährigen, bei dem sie oft Essen holten.

Der ehemalige Soko-Chef Wolfgang Geier (55) leitet mittlerweile die Kripo Unterfranken. Trotzdem verfolgen ihn die Taten. «Ich mache mir Gedanken, ob wir wirklich alles versucht haben», sagt er. Mehr als 30 Millionen Datensätze, EC-Karten-Bewegungen und Handytelefonate und hätten sie geprüft, ihre Akten ein Zimmer gefüllt.

Noch drei Morde folgen, bis die Serie 2006 plötzlich abreißt. «Vielleicht ist der Täter gestorben, sitzt im Gefängnis oder hat aufgehört, weil wir ihm zu nahe gekommen sind», vermutet Geier. Sicher kann er nicht sein. «Es ist ein kleiner Alptraum, dass er noch einmal zuschlägt.»

Zwei Theorien beschäftigen die Beamten: «Eine organisierte Gruppe bestraft Mitglieder - oder ein Einzeltäter tötet aus Hass», erklärt Geier, der eher an die zweite These glaubt. Schalkhaußer will sich nicht festlegen, sagt aber, dass alle Ermittlungen in Richtung organisierte Kriminalität, in Drogen- und Wettmafia-Szene im Sand verlaufen seien.

Um im türkischen Milieu besser zu ermitteln, greifen die Beamten auf türkische Kommissare zurück. Ein Profiler wird hinzugezogen, aber wechselnde Tatmuster machen es ihm schwer. Selbst als die Ermittler im Fernsehen an die Öffentlichkeit gehen, tut sich keine heiße Spur auf.

Eine Ironie der Geschichte: Die Polizei selbst verschafft einigen Verdächtigen beste Alibis. Sie fallen als Täter aus, weil sie während des nächsten Mords observiert werden. Zeitweise gerät ein Verfassungsschützer aus Kassel ins Visier. Wieder Fehlanzeige. Schalkhaußer sagt offen und selbstkritisch: «Das ist ein Misserfolg.»

Neben der südländischen Herkunft und den Kleingewerben bleibt die Waffe der einzige «rote Faden». «Deren Spur führt in die Schweiz», sagt Barbara Hübner vom Bundeskriminalamt (BKA). Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehöre die Waffe zu einer Lieferung von 24 Pistolen, die der tschechische Hersteller Ceska Zbrojovka 1993 an den schweizerischen Waffenimporteur Luxik verschickt habe.

Die Firma gibt es heute nicht mehr. «Trotzdem haben wir 16 der Waffen ermittelt und überprüft, acht fehlen», sagt Hübner. Die Seriennummern hat das BKA im Internet veröffentlicht. Es bleibe die Hoffnung auf den entscheidenden Tipp, sagt Ex-Soko-Chef Geier zerknirscht - oder darauf, dass jemand bei einer Kontrolle mit der Waffe im Gepäck angehalten werde. «Der müsste dann einiges erklären.»