Rundreise auf der Spur des Weihrauchs

Durch die Krippe weht heiliger Duft aus dem Oman

24.12.2021, 07:44 Uhr

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Zuerst ist da dieser Geruch: Etwas beißend, leicht süßlich startet er sofort das Kopfkino – zumindest der Katholiken: Mit Bildern eines Pfarrers, der ein qualmendes Messinggefäß schwenkt, dem Geräusch der daran rasselnden Kette und entweichenden Rauchschwaden, die durchs Kirchenschiff ziehen: Ein Weihnachtsgottesdienst flimmert vorm inneren Auge vorbei – dabei stehen wir mitten im Markttreiben der omanischen Hauptstadt Muscat.

Die Augen scannen Marktstände des engen, dunklen Souqs ab und bleiben zwischen T-Shirts, Silberschmuck und Wasserpfeifen hängen an einem faustgroßen, zipfelmützenartigen Tongefäß mit kunstvoll geformten Öffnungen. Aus ihnen steigt kaum sichtbar eine Rauchfahne. "Wieruch, Wieruch", ruft der dahinter kauernde Händler in gebrochenem Deutsch, "trrii Rial, only trrii Rial" und zeigt auf kleine Päckchen mit kandiszuckergroßen Weihrauchstücken. Drei Rial sollen sie kosten, umgerechnet etwa sechs Euro. Fahad, unser Führer und Fahrer durch eine Woche Oman schlendert ohne Seitenblick weiter – Weihrauch gibt's woanders billiger – und in besserer Qualität.

Omans National-Geruch

So gerät Omans National-Geruch für eine Weile aus dem Blickfeld – auch, weil sich ein Mann ständig hinein drängelt: Sultan Qaboos Al Said. Mal gütig, mal mahnend schaut der ehemalige absolutistische Herrscher seine Untertanen von Ladentheken, Wimpeln und Geldscheinen an – seit Jahrzehnten: Im Jahre 1964 von der Militär-Ausbildung in England und Deutschland zurückgekehrt, bekam Qaboos Hausarrest vom Vater, stürzte ihn 1970 und übernahm einen abgeschotteten, verarmten Winkel rechts unten auf der arabischen Halbinsel, etwas größer als Deutschland.

In einem Souk quamlt Weihrauch in einem typischen Tonschälchen vor sich hin und soll die Kunden betören.  

In einem Souk quamlt Weihrauch in einem typischen Tonschälchen vor sich hin und soll die Kunden betören.   © Giuseppe Cacace/AFP

Nur elf Kilometer asphaltierte Straße gab es damals im Oman, ein Krankenhaus, drei Koranschulen, 98 Prozent Analphabeten, Sonnenbrillen- und Radioverbot. Heute können fast 90 Prozent der omanischen Männer und 70 Prozent der Frauen lesen und schreiben, bestens ausgebaute Straßen führen in jedes noch so entlegene Dorf und dort auch zu einem "Medical Center". Steuern? Gibt's nicht. Noch verdient der Staat genug mit Öl und Gas. Seit 2020 regiert Qaboos' Cousin Haitham bin Tarik Al Said, nachdem der ewige Sultan starb.

Aber seine Ideen leben weiter im Oman: So gab er einen besonders betörenden Duft in Auftrag: "Unser Öl und Gas reichen nicht ewig", soll Sultan Qaboos schon früh gesagt haben – "lasst uns mit Parfum anfangen!" Guy Robert wurde eingeflogen, einer der besten französischen Parfumeure. "Erschaffe mir das teuerste Parfum der Welt, Geld spielt keine Rolle, aber omanischer Weihrauch muss drin sein", soll der Sultan gesagt haben.

Das teuerste Parfum der Welt

Ein Jahr experimentierte Guy Robert, mixte Weihrauch so lange mit Zedernholz, Koriander, Rosen oder Jasmin, bis "Amouage" herauskam. Im Flakon aus Sterling-Silber für 1 000 US-Dollar. Der Preis ist inzwischen auf einige hundert Dollar abgesackt, aber die Marke hat sich gehalten – alle 12 Monate kommt ein neuer "Jahrgang" mit Weihrauch als Pflicht-Inhalt – aus einer unscheinbaren, kleinen Fabrik an einer Ausfallstraße.

Ernte an einem Weihrauch-Baum. Das kostbare Harz ist wie Gummi und wird mit der Hand abgekratzt.  

Ernte an einem Weihrauch-Baum. Das kostbare Harz ist wie Gummi und wird mit der Hand abgekratzt.   © imago images/imagebroker

Ein paar Kilometer weiter geht's ins Landesinnere, von der Küste aufs 2 000 Meter hohe Gebirgsmassiv Jebel Akhdar. Draußen vor den Autoscheiben in der Gluthitze wandern kupferbunte Bergketten und Geröllhalden vorbei. Mittendrin die alte Hauptstadt Nizwa mit entwaffnend gastfreundlichen Omanis. "You want Dates?" rufen zwei Stoffhändler – das englische Wort für Datteln – und laden zum "Qahwa", einem eher dünnen Bohnen-Gebräu, serviert in traditionell henkellosen Espressotassen auf einem Teppich. Ibrahim Al-Remal Al-Daphia hat der einstigen First Lady Bettina Wulff schon Weihrauch verkauft – zu sehen auf einem Foto, das um die Ecke im Tante-Emma-Laden des Händlers hinterm Spiegel klemmt.

Gegen Insekten und böse Geister

Die Frauen hierzulande raffen ihre langen Gewänder kurz knöchelhoch, schieben ein tönernes Weihrauch-Stövchen drunter und lassen den Rauch aufsteigen, bis er an Kopf und Schultern herausquillt. Oft ist der Weihrauch mit Sandelholz, oder Myrrhe versetzt. "Wenn wir Allah begegnen, wollen wir gut riechen", sagt die 29jährige Wafaa, eine der wenigen Frauen, die auf offener Straße mit Besuchern aus Europa sprechen. Sie erzählt, dass viele Familien ihre Häuser von innen mindestens einmal täglich mit Weihrauch bedampfen – um Insekten zu vertreiben und böse Geister.

In der Nähe der Stadt Salalah, im äußersten Westen des Omans nahe der jemenitischen Grenze, führt Fahad auf ein Hochplateau. Geröll und Staub soweit das Auge reicht. Mittendrin ein paar unscheinbare, niederstämmige Bäume namens "Boswellia Sacra", kaum drei Meter hoch, knorrig und verzweigt. Fahad ritzt den Stamm mit einem Spatel vorsichtig ein. Heraus quellen weiße, milchige Harztropfen und gerinnen. "Der erste, aber nutzlose Weihrauch", erklärt Fahad, "die Besitzer der Bäume schaben ihn nach ein paar Tagen ab und ritzen den Baum erneut."

Diesen Weihrauch kann man sogar trinken

Das dann austretende, beigefarbene Harz wird ebenfalls von der "Baumwunde" abgeschnitten und in Stücken zum Trocknen für drei Wochen in die Sonne gelegt. Dann ist dieser Weihrauch soweit gereift, dass er im Souq verkauft werden kann – zum Verbrennen auf Glühkohle im Stövchen. Der dritte Weihrauchschnitt – mal silbrig, mal grün schimmernd – ist der edelste und wird von den Omanis in Wasser eingelegt getrunken. Das soll gegen Halsschmerzen helfen, die Liebeskraft steigern und bessere Schulnoten bescheren.

Antiken Geschichtsschreibern zufolge lebten rund um Salalah, in Omans südwestlicher Provinz Dhofar, vor gut 2000 Jahren die reichsten Menschen der Welt: Weihrauch-Händler. Sie hatten das Monopol aufs Harz, damals begehrter als Gold und heiß ersehnt in griechischen und römischen Tempeln. Allein ins Römische Reich sollen 3 000 Tonnen Weihrauch jährlich geliefert worden sein.

Per Kamel kam es über die Weihrauch-Straße, die älteste Handelsroute der Welt: Drei Monate waren die Karawanen unterwegs, über Medina bis nach Gaza. Vielleicht kauften hier auch Caspar, Melchior und Balthasar ihren Weihrauch, bevor sie ihn als heilige drei Könige aus dem Morgenland in Bethlehem ans Jesuskind verschenkten.

Mehr Informationen:
https://experienceoman.om/de, Tel.: 00 33 / 1 47 20 / 56 06
Anreise:
Oman Air fliegt mehrfach pro Woche von Frankfurt und München nach Muscat. Viele Reiseveranstalter bieten pauschale Rundreisen mit Stationen in Weihrauch-Gegenden wie Salalah an.
Beste Reisezeit:
November bis Ende Mai, dann ist es angenehm warm und nicht zu heiß.
Attraktionen:
Schlafen in "Desert Night Camps", Kamelreiten, Trekking, Quad-Bike-Fahrten durch die Dünen oder Sandboarding.

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