Effektiver arbeiten: Sind alternative Arbeitszeiten die Lösung?

17.2.2020, 05:56 Uhr
Immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern flexiblere Schichten oder geben generell eine niedrigere Arbeitszeit vor und das bei vollem Gehalt.

© Uwe Voelkner / Fotoagentur FOX Immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern flexiblere Schichten oder geben generell eine niedrigere Arbeitszeit vor und das bei vollem Gehalt.

Wenn Erich Erichsen seine Mitarbeiter in den Feierabend schickt, zeigt die Uhr gerade mal 13 Uhr. Fünf Stunden lang, von acht Uhr bis zur Mittagszeit sitzen die fünf Angestellten in dem Hamburger Büro in der Friedrich-Ebert-Allee, dann dürfen sie nach Hause – und bekommen trotzdem das volle Gehalt.

Erst Anfang Januar führte der Steuerberater die 25-Stunden-Woche ein. "Der Anstoß dazu kam durch eine meiner Mitarbeiterinnen." Sie wollte ihre Arbeitszeit von 37 auf 29 Stunden reduzieren, um mehr Zeit für die Familie zu haben. "Wir haben dann ihre Aufgaben nicht sofort reduziert, sondern wollten abwarten, wie viel sie in der Zeit erledigen kann." Das Ergebnis: "Sie schaffte dasselbe Pensum, trotz weniger Stunden. Das hat mich zum Nachdenken gebracht."


Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten systematisch erfassen


Erichsen liest sich ein, befragt seine Mitarbeiter, zusammen fällt die Entscheidung: die 25-Stunden-Woche soll kommen. "Damit das funktioniert, muss man in der verbliebenen Zeit aber hoch effektiv arbeiten", so Erichsen. Also eliminiert das Team zunächst alles, was Zeit frisst: Soziale Medien checken, private Gespräche führen, Nachrichten auf dem Smartphone schreiben. Für die Beantwortung der Arbeitsmails wird eine feste Zeit vereinbart, das morgendliche Meeting auf 15 Minuten begrenzt. "Ich sehe in solchen Modellen die Zukunft. Denn bislang wird in Deutschland immer noch die Arbeitszeit vergütet und nicht die Arbeitsleistung. Das muss sich ändern. Denn mehr Freizeit bedeutet auch eine höhere Motivation der Mitarbeiter."

Junge Generation will nicht weniger arbeiten

Kürzere Arbeitszeiten einzuführen, mit einem solchen Vorschlag hatte vor einigen Monaten auch die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin für Wirbel gesorgt. Allerdings: Im Regierungsprogramm ist eine solche Veränderung nicht verankert.

Wie in Finnland ist auch in Deutschland die Arbeitszeit per Gesetz auf maximal acht Stunden pro Tag festgelegt, in Ausnahmefällen sind auch zehn Stunden möglich. Dass die breite Masse allerdings zunehmend weniger lang arbeiten will, kann man so nicht bestätigen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Bereits mehrfach hat der Wissenschaftler Umfragen unter Beschäftigten ausgewertet, setzt sich seit Jahren mit dem Thema auseinander. "Häufig wird behauptet, die junge Generation will mehr Freizeit. Das stimmt so generell nicht." Laut Weber sei für Arbeitnehmer ein anderer Faktor entscheidend: "Es geht heute viel mehr um Flexibilität, also wie kann ich meine Arbeit einteilen und über meine Zeiten bestimmen und – begrenzt auf eine bestimme Zeit – auch mal reduzieren", erklärt Weber. So würden zwar viele Arbeitnehmer in einer bestimmten Lebensphase gerne ihre Arbeitszeit reduzieren, dann aber wieder in Vollzeit zurückkehren wollen.

Eine Möglichkeit, die seit 2019 gesetzlich verankert ist. Seitdem können Arbeitnehmer eine befristete Teilzeitphase nehmen, haben dann die Garantie wieder in Vollzeit zurückkehren zu können. Voraussetzungen ist, dass der Mitarbeiter seit mindestens sechs Monaten beschäftigt ist. "Dieses Gesetz ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Es hat allerdings eine Schwachstelle. Denn reduziert man seine Arbeitszeit zum Beispiel befristet für ein Jahr, hat man danach dieses Recht ein Jahr lang nicht mehr." Weber hält das für wenig praktikabel. "So weit im voraus zu planen, ist schwierig."

Flexiblere Arbeitszeitmodelle, das wünscht sich auch die Wirtschaft. Eine gesetzlich verkürzte Arbeitszeit lehnt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, aber ab: "Statt einer weiteren Arbeitszeitverkürzung brauchen wir flexible Arbeitszeiten und eine Anpassung des Rechtsrahmens an die Erfordernisse der digitalen Arbeitswelt." Insbesondere die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden findet er nicht mehr zeitgemäß. "Unser Ziel ist keine Erhöhung des Arbeitszeitvolumens, sondern eine flexiblere Verteilung der Arbeitszeit – weg von einer täglichen hin zu einer wöchentlichen Betrachtung der Höchstarbeitszeit."

Auf Gewerkschaftsseite sieht man das anders: "Wenn die Arbeitgeberseite von mehr Flexibilität spricht, meint sie immer Flexibilisierung in ihrem Sinne", kritisiert der Vorsitzende des DGB Bayern, Matthias Jena. Er plädiert dafür, Arbeitnehmern künftig mehr Wahlmöglichkeiten zu lassen, so wie es bereits in den Tarifverträgen mehrerer Branchen steht.

So setzte die EVG, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, als erste Gewerkschaft ein Wahlmodell durch, das es den Arbeitern erlaubt, zwischen mehr Urlaubstagen und mehr Gehalt zu wählen. Und das wird angenommen: "Bundesweit entschieden sich 56 Prozent der Beschäftigten der Deutschen Bahn für mehr Freizeit anstatt für zusätzliches Geld."

Eine gesetzlich verkürzte Arbeitszeit hält allerdings auch Jena nicht für praktikabel. Ein viel größeres Problem seien dagegen Überstunden: "Jeden Tag werden in Bayern hundertfach Überstunden gemacht. Im Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2019 wurde erfasst, dass es durchschnittlich fast fünf Überstunden pro Beschäftigen pro Woche sind." Das hieße, dass Beschäftigte in der Regel viel mehr arbeiten würden als in ihrem Vertrag verankert – meist ohne dafür bezahlt zu werden. "Damit muss Schluss sein. Es muss erfasst werden, wie viel gearbeitet wird."

Erichsen will bald eine erste Bilanz ziehen

Überstunden beim 25-Stunden-Tag gibt es auch noch bei den Mitarbeitern der Steuerberatung in Hamburg, räumt Erichsen ein. "Wir haben ja erst vor vier Wochen umgestellt, aber wir bleiben dran, dass es keine Überstunden mehr gibt." Während der Steuerberater bei seinen Angestellten an den neuen Arbeitszeiten festhält, macht er bei sich eine Ausnahme. "Um meine Mandantentermine einhalten zu können, muss ich Einschränkungen in Kauf nehmen." Deswegen arbeitet er an zwei Wochentagen auch nachmittags. "Ansonsten nehme ich mir frei. Wir haben auch unsere Mandaten darüber informiert und gutes Feedback bekommen."

In einigen Wochen will Erichsen eine erste Bilanz ziehen, wie das neue Modell funktioniert. "Ich glaube aber daran, dass Arbeitszeit heute neu gedacht werden muss. Das wird ja auch klar, wenn man sich anschaut, wo unsere 40-Stunden-Woche historisch herkommt". Zeitgemäß sei das heute längst nicht mehr.

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