England: Das Land der Teenager-Mütter

7.10.2009, 00:00 Uhr
England: Das Land der Teenager-Mütter

© Dinkelmeyer

in England keine Seltenheit. In keinem anderen europäischen Land werden so viele Jugendliche schwanger. 2007 waren es 40 298 Mädchen unter 18 und 7715 unter 16. Damit sind vier von 100 Schwangerschaften Teenagerschwangerschaften – doppelt so viele wie in Deutschland und sogar sechs Mal so viele wie in den Niederlanden.

Seit 2000 hat die britische Regierung 280 Millionen Pfund für eine Vielzahl an Maßnahmen wie etwa Kampagnen für Verhütungsmittel ausgegeben, um diese Rate zu senken. Aber in England sind Teenagerschwangerschaften nicht nur ein gesundheitliches Problem, das man durch verbesserte Aufklärung verringern könnte. Sie sind vor allem ein soziales Problem, das mit niedrigem Bildungsniveau und sozialer Ausgrenzung einhergeht.

Heute ist Jane 21 Jahre. Ihr Sohn Josh ist vier, frech, blauäugig. Vor kurzem hat er Rollerskates für sich entdeckt, mit denen er jetzt durch ihre kleine Wohnung in New Maden, einem Vorort im Südwesten Londons, düst. Janes Schwester wohnt nebenan, ihre Mutter am Ende der Straße. Nach turbulenten Jahren fühlt sich Jane hier endlich zu Hause.

Auch Emma lebt heute ein anderes Leben. Die zierliche, junge Frau war 17, als sie vor fünf Jahren schwanger wurde. Auch sie war nicht die erste in ihrer Familie, die früher als andere erwachsen werden musste. Ihr Vater wurde ebenfalls schon als Jugendlicher Vater. Seine erste Frau war mit 16 schwanger.

Emma sitzt auf dem roten, großen Sofa in ihrem kleinen Haus in Chessington, im Südwesten Londons, ihre Katze schmiegt sich an ihre Beine. «Sie war geplant», sagt sie geradeheraus, während sie ihrer Tochter Chloe beim Spielen zuschaut. Nachdem sie die Schule beendet hatte, jobbte sie in einem kleinen Café in der Nachbarschaft. Es sei nichts Besonderes gewesen, erzählt sie schüchtern. Ihr damaliger Partner war neun Jahre älter. «Er hat es entschieden. Er sagte «komm lass uns ein Baby bekommen – und alles was mir dazu einfiel, war ‚wow OK’.» Erst heute sei ihr klar, dass er sie vollkommen kontrolliert habe.

Sowohl auf Emma als auch auf Jane treffen einige der sogenannten Risikofaktoren zu, die es wahrscheinlicher machen, dass man im Jugendalter schwanger wird. Nach einem Bericht des Referats für Teenagerschwangerschaften im Ministerium für Kinder, Schulen und Familien ist es bei Töchtern von Teenager-Müttern doppelt so wahrscheinlich, dass auch sie selbst Teenagermütter werden. «Die Forschung zeigt, dass Armut, niedrige Bildung und Probleme in der Familie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, im Tee-nageralter schwanger zu werden. Und genau diese Bedingungen sind immer noch präsent, wenn das Baby einer Teenager-Mutter selbst zu einem Teenager wird», erklärt David Paton, Professor für Ökonomie an der Uni Nottingham und Experte für die gesellschaftlichen Ursachen von Teenagerschwangerschaften.

«Ich glaube, mein Vater hat erkannt, wie mein Freund war. Er wollte wütend auf mich sein, als er es herausfand», erinnert sich Emma. Aber dann wiederum, sagt sie, habe er sie nicht für etwas verurteilen können, was auch er selbst erlebt habe.

Nachdem Jane ihrem Vater von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte, sprach er sechs Monate lang nicht mit ihr. «Es hat ihm das Herz gebrochen, dass ich dasselbe wie meine Mutter durchleben musste», sagt Jane. Mit der Entscheidung, ob sie das Kind behalten solle, wurde sie alleine gelassen. «Für mich hat es sich so angefühlt, als würde jeder von mir erwarten, dass ich abtreibe. Aber tief in meinem Herzen habe ich immer gewusst, dass ich es sowieso behalten würde.»

Gegenwärtig enden in Großbritannien fast die Hälfte der Schwangerschaften unter 18 in Abtreibungen. Was jedoch hervorsticht: In sozialen Brennpunkten ist dieser Anteil um Einiges niedriger. Während in den am wenigsten benachteiligten Gegenden 71 Prozent aller Schwangerschaften unter 18 abgebrochen werden, sind es in den am meisten benachteiligten nur 39 Prozent. Zudem entscheiden sich Töchter von Teenager-Müttern viel häufiger für das Baby. Gill Frances, Vorsitzende der unabhängigen Beratungsgruppe für Teenagerschwangerschaften der Regierung, erklärt dies folgendermaßen: «Oft denken diese Mädchen, meine Oma hat es geschafft, meine Mama hat es geschafft, also werde ich es auch schaffen.»

Als Emma mit 16 die Schule beendete, hatte sie keinerlei Ambitionen oder Ziele. «Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich vorgehabt hätte, zur Uni zu gehen oder wenn ich überhaupt eine Ahnung gehabt hätte, was ich machen will», sagt sie. Stattdessen machte Emma damals das, was ihr Freund wollte. Wenn er ihr verbot, auszugehen, blieb sie zu Hause. Wenn er ihr nicht erlaubte, ihre Freunde zu treffen, sagte sie die Treffen ab.

«Schulische Leistungen haben einen enormen Einfluss», sagt Robert MacPherson, Manager der nationalen Kampagne im Referat für Teenagerschwangerschaften. Von den Mädchen, die die Schule mit 16 ohne jegliche Qualifikation verlassen, haben 29 Prozent ein Kind unter 18. Zwölf Prozent haben eine Abtreibung hinter sich. Im Vergleich dazu sind es bei den Mädchen, die erst mit 17 oder später die Schule verlassen, nur ein Prozent, die schwanger werden und vier Prozent, die abtreiben. «Niemand muss dir erklären, wie man nicht schwanger wird, aber sie sollten einem erklären, warum man nicht schwanger werden sollte. Ich habe nicht gewusst, warum ich warten sollte», gesteht Emma achselzuckend ein.

Von einem Kind erwarten sich viele junge Mütter nicht nur eine neue Aufgabe und eine neue Identität, sondern auch jemanden, der einen bedingungslos liebt. «Viele Teenager erzählen mir ,oh, ich wollte schon immer ein Baby, seit ich ein kleines Mädchen war‘», sagt Gill Frances. «Aber die große Mehrheit sagt, dass sie dann, wenn sie gewusst hätten, was es heißt Mutter zu sein, sich wahrscheinlich nicht darauf eingelassen hätten.»

Die Blicke der anderen Schüler, das Mustern der Lehrer – all das musste Jane in den letzten sechs Monaten ihrer Schulzeit alleine über sich ergehen lassen. Der leibliche Vater ihres Sohnes hat sie nie unterstützt. «Wir waren nicht zusammen, und er wollte kein Vater sein». Die erste Zeit nach Joshs Geburt hat sie in einer Einrichtung für Teenager-Mütter verbracht. «Mein Vater wollte mich und das Kind nicht unter seinem Dach haben.»

Zehn Monate nachdem ihre Tochter geboren war, hatte Emma den Mut, ihren Partner zu verlassen. «Eigentlich war es Chloe, die mir die Augen geöffnet hat, weil ich plötzlich realisiert habe, wie schlecht mein Leben vorher war», sagt sie. Ihr damaliger Partner darf sich ihr und der Tochter Chloe heute nach einigen ernsteren Vorfällen und einer einstweiligen Verfügung nicht mehr nähern.

In den vergangenen zehn Jahren hat das Referat für Teenagerschwangerschaften der britischen Regierung verschiedene Kampagnen und Programme ins Leben gerufen, die den Sexualkundeunterricht in der Schule verbessern, den Zugang Jugendlicher zu Verhütungsmitteln erweitern sowie Kliniken und Beratungsstellen jugendfreundlicher gestalten sollten. «Wir planen, Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren in der Schule zu behalten», sagt Mac Pherson. Eigentlich soll diese Initiative dem entgegenwirken, dass junge Leute die Schule ohne Abschluss verlassen und das allgemeine Bildungsniveau in Großbritannien verbessern. Das Referat für Teenagerschwangerschaften jedoch hofft, dass diese auch eine Auswirkung auf die Rate an Teenagerschwangerschaften hat. «Bildung ist die beste Form der Verhütung», sagt Jill Frances.

Auch Emma und Jane möchten erreichen, dass Jugendliche sich über ihre Zukunft Gedanken machen. Zwei Mal die Woche berichten sie in Sexualkundestunden in Schulen von ihren Erfahrungen und haben so den Einstieg ins Berufsleben geschafft. «Niemand von ihnen hat die leiseste Ahnung, wie es ist, Teenager-Mutter zu sein. Mit uns können sie sich identifizieren und sie können uns alles fragen», sagt Emma. Jane fügt hinzu: «Ich würde niemals sagen, kriegt das Kind nicht. Ich liebe Josh sehr. Aber ich will, dass sie wissen, wie es ist, eine Teenager-Mama zu sein.»

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