Günter Geier, Puppendoktor aus Leidenschaft

15.10.2017, 14:55 Uhr
Günter Geier, Puppendoktor aus Leidenschaft

© Engelhardt

Noch eine halbe Stunde, bis die Puppenambulanz im evangelischen Gemeindehaus öffnet. Vor der Tür stehen bereits einige Puppenbesitzer Schlange. Unter ihnen auch Herr Böhm. "Die Puppe hat meine Frau schon gehabt, mit der spielt meine Enkelin immer. Jetzt hat sie sie beim Spielen aus Versehen kaputt gemacht." Herr Böhms Puppe Michi fehlt ein Arm, doch das stellt für den Experten Geier kein Problem dar. In seiner Puppenambulanz hat er über 15.000 Ersatzteile, ob Arme, Beine, Köpfe oder Körper. Die geheilte Puppe kann Böhm am Nachmittag wieder abholen, damit seine Enkelin weiter mit ihr spielen kann.

Die erste Stunde ist Geier damit beschäftigt, neue Fälle entgegenzunehmen und Abholtermine zu vereinbaren. Den großen Ansturm erklärt er sich damit, dass er nur einen Tag in Feucht ist. Als er einmal in Aschaffenburg war, wollte er dort eigentlich nur zwei Tage bleiben. Daraus sind dann sieben geworden, da der Andrang viel zu groß war. „Da hab ich dann Tag und Nacht gearbeitet“, erinnert er sich.

"Die Leute haben ihre Puppen auf dem Dachboden und lesen in der Zeitung, dass der Puppendoktor in der Stadt ist. Daraufhin holen sie die Puppen vom Boden runter." In drei Tagen schafft der Puppen-Operateur 150 Puppen, in Feucht hat er jedoch nur einen Tag und muss schauen, dass er alle Puppen fertig stellt bevor die Liebhaber sie nachmittags wieder abholen. Die meisten Kunden wollen mit dem Reparieren ihrer alten Puppen Kindheitserinnerungen auffrischen. "Das sind ideelle Werte, die da kommen", meint Geier. Meist sind die Puppen Erbstücke, an denen viele Gefühle und Erinnerungen hängen.

Alle möglichen Verletzungen

Die häufigsten Operationen sind das Erneuern des Gummis in den Puppen, um die locker gewordenen Gliedmaßen wieder am Körper zu befestigen. Dafür benötigt Geier ungefähr eine Viertelstunde. Wenn ganze Gliedmaßen fehlen, ersetzt der Doktor diese mit einem der vielen Einzelteile aus seinem Puppenmobil, auch Augen und Perücken hat er für seine kleinen Patienten im Gepäck. Wenn er eine Sprechpuppe zur Behandlung hat, setzt Geier neue Sprechdosen ein, damit die Puppe wieder "Mama" sagen kann. Geiers Frau häkelt Klamotten für die ganz kleinen Puppen und bietet sie zum Verkauf an. Wann immer sie Zeit findet, begleitet sie ihren Mann als Puppenkrankenschwester auf seinen Reisen und hilft ihm, malade Puppen zu heilen.

Handelt es sich um einen schwereren Fall, nimmt Geier die Puppen zur Behandlung mit nach Hause in seine Werkstatt. Eine Feuchter Puppe braucht beispielsweise einen komplett neuen Stoffkörper, für dessen Anfertigung Geier eine Spezialnähmaschine benötigt. Bei seinem bisher schwersten Fall musste der bekannte Puppendoktor eine halb verbrannte Puppe, die ihre Besitzer gerade noch so aus einem brennenden Haus retten konnten, komplett neu aufbauen, wofür er eine ganze Woche gebraucht hat. Doch die Mühe war es wert: Die Puppe trug – nach erfolgreicher OP – keine bleibenden Schäden davon.

Nachfolger gesucht

Geier ist bereits seit 56 Jahren Puppendoktor und reist mit seiner Puppenambulanz durchs ganze Land. Zuerst machte er in Erlangen eine Lehre zum Schneider, dann lernte er einen Puppendoktor aus Oberhausen kennen, bei welchem er dann ein Praktikum machte. Anfangs war er noch misstrauisch.

Doch dann verwandelte sich das Praktikum in eine Berufung, und jetzt will er gar nicht mehr aufhören – muss es jedoch bald aus gesundheitlichen Gründen. "Ich mach das mit Leidenschaft und Liebe, sonst würde ich das ja nicht mehr machen. Ich mein, wer arbeitet denn noch mit 77?" Bis Weihnachten hat er noch Termine, danach muss er jedoch schauen, ob er noch weiterarbeiten kann. Deshalb sucht er schon länger einen Nachfolger, der sein seltenes Handwerk fortführt.

Dem Puppendoktor liegt nicht nur das Wohl der Plastik-Kinder am Herzen, auch für echte Kinder setzt er sich ein. In den vergangenen zehn Jahren habe Geier über 100.000 Euro aus dem Erlös seiner Tätigkeit an verschiedene wohltätige Organisationen wie Ein Herz für Kinder gespendet. "Meine Frau sagt immer, ich hab ein Helfersyndrom", erklärt er lachend. Außerdem war er über 100-mal in Kroatien, um humanitäre Hilfe für Kinder zu leisten. Dafür ist er in Zagreb bereits mehrmals ausgezeichnet worden.

100 Jahre alte Puppe

Das Ehepaar Pölzl bringt sein 100 Jahre altes Sorgenkind: Jeanettes Arme liegen abgetrennt neben ihrem Körper, ein Bein ist zu kurz. "Das ist ein uraltes Ding, die hab ich von meiner Mutter vererbt bekommen", erzählt Frau Pölzl. Geier gibt ihr einen Abholschein und sagt, dass Jeanette am Nachmittag wieder mit nach Hause genommen werden kann. Sehr zu Freuden von Frau Pölzl, da sie der Post nicht traut. Es sei ja schließlich ihre Jeanette, um die es da geht.

Auch andere wertvolle Schätze werden dem Puppendoktor auf den Tisch gelegt. So bekam er an dem Vormittag gleich zwei Puppen aus der 1886 entstandenen Puppenmanufaktur Kämmer und Reinhardt. Frau Friedrich erinnert sich: "Meine Großeltern hatten einen großen Pachthof. Während dem Krieg und auch danach sind die Leute gekommen und haben Ware gegen Lebensmittel eingetauscht. Seitdem ist die Puppe in Familienbesitz." Die Lederpuppen haben K&R und einen Davidstern als Logo im Nacken und gelten als wahre Raritäten.

Geier erkennt bei seinen Behandlungen auf den ersten Blick, was für eine Puppe er vor sich hat, woher sie kommt und wann sie hergestellt wurde. Als Frau Weiß ihm ihre Puppe auf den Tisch legt, sagt dieser ohne zu zögern: "Die Inge is‘ des, 70 Jahre alt, eine Schildkröt-Puppe." In diesen erfahrenen Händen lassen Puppenliebhaber ihre Schätze gerne behandeln. Frau Meiler vertraut dem Doktor gleich drei Puppen an, eine für jede ihrer Töchter.

"Die lagen jetzt jahrelang auf dem Dachboden, meine Töchter haben sie dagelassen als sie ausgezogen sind. Jetzt will ich sie herrichten lassen und ihnen zu Weihnachten schenken." Auch andere Mütter wollen ihre alten Puppen restaurieren lassen, um sie ihren Töchtern unter den Weihnachtsbaum zu legen. Denn viele Puppen aus früheren Generationen seien nun die Lieblingspuppen der Kleinen, neue Puppen wie Baby Born oder Barbie hätten einfach nicht diesen Ausdruck, das gewisse Etwas. Dem stimmt Günter Geier zu. Die schönen Stücke von früher haben einen Charme. Diesen zu erhalten ist Geiers Aufgabe, Berufung und Leidenschaft.

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