„Für Kriegsgefangene und Flüchtlinge das Letzte gegeben“

17.10.2014, 17:54 Uhr
„Für Kriegsgefangene und Flüchtlinge das Letzte gegeben“

© privat

Vier Generationen leben in Schnabelwaid unter einem Dach und weil die 92-jährige Ur-Großmutter Margareta Schamel geistig wie körperlich noch voll auf der Höhe ist, mangelt es nicht am Austausch von Erfahrungen und Erinnerungen. Trotzdem nutzt die Familie jede Gelegenheit, im Staatsarchiv in Bamberg oder in Pfarrbüros nach weiteren Quellen zu forschen.

Bis zum Jahr 1814 kann man so die Geschichte des Hauses zurückverfolgen, das vorher als Schafshaus des nahe gelegenen Schlosses gedient hat, bis Johann Heinrich und Elisabetha Vogel das Wirtshaus „Zur Goldenen Sonne“ eröffnete. 1840 hat es Georg Vogel übernommen, 1855 Tochter Christine mit ihrem Mann Andreas Ehmann, dessen Konzession als Gastwirt und Metzger die Familie in Bamberg gefunden hat. Er hat 1870 auch eine Schnabelwaider Kommunbräu mit begründet.

Johann Ehmann, der nächste in der Erbfolge, leitete den Betrieb ab 1875, kurz nachdem er die örtliche Feuerwehr mit aus der Taufe gehoben hatte. 1903 hat seine Tochter Johann Schamel geheiratet, der dem Lokal im Volksmund über Jahrzehnte seinen Namen aufgedrückt hat, auch weil 1933 Georg Schamel und seine Frau Margareta, geb. Zapf, nachfolgten.

Den Ausbau zur heutigen Größe wagten 1973 Tochter Christine mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Herbert Freiberger. Seit 2010 führen Alexander und Ramona Freiberger den Landgasthof, unterstützt von dessen Schwester Martina.

17 Personen auf Strohlager im kleinen Vereinssaal

„Für Kriegsgefangene und Flüchtlinge das Letzte gegeben“

© Foto: Thomas Knauber

Machten früher im Bierstüberl an der ehemaligen Bundesstraße vornehmlich Pferdefuhrwerke Station, so sorgte die Zuweisung von 17 serbischen Kriegsgefangenen 1943 für einen tiefgreifenden Einschnitt. Sie wohnten auf Strohlagern im kleinen Vereinssaal, der heute zur Vorbereitung der Speisen dient, und arbeiteten tagsüber bei Bauern, bewacht von bewaffneten Posten. Damit nicht genug: Bald kamen auch noch zwei Familien aus dem ausgebombten Hamburg dazu, die die beiden Fremdenzimmer bezogen.

Als Georg Schamel an die Front nach Russland abkommandiert wurde, versorgte seine Frau mit der eben erst geborenen Tochter Babett die Gäste ganz allein. Von ihrem Mann erhielt sie erst ein halbes Jahr später wieder eine Nachricht: „Bin noch am Leben“.

Flüchtlingsjunge avancierte zum General

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Gegen Kriegsende gab es rund um den Knotenbahnhof Schnabelwaid im Kitschenrain erbitterte Kämpfe mit vielen Toten. Von der „Goldenen Sonne“ war keine Rede mehr. Das Haus war dicht belagert, auch weil viele Fahrgäste aus einem von Tieffliegern angegriffenen Zug in das Gasthaus flüchteten, darunter ein kleiner Junge, der ohne jegliche elterliche Begleitung unterwegs war. Obwohl er später Karriere machte, zum Inspekteur der Luftwaffe, zum General und zum stellvertretenden Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa avanciert, hält Eberhard Eimler den Freibergers bis heute als regelmäßiger Festspielgast die Treue.

Auch der serbische Gefangene Radislaus bedankte sich auf seine Weise für die Gastfreundschaft: Nach Lindenhardt umquartiert, hielt er die anrückenden Amerikaner von ihrem Plan ab, Schnabelwaid zusammenzuschießen: „Das sind alles gute Leute“, überzeugte er die GI`s. Bis heute besteht eine Brieffreundschaft mit Radi`s Familie in Serbien.

Die Amerikaner verschonten zwar Schnabelwaid, das von ihnen belagerte Gasthaus Schamel aber wirtschafteten sie total herunter. Die Beschlagnahmung des Hauses durch polnische Juden konnte das inzwischen aus dem Krieg zurückgekehrte Familienoberhaupt verhindern. Die Gastfreundschaft aber ging weiter: Eine elfköpfige Flüchtlingsfamilie aus dem Sudetenland zog ein, die heute in Pegnitz wohnt.

Bald ging es aufwärts: Die Metzgerei wurde wieder eröffnet, ein Stammtisch gegründet und die Schamel`s Oma bekochte zudem alle nach dem Krieg hierher versetzten Bediensteten von Forstamt, Schloss, Schule und Polizei. Das war auch der Beginn eines ständigen Mittagstisches im Lokal.

Das gute Essen und die Mundpropaganda sorgten dafür, dass die Bierstube zum Treffpunkt wurde und sich im einstigen Saal, dem heutigen Wohnzimmer der Familie, bis zu 100 Gäste zum Tanz trafen. Oftmals musste bei Festen sogar die elterliche Schlafstube ausgeräumt werden.

Herbert Freiberger wagte modernen Neubau

Als Georg Schamel 1971 den Betrieb am Krankenlager gegen den Rat des Notars an seine Tochter Christine überschrieb, sollte dies zum Glücksfall werden, legte doch Ehemann Herbert Freiberger, der bei der Firma Singer Alemannia den Beruf des Drehers erlernt und danach bei seinem Vater noch den Meisterbrief als Bäcker erworben hatte, einen ungeahnten Elan an den Tag. Der Pferdestall wurde abgerissen, die Toiletten erneuert und kurz darauf ein stattlicher Neubau errichtet.

„Für Kriegsgefangene und Flüchtlinge das Letzte gegeben“

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Weil das alte Haus unter Denkmalschutz steht, musste ein Zwischentrakt eingefügt werden, der heute bei Empfängen noch wertvolle Dienste leistet. Obwohl ihm die Bank davon abgeraten hatte, ließ er Duschen und WC in die Fremdenzimmer einbauen, um die ihn die Konkurrenz bald beneidet hat. Das große Restaurant ist bis heute nicht nur an Sonntagen ausgebucht.

Sohn Alexander wundert sich heute noch: „Die Oma und meine Mutter haben allein gekocht, mein Vater hat neben dem Lokal auch noch eine Landwirtschaft betrieben. Ich weiß gar nicht, wie die das alles geschafft haben.“

Bald musste Personal eingestellt werden und heute ist der Landgasthof ein anerkannter Ausbildungsbetrieb für Köche, Restaurant- und Hotelfachleute.

Dabei wurde ständig weiter investiert. In den 80-er Jahren wurde die Kegelbahn abgerissen, der Hof geteert und ein Biergarten angelegt, von dem aus auch der gemeindliche Gregori-Festplatz mit versorgt wurde. Vor zehn Jahren wurden auch im zweiten Obergeschoss noch Zimmer eingebaut, so dass heute 30 Gäste beherbergt werden können.

Seit 2010 führt Sohn Alexander das Zepter, der vorher schon als einer der besten Nachwuchsköche Bayerns für Schlagzeilen gesorgt hat. Er setzte die Tradition seines viel zu früh verstorbenen Vaters fort, ließ den Biergarten neu gestalten und für viel Geld eine moderne Küche einrichten, die allen Anforderungen gerecht wird. Pünktlich zum Jubiläum hat er mit seiner Frau Ramona, die für den Service zuständig ist, das traditionelle Bierstüberl aufgehübscht.

„Für Kriegsgefangene und Flüchtlinge das Letzte gegeben“

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Auch wenn sich die Gästeschar weg von Geschäftsreisenden zu einem treuen Kundenstamm hin entwickelt hat, pflegt die Küche doch die Tradition aus Omas Zeiten, freilich modern verfeinert. So zählen die typischen fränkischen Gerichte und vor allem die Brotsuppe noch heute zu den Rennern. Sie werden auch zur Feier des 200-jährigen Bestehens ab Dienstag, 21. Oktober, aufgetragen. Dazu gibt es für jeden Gast ein extra eingebrautes Jubiläumsbier.

"Gute fränkische Kost zu zivilen Preisen"

Ein Grundprinzip genießt bei allem Wandel in Diskussionen quer durch die vier Generationen bis heute oberste Priorität: „Wir wollen gute fränkische Kost zu Preisen bieten, bei denen selbst Familien nicht lange überlegen müssen, ob sie sich das leisten können“.

Mehr Informationen über den Landgasthof Freiberger in unserer Rubrik Essen und Trinken!

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