Aufgepeitschter Mob stürmte Neumarkts Synagoge

8.11.2008, 00:00 Uhr
Aufgepeitschter Mob stürmte Neumarkts Synagoge

Es war die Nacht vom 9. auf den 10. November, als die aufgehetzte Menge in Neumarkt in der Hallertorstraße die Synagoge stürmte, plünderte und anstecken wollte. Etliche hatten sich vorher in einer Wirtschaft gleich gegenüber noch getroffen und getrunken. Dass die Synagoge nicht in Flammen aufging, war weniger der Zurückhaltung der Neumarkter Nazis zu verdanken als vielmehr der Angst der Nachbarn, dass das Feuer auch auf ihre Häuser übergreifen könnte.

Was genau in jener Nacht in Neumarkt geschah, darüber gibt auch eine Gerichtsverhandlung Aufschluss, die im April 1950 vor dem Landgericht Nürnberg lief und die wohl als später Versuch der Wiedergutmachung gesehen werden sollte. Nur: Die Anstifter und Rädelsführer waren zu diesem Zeitpunkt schon verstorben oder nicht mehr auffindbar, wie ein Berichterstatter seinerzeit notierte.

An Herzschlag verstorben

Der 9. November 1938: Nach einer NSDAP-Versammlung im Lammsbräusaal, bei der Kreisleiter und Bürgermeister Dotzer die Menge aufgepeitscht hatte, zerschlug der Mob in der Stadt die Fenster- und Schaufensterscheiben an den Häusern jüdischer Neumarkter. 31 jüdische Bürger kamen in so genannte Schutzhaft, ein SA-Mann drosch Julius Neustädter mit einem Stock derart auf den Kopf, dass das «Blut wie eine Fontäne spritzte». Ludwig Landecker verstarb in Haft an Herzschlag.

Der entfesselte Mob plünderte die Synagoge. Zeitweise waren 300 Menschen in und um das Gebäude unterwegs, hält der Gerichtsreporter fest. Doch wer was getan hat - da mangelt es an Beweisen. Die eine oder andere Angeklagte, erfährt man vor Gericht, war mit Wäsche in den Armen aus dem Gebäude gekommen. Nur, um sie für die befreundete Familie zu retten, war die Ausrede. Die Betroffenen, später überwiegend im KZ ermordet, konnten nicht mehr gefragt werden. So blieben die Zeugenaussagen, dass die Angeklagten mit den Opfern befreundet waren, als billige Entlastung im Raum stehen und konnten auch vor einer Verurteilung retten.

So behauptete ein Angeklagter, einen Globus aus der Synagoge gerettet zu haben, um ihn vor der Zerstörung zu bewahren. Ein anderer Hauptschuldiger behauptete, in jener Nacht, es war kurz vor Mitternacht, nur in das Gebäude gegangen zu sein, weil er auch einmal eine Synagoge sehen wollte. Dass er dabei nach Zeugenaussagen andere anstiftete, zu plündern, steht auf einem anderen Blatt.

Das alles kam Jahre später in jenem Prozess vor dem Landgericht Nürnberg zur Sprache. Die Strafen fielen höchst unterschiedlich aus, ins Gefängnis musste aber niemand. «Hier sitzen nicht die Richtigen», sagte ein Zeuge mit Blick auf die Anklagebank. Und: Der Ausflüchte waren viele, der Verurteilungen wenig. Doch ein Blick auf das Vorstrafenregister der angeklagten Frauen sprach Bände: Eine war bereits 29 mal vor Gericht verurteilt worden, mehrmals auch wegen Diebstahls.

Untergang begann schleichend

Der Untergang der jüdischen Gemeinde Neumarkts hatte langsam begonnen. Zu Beginn der 30er Jahre zählte sie noch rund 100 Mitglieder. Vor allem die Jungen suchten in den Anfangsjahren des Dritten Reiches die Sicherheit im Exil; sie gingen nach Palästina. Sie kamen der Arisierung zuvor, verkauften Wohnungen, Häuser und Geschäfte, bevor sie ihnen von der Diktatur abgepresst wurden.

Zurück blieben die Alten, die sich als Deutsche fühlten und sahen, die assimiliert waren. Im ersten Weltkrieg hatten elf Neumarkter jüdischen Glaubens ihr Leben an der Front gelassen, elf waren mit dem eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Eine Gedenktafel in der Synagoge erinnerte an sie.

Doch die Verdienste um Kaiser und Vaterland galten den Nazis, die sich gerne selbst mit Tapferkeitsmedaillen schmückten, nichts. Sie belagerten, prügelten und plünderten. Am Ende stand die Zwangsarisierung vieler Häuser in der Innenstadt. Und die Auslöschung ganzer Familien und Traditionen in den Gaskammern oder vor den Maschinengewehren der SS. Nach der Kapitulation wollte dann keiner dabei gewesen sein.