Glück und Gluck in Berching

11.2.2021, 12:49 Uhr
Zwei charmante Fremdenführer: Gerlinde und Alexander Delacroix vom Gluck-Freundeskreis in Berching - mit dem Genius in der Mitte.

© e-arc-tmp-20210202_133336-1.jpg, NN Zwei charmante Fremdenführer: Gerlinde und Alexander Delacroix vom Gluck-Freundeskreis in Berching - mit dem Genius in der Mitte.

Dass Berching in der Oberpfalz eine Glücks-Stadt ist, erschließt sich auf den ersten Blick. Die komplett erhaltene mittelalterliche Stadtmauer, vier Tore, 13 Türme, mit Sankt Lorenz, fast tausend Jahre alt, und der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt zwei prächtige Gotteshäuser: Wem da nicht das Herz aufgeht, der hat keines. Vom Lorenzer Kirchturm blickt man übers Altmühltal, auf den alten Ludwigskanal, den neuen Main-Donaukanal und hinüber zum prächtigen Kloster Plankstetten, es ist ganz und gar bezaubernd.


Aber Berching ist auch eine Gluck-Stadt. Das ist ebenfalls ein Glück, einerseits. Andererseits ist es nicht ganz so einfach mit dem berühmtesten Sohn der Stadt. Sicher ist nur, dass Christoph Willibald Gluck gar nicht in Berching selbst zur Welt kam. Sondern, am 2. Juli 1714, im Dörfchen Erasbach. Oder doch, und vielleicht erst am 4. Juli, in Weidenwang, wo er getauft wurde? In beiden Gemeinden lebte sein Vater, der Forstmeister Alexander Gluck, der, das Jagdhorn ausgenommen, mit Musik nicht viel anfangen konnte. Für beide Varianten gibt es Indizien, in beiden Gemeinden stehen Geburtshäuser und Gluck-Denkmäler.


„Und dann stelle man sich einmal vor, was erst los wäre, wären Erasbach und Weidenwang in den 1970er-Jahren nicht beide nach Berching eingemeindet worden“, sagt Josef Fechner, ein bekannter Berchinger Mundartdichter und Hobby-Heimatforscher, „dann wär´s ein heilloses Gezanke.“ Er rät, die Angelegenheit nicht zu ernst zu nehmen.

Noch ein Problem...


Fechner, gelernter Uhrmacher, freut sich über Gluck und das Glück, in Berching zu leben – aber es gehe bei Gluck ja bloß um ein paar Jahre. In Berching, meint Fechner, wäre Gluck auch kaum je berühmt geworden, dafür hätten schlicht die Möglichkeiten gefehlt. Der älteste Spross der Försterfamilie Gluck war keine vier Jahre alt, als diese weiterzog nach Böhmen.


Und es gibt ja noch ein Problem.


Außerhalb von Berching und fern von Kreisen der Liebhaber klassischer Musik wissen wenige Menschen, wer Christoph Willibald Gluck überhaupt war – obwohl er mit der immer reizvollen Vita des verkannten Poeten nicht aufwarten kann. Gluck war ein Superstar, „der Michael Jackson seiner Zeit“, wie Stefan Kleinod, der ehemalige Rektor der Berchinger Grundschule, sagt. Prag, Mailand, Paris, Wien – Gluck reformierte die in Verkünstelung erstarrte europäische Oper, er machte sie frischer, lebendiger, Gluck war ein Vorbild selbst für den Magier von Bayreuth, Richard Wagner. Er hinterließ 60 Opern und Singspiele, außerdem Ballette, Sinfonien, Lieder.

"Der Urfunke"


Nur, leider, „selbst bei uns war das Bewusstsein darum nicht sehr ausgeprägt“, sagt Christian Eisner. Er ist der Vorsitzende des Freundeskreises Christoph Willibald Gluck, gegründet 2011 im Vorfeld des 300. Geburtstags des Genies; mit dem Jahr 2014 begann eine seither anhaltende Gluck-Renaissance – allerdings nicht getragen von damals bereits ausgewiesenen Gluck-Fans, davon gab es selbst in Berching nicht viele.


„Ich war das vorher auch nicht“, sagt Christian Eisner, es war eher so, dass sie über die Liebe zur Heimatstadt den großen Komponisten neu entdeckten. Man wollte etwas für Berching, „für diesen liebenswerten Ort“, tun und „zeigen, dass man bei uns nicht nur schön wandern und radeln kann, sondern auch Kultur erleben“, wie Eisner sagt. „Der Urfunke“, sei es gewesen, wer heute nach Berching kommt, begegnet Gluck fast überall in der ganzen Stadt.

Zum Gluck gibt es Ouzo


„Gluck und ich“ heißt ein Buch, das die Berchinger Realschüler geschrieben haben, das Kulturamt bringt eine Gluck-Zeitung heraus. „Zum Gluck gibt’s Ouzo“ heißt es im griechischen Restaurant Meteora am Pettenkoferplatz, Gluckini-Würstchen gab es auch schon – bei Karl Schneider, der als singender Metzgermeister eine Berchinger Berühmtheit ist.


Eigentlich ist heute jeder hier ein bisschen Gluck; „niederschwellig, aber ohne Abstriche bei der musikalischen Qualität“, erklärt Eisner, wolle man jenseits jeder Opern-Etikette „Gluck zu den Menschen bringen, nicht umgekehrt“. Seit 2012 gibt es die „Landpartie – Gluck zum Kennenlernen“, es sind Wanderungen zur Musik, verbunden mit Picknicks im Grünen, ganz im Sinne des Meisters. „Fressen, saufen und lustig sein“, das schrieb Gluck einst persönlich, gehöre ja auch zum Leben – nachzulesen auf einer Schautafel am Heimatmuseum Christoph Willibald Gluck. Bei der Winklerbräu gibt es das passende Bier dazu, „1714“ heißt es, ein gutes Exportbier, wie es hier zu Lebzeiten Glucks getrunken wurde.

Wer die Musik hört, ist begeistert


„Der bekehrte Trunkenbold“ heißt eine komödiantische Gluck-Oper, die sie bei den Landpartien gerne aufführen. Die mittelalterliche Kulisse der Stadt bietet ideale Bühnen, am schönen Sulzpark mit seiner Natursteintribüne haben sie Gluck inszeniert, Berching ist ein starker Teil der Internationalen Gluck-Festspiele der Metropolregion Nürnberg. Die Nürnberger Pocket Opera Company ist regelmäßig zu Gast, „sie waren sofort infiziert mit Gluck“, erzählt Gerlinde Delacroix, „das geht jedem so – wer die Musik hört, ist ganz begeistert“.


Gerlinde und Alexander Delacroix erwarten den Besucher am Mittleren Tor, sie sind sehr liebenswürdige Gastgeber, im verwinkelten Torturm, bekannt als Turm der Vielfalt, gibt es Hörnchen und Kaffee. An Wochenenden finden hier Ausstellungen, Vorträge und Lesungen statt; Gerlinde Delacroix, ehemalige Zweite Bürgermeisterin, gehört wie ihr Mann, ein kundiger Stadtführer von ansteckender Begeisterung, zum Gluck-Freundeskreis und organisiert seit zwei Jahrzehnten die Berchinger Literaturwoche – mit Lesungen an historischen Stätten. Den Glöckner von Notre Dame gab es im Lorenzer Kirchturm, und mit einem Vortrag des Gluck-Enthusiasten und Ex-Bürgermeisters (vielleicht in dieser Reihenfolge) Rudolf Eineder war dann die neue Passion für den Komponisten geweckt.

Viel Kultur hinter alten Mauern


„Berching muss immer kämpfen, weil es so klein ist“, sagt Gerlinde Delacroix beim Rundgang durch das Städtchen mit gut 3000 Einwohnern (zu dem stattliche 46 Ortsteile mit weiteren 6000 Einwohnern gehören). Was die Kultur dazu beiträgt, sieht man überall zwischen den alten Mauern, im Kleinen und im Großen.


Seit 1992 gibt es die Kulturfabrik, im Frühherbst taucht die Berchinale des Lichts die nächtliche Stadt in prächtige Farben. Der Frauenturm ist die Schreibwerkstatt der LiteraTürmerinnen, am Reichenauplatz lebt und arbeitet der Berchinger Künstler Martin Herler, der nach Stationen in München und London in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist.

So viel zu entdecken


Im Oktober 2020 eröffnete die natürlich nach Gluck benannte neue Kulturhalle – und der schöne Bibelgarten in der Schulstraße hat es Gerlinde und Alexander Delacroix besonders angetan. Es gäbe noch viel mehr zu entdecken; tagelang möchte man mit beiden durch Berching streifen – das Versprechen, bald wiederzukommen, gibt man nur zu gerne.


Ob Gluck, der 1787 als reicher und berühmter Mann in Wien starb, auch noch einmal wiedergekommen ist? Es ist zumindest wahrscheinlich, Alexander Delacroix hat die Unterlagen zusammengestellt: 1764, von Wien aus auf dem Weg zur Krönung des Habsburger Kronprinzen Joseph II. mit der römisch-deutschen Kaiserwürde nach Frankfurt, soll Gluck die Gelegenheit zu einem Abstecher nach Berching genutzt haben, per Postkutsche.

Was die Liebe schafft


Und die Angelegenheit mit dem Geburtsort? „Im Wirtshaus“, erzählt Gerlinde Delacroix, „gibt es da immer wieder richtige Streitereien“, manchmal selbst im Gluck-Freundeskreis, auch sie plädiert für eine augenzwinkernde Betrachtung. Und die Frage darf, findet Christian Eisner, ruhig umstritten bleiben. So ein kleiner Mythos, sagt der Vorsitzende des Freundeskreises, beflügelt ja die Neugier auf Berching.


Darauf, sagt das Ehepaar Delacroix lachend, könne man sich verständigen, und man kann vielleicht noch dazusagen, dass Alexander Delacroix ein gebürtiger Berchinger ist und seine Frau aus Beilngries stammt und dass es sich mit Berching und dem oberbayerischen Beilngries ein wenig so verhält wie mit Köln und Düsseldorf, es gibt gewisse Empfindlichkeiten. Aber, wie man sieht, die Liebe ist stärker – am Ende vielleicht, ob nun Erasbach oder Weidenwang, auch die zu Christoph Willibald Gluck.

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