1978 rollten die Panzer durchs Altmühltal

10.10.2018, 06:05 Uhr
1978 rollten die Panzer durchs Altmühltal

© TK-Archiv

Die Revolution in Nicaragua, ein versuchter Totschlag im Schwarzwald und Proteste wegen drohender Entlassungen bei den Howaldtwerken Deutsche Werft AG in Hamburg – das sind die Titelmeldungen auf Seite eins der West-Berliner Tageszeitung taz am 22. September 1978, der allerersten Ausgabe der alternativen, linken Tageszeitung. Klassische überregionale Themen also. Und Themen, die Deutschland und die Welt im Jahre 1978 bewegt hatten.

Diese Welt hatte im Jahre 1978 aber scheinbar auch „ein Jagdpächter aus Treuchtlingen“ bewegt. Denn dieser schaffte es mit einer kuriosen Geschichte ebenfalls aufs Titelblatt. Die Überschrift „Jäger stoppt Nato“ ließ die Leser jedenfalls aufhorchen. Seinerzeit hatte in der Region gerade das Herbstmanöver für Militäreinheiten stattgefunden.

„Ab heute rollen die Panzer auch bei uns“, schrieb der Treuchtlinger Kurier in der Wochenendausgabe vom 16. und 17. September und warnte die Bevölkerung sozusagen vor dem Manöver vor. Der Übungskrieg „Blaue Donau“ mit deutschen, kanadischen und amerikanischen Soldaten hob damals an und Militärfahrzeuge rollten auf das Altmühltal zu. Die Polizei riet den Autofahrern bis zum Ende des simulierten Kriegsspiels „nur zu fahren, wenn es unbedingt sein muss.“

Warum, das konnte man in der Mittwochsausgabe vom 20. September 1978 nachlesen. Einem Weißenburger wurde ein kanadischer Mannschaftstransport-Panzer zum Verhängnis, als er versuchte, diesen zu überholen. „Als er auf gleicher Höhe mit dem Panzer war, scherte dieser plötzlich nach links aus und rammte die rechte Vorderfront“, heißt es im Bericht. Auch im Treuchtlinger Krankenhaus herrschte seinerzeit Hochbetrieb. In der Freitagsausgabe ist „von weiteren Unfallopfern“ wegen des Manövers zu lesen. Einem 23-jährigen Manöverkurier etwa fuhr mit 80 km/h in eine S-Kurve, als ihm ein Omnibus entgegen kam. Der Motorradfahrer konnte nicht mehr ausweichen und brach sich das rechte Bein.

Angetrunken gegen die Soldaten

Es ging also gar nicht mal so ungefährlich zu, auch für Landbesitzer. In der Montagsausgabe des Treuchtlinger Kuriers wurde vorsichtshalber eine Hinweiseliste zur Erfassung von Manöverschäden veröffentlicht. Die Entschädigungsanmeldungen seien innerhalb eines Monats nach Übungsende zu erstatten.

1978 rollten die Panzer durchs Altmühltal

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Einer, der aber überhaupt nicht erst auf einen eventuellen Schaden warten wollte, war der 45-jährige Jagdpächter in Schlittenhart. Die Unversehrtheit seines Jagdreviers war ihm wichtiger als die ungehinderte Durchführung des Manövers. Der Mann habe sich zunächst etwas Mut angetrunken und seinen Tirolerhut aufgesetzt, so ist es in der taz zu lesen. „Mit scharfgeladenem Drilling“ stellte er sich unerschrocken einem Konvoi aus Panzern, Jeeps un LKWs entgegen“, heißt es weiter. Die bis auf die Zähne bewaffnete militärische Einheit wuss­te sich ob so eines unverhofft couragierten Auftritts offenbar nicht mehr selbst zu helfen. Kriegsgefangene und Totschießen waren im Generalstabsplan ja nicht vorgesehen. Zur Hilfe eilen musste den Jungs vom Militär also: die Polizei. Und die verhafteten nicht etwa die Soldaten wegen Hausfriedensbruchs, sondern den alkoholisierten Jagdpächter. Die beiden Waffen und die Munition wurden beschlagnahmt und eine Blutprobe entnommen – seinen Führerschein war der aufmüpfige Jäger damit erst einmal los.

Erst am nächsten Tag dämmerte es dem am Vorabend noch so wild entschlossenen Mann wohl, dass er buchstäblich etwas übers Ziel hinausgeschossen war. „Am Dienstagmorgen sah er ohne Alkoholschleier wieder klarer und suchte den das Manöver schiedsrichtenden Oberleutnant, um sich bei ihm zu entschuldigen“, schrieb der TK. Ob jener Leutnant die Entschuldigung auch annahm, ist leider nicht überliefert. Das flintenschwingende Auftreten des Jagdpächters aus Hechlingen wurde aber gleich vierfach geahndet: Bedrohung, Nötigung, Waffenmissbrauch und Trunkenheit am Steuer.

Man lerne also: Das Militär hat immer Vorfahrt. Das musste auch der Treuchtlinger Revoluzzer erkennen. Und wer die missachtet, landet zwangsläufig überregional auf Seite eins. Direkt neben einer richtigen Revolution – nämlich der in Nicaraguas Hauptstadt Managua.

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