NSU-Opfer Mehmet O.: Warten auf eine Entschuldigung

12.11.2019, 15:37 Uhr
NSU-Opfer Mehmet O.: Warten auf eine Entschuldigung

© Benjamin Huck

Es muss eine schöne Feier gewesen sein, am 23. Juni 1999 in der Gaststätte "Sonnenschein" in der Nürnberger Südstadt. Mehmet O. (Name geändert), damals 18 Jahre alt, hatte die Kneipe neu gepachtet, hergerichtet und zu einem Eröffnungsfest eingeladen. "Bis zum nächsten Morgen waren wir auf den Beinen", erinnert er sich. Beim Putzen entdeckte er dann auf der Herrentoilette eine ihm unbekannte Taschenlampe, schaltete sie an – und kam erst im Krankenhaus wieder zu sich.

NSU-Opfer Mehmet O.: Warten auf eine Entschuldigung

© Archivfoto: Hagen Gerullis

Die Taschenlampe wurde zur Bombe umgebaut und mutmaßlich vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in der Gaststätte des türkischstämmigen Nürnbergers deponiert. Bei der Explosion wurde Mehmet O. schwer verletzt. Noch schwerer wog für ihn aber die Ungewissheit, wer ihm dies angetan hat. Die Polizei ging bei ersten Befragungen von Schutzgelderpressung aus und vermutete den Täter im Umfeld des jungen Manns. Von einem ausländerfeindlichen Motiv wollten die Beamten nichts hören, erinnert sich Mehmet O. "Ich war damals ja erst 18 Jahre alt, ich hatte keine Schulden oder Feinde, ich konnte mir das nicht erklären."

Die Tat habe ihn so belastet, dass er aus Nürnberg, der Stadt, in der er aufgewachsen ist und seine Freunde hat, wegzog und sich anderswo ein neues Leben aufbaute. Erst 2013 kam die Polizei erneut auf ihn zu. . Nun sollte sich Mehmet O. Fotos von mutmaßlichen Rechtsextremen ansehen - und erkannte eine Person von damals wieder. "Doch worum es genau geht, hat mir wieder niemand verraten."

Aufklärung durch Journalisten

Erst durch Journalisten von Nürnberger Nachrichten und Bayerischem Rundfunk erfuhr O. im vergangenen Jahr, dass er wohl ebenfalls ein Opfer des NSU ist. Die Tat selbst wurde im 2018 zu Ende gegangenen NSU-Prozess aus "prozessökonomischen Gründen" nicht mehr behandelt.

Wer genau die Bombe in der Gaststätte deponiert hat, sei weiterhin nicht geklärt, so Rechtsextremismus-Expertin Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung, die auf Einladung des Vereins für interkulturelle Begegnung "So nah? So fremd?" ins Treuchtlinger Forsthaus gekommen ist. Die Bundesanwaltschaft kam zu dem Ergebnis, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die Köpfe des "NSU-Trios", die Tat zusammen ausgeführt hätten.

Wobei Mair nicht von einem Trio sprechen möchte. Für sie steht ein ganzes Netzwerk hinter dem Nationalsozialistischen Untergrund. Sie befürchtet, dass manche Taten verjähren könnten, da die Ermittlungsbehörden nicht viel Elan zeigten. Auch wirft sie der Polizei Versäumnisse vor: So seien die Überreste der Taschenlampen-Bombe nicht in der Asservatenkammer gelandet, um sie später mit modernen Techniken zu untersuchen. Vielmehr habe die Polizei sie als Anschauungsobjekt für die Ausbildung genutzt – sämtlich Spuren sind wahrscheinlich verlorengegangen.

Erschreckende Parallelen

Das würde gut ins Bild passen, das sich laut Mair heute noch zeigt. Die Expertin aus Nürnberg beklagt, dass rechte Gewalt immer noch verharmlost werde, auch von Seiten der Polizei. Der Anschlag von Halle vom 9. Oktober habe das auf erschreckende Weise gezeigt. Nachdem der mutmaßliche Täter dort nicht die Synagoge hatte stürmen können, erschoss er eine Frau davor und einen Mann in einem Döner-Imbiss.

"Früher hieß es: Geh nicht bei Juden einkaufen. Heute muss es nach deren Logik heißen: Geh dir keinen Döner kaufen, sonst läufst du Gefahr, erschossen zu werden", zieht Mair Parallelen zur Reichspogromnacht, die sich am 9. November zum 81. Mal gejährt hat. Noch vor 30 Jahre habe man sich nicht vorstellen können, dass es hierzulande wieder solche Diskurse gebe.

Zurück zu Mehmet O.: Er selbst hat nun einen neuen Anwalt, der für ihn eine Opferentschädigung erstritten hat. Doch ums Geld gehe es ihm gar nicht. "Eine Entschuldigung von den Behörden wäre gut, die mich erst selbst als Schuldigen behandelt haben."

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