Arbeiterwohlfahrt prangert Kinderarmut an

21.12.2018, 11:24 Uhr
Der Arbeiterwohlfahrt macht auf die Situation der Kinder, die in Armut leben, aufmerksam.

© Rolf Vennenbernd/dpa Der Arbeiterwohlfahrt macht auf die Situation der Kinder, die in Armut leben, aufmerksam.

Trotz des Wirtschaftsbooms und der gemessen am Bundesdurchschnitt überdurchschnittlichen Einkommen im Freistaat verfestige sich hier „die Kinderarmut auf hohem Niveau“, sagte Awo-Landesvorsitzender Thomas Beyer. Als von Armut gefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens verfügen. Diese Armutsgefährdungsquote liegt bundesweit bei 999 Euro im Monat, in Bayern wegen des höheren allgemeinen Einkommensniveaus bei 1047 Euro. Um die Lage besser darzustellen, lege die bayerische Staatsregierung den niedrigeren Bundeswert zu Grunde, sagte Beyer. Die Awo halte jedoch die regionale Armutsgefährungsschwelle für den richtigen Maßstab.

Daher beziffert der jüngste offizielle der Sozialbericht der Staatsregierung den Anteil der armutsgefährdeten Personen mit 11,6 Prozent, während die Awo auf 15 Prozent kommt. Das, so Beyer, sei kein wesentlich geringerer Wert als die bundesweite Armutsgefährdungsquote von 15,7 Prozent.

"Kinder sind kein Armutsrisiko"

Keine Differenzen kann es über die Zahl der Kinder unter 15 Jahren geben, die in „Bedarfsgemeinschaften“ leben und von Hartz-IV-Leistungen abhängig sind. Auch im Boom habe ihre Zahl nicht signifikant abgenommen und habe zuletzt bei 117000 gelegen, berichtete Beyer. Die Armut konzentriert sich deutlich auf Ballungsräume: In München waren zuletzt 38500 Bedarfsgemeinschaften mit 13500 Kindern registriert, in Nürnberg 23200 mit knapp 8000 Kindern unter 15. Dazu kamen 2017 bayernweit knapp 23000 Kinder, die 170 Euro im Monat als „Kinderzuschlag“ bezogen. Diese Sozialleistung soll verhindern, dass ihre Familien auf Hartz-IV-Niveau abrutschen.

Der Awo-Chef trat der verbreiteten Ansicht entgegen, Kinder bedeuteten ein Armutsrisiko. Dies sei vielmehr die prekäre Situation vieler Alleinerziehendenhaushalte. Während Paare in Bayern mit ihrem Haushaltseinkommen sogar etwas über dem Durchschnitt lägen, erreichten Alleinerziehende nur 72 Prozent. Die Armutsgefährdungsquote lag 2015 bei Haushalten von Alleinerziehenden bei 36,7 Prozent (2011: 33,1 Prozent). Zwei Erwachsenemit einem Kind haben dagegen eine vergleichsweise niedrige Armutsgefährdungsquote von 5,6 Prozent, bei zwei Kindern liegt sie bei 6,7 Prozent.

Die wirtschaftliche Situation Alleinerziehender wird nach Ansicht Beyers durch das im Vergleich zu anderen Ländern geringere Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten verschärft. Die von der Staatsregierung angekündigte Gebührenfreiheit für Kindertagesstätten bestehe in Wirklichkeit nicht. Die Aufwendungen würden nur um 100 Euro im Monat reduziert.

Die Awo und das Zukunftsforum Familie (ZFF) fordern, die Familienförderung „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen. ZFF-Geschäftsführer Alexander Nöhring sagte, es sei grundsätzlich verfehlt, diese Förderung über die Steuergesetze zu regeln. Derzeit würden Familien mit hohem Einkommen stärker entlastet als arme. Eine „einkommensabhängige Kindergrundsicherung“, nach welcher jedem Kind im Monat 619 Euro zustehen, könnte arme Kinder um 16,5 Prozent besser fördern als heute, ohne dass wohlhabende Haushalte weniger hätten.

Awo-Chef Beyer kritisierte die von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) verfügte Anrechnung des von Bayern gezahlten Familiengeldes auf die Hartz-IV-Sätze. Allerdings habe sich die Staatsregierung mit diesem Thema nicht annähernd so intensiv befasst wie mit der Zurückweisung weniger Flüchtlinge an der Grenze. Beyer war stellvertretender SPD-Landesvorsitzender und bis 2013 SPDLandtagsabgeordneter. Er ist Mitglied der SPD-Fraktion im Kreistag Nürnberger Land.

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