Beeindruckend: Ein Besuch beim Voltigieren in Poxdorf

18.9.2019, 18:00 Uhr
Beeindruckend: Ein Besuch beim Voltigieren in Poxdorf

© Foto: Daniel Kaiser/Voltigierservice

Es ist eines dieser Mädchen-Probleme. Beim Thema Reiten denke ich sofort in Schubladen. Es gibt die Wendy-Leserinnen, die ihr Leben lang in Pferde-Bettwäsche schlafen und täglich die schneeweiße Mähne ihres Schimmels neu flechten. Und es gibt Menschen, die eben nichts mit Pferden anfangen können. So wie ich.

Es war also gewagt, mit dem Fahrrad nach Poxdorf zu fahren, zum Termin mit diesem ganz besonders erfolgreichen Pferde-Mädchen. Anders als beim Dressur- oder Springreiten hatte ich noch nie wirklich jemandem zugesehen, der auf einem Pferd Turnübungen macht. Voltigieren war also eine große Unbekannte. Ein Abenteuer. Und, so viel sei vorab verraten: absolut beeindruckend.

In der Trainingshalle der Reitanlage Werner treffe ich Annemie Szemes, längst in meiner Schublade eines dieser Wendy-Mädchen. Auch ihre Mutter Dagmar und Amei Wittmann stehen im weichen Sand. Niemand allerdings trägt Reitstiefel. Annemie Szemes hat ihre blonden Haare zu einem Zopf zurückgebunden, in ganz normaler Sportkleidung steht sie da: schwarze Multifunktions-Leggins, rotes T-Shirt. Sie könnte so auch ins Fitnessstudio gehen. Anders als auf den Wettkampf-Fotos ist sie auch nicht geschminkt.

Gemeinsam gehen wir in den Stall. Hier riecht es nach Pferd, und man muss aufpassen, nicht von den Hinterlassenschaften der Schwalben getroffen zu werden. Annemie Szemes führt Fernando aus seiner Box. Er ist 1,72 Meter groß und milchschokoladen-braun, seine Rasse heißt "Bayer". Für mich sieht er aus wie ein großes, braunes Pferd. Die Mädchen striegeln sein Fell, legen die Trense an und führen ihn in die Halle.

"Reiten fand ich langweilig"

Hier sieht man schon, dass Team Deutschland unterwegs ist. Ferdl, so nennen alle das Pferd, trägt auf seiner Stirn eine Trense mit schwarz-rot-goldenem Schmuck. Seit einem Jahr ist er gemeinsam mit Annemie Szemes Mitglied im Bundeskader. Beobachtet man die beiden, verlässt einen schnell das Gefühl, dass hier Pferd und Pferde-Närrin vereint sind. Das Verhältnis wirkt vertraut, aber nicht verliebt. Annemie Szemes hat kein Sammelalbum mit Ferdl-Bildern zu Hause.

Das Pferd ist wie ein Teamkollege. "Ohne geht es nicht, das Pferd ist ganz, ganz wichtig. Ich kenne ihn auch super gut." Das Tier alleine aber macht nicht den Reiz dieser Sportart aus. "Ich habe schon als kleines Kind mit Turnen angefangen", sagt die 17-Jährige, die am MTG in die zwölfte Klasse geht. "Meine Mutter wollte, dass ich etwas mit Pferden mache. Doch ich fand Reiten langweilig. Also hat sie mich zum Voltigieren gebracht." Seit neun Jahren ist Annemie Szemes dabei. "Das erste Mal, als ich die Hände locker gelassen habe auf dem Pferd, habe ich mich so gefreut. Angst hatte ich nie."

Beeindruckend: Ein Besuch beim Voltigieren in Poxdorf

© Foto: Katharina Tontsch

Beim Training starten alle mit dem Aufwärmen. Während Annemie Szemes und Amei Wittmann in der Halle Jogging-Runden drehen, führt Dagmar Szemes das Pferd im Schritt herum. Beginnen die Turnerinnen mit ihren Dehn- und Kraftübungen, geht es für Fernando an der Longe, dieser langen Leine, los. Erst "wenn man das Gefühl hat, dass er gut galoppiert und vom Kopf her bei der Sache ist", wie Dagmar Szemes meint, kann das eigentliche Training beginnen.

Die Aufteilung ist klar. Die Mutter kümmert sich um das Pferd. Sie führt Fernando an der Longe, redet ihm gut zu, macht gemeinsam mit ihm Pause, füttert ihn nach dem Training. Seit drei Jahren gehört ihr das Pferd, sie bildete ihn auch im Voltigieren aus. Eine gute Bindung sei wichtig fürs Longieren. Dafür ist Dagmar Szemes, die als Psychologin in Erlangen arbeitet, bei jedem Training und bei jedem Wettkampf dabei.

In der Familie dreht sich fast alles um den Sport, ihr Mann ist der behandelnde Tierarzt. Teuer ist das ganze auf diesem Niveau natürlich. Die Familie hat extra ein Pferd gekauft, zum Unterhalt für das Tier kommen Fahrtkosten und Wettkampf-Gebühren hinzu. "Es ist aber auch mein Hobby", sagt Dagmar Szemes. "Ich bin mein Leben lang geritten. Deshalb bin ich froh, dass meine Tochter etwas mit Pferden macht."

Handstand und Sprünge: Eigentlich unmöglich das alles

In der Halle joggen Pferd und Sportler nebeneinander her. Ferdl trägt schon das Voltigier-Pad. Dieser spezielle Sattel sieht aus wie ein steifes Frottee-Handtuch, tatsächlich ist es Filz mit Carbon verstärkt. Dadurch soll der Sportler die Bewegung des Pferdes weiterhin spüren. Mit einem Voltigier-Gurt ist alles festgemacht.

Immer schneller kreist das Pferd an der Longe um Dagmar Szemes herum. Ihre Tochter steht in der Mitte neben ihr. Ist Ferdl bereit, joggt sie zu ihm, ein wenig neben ihm her, dann gibt es zwei Schritte wie im Galopp und schon springt das Mädchen auf den Rücken des Pferdes. Es sieht spielend leicht aus. Dabei haben es Leute doch normalerweise schon schwer, mit Sattel und Steigbügel hochzukommen.

Annemie Szemes sitzt auf dem Pferd, streckt sich, steht auf, steht auf einem Bein, macht Sprünge, sogar einen Handstand. Alles, während Ferdl weiter galoppiert. Dabei sind Arme und Füße der Sportlerin immer gestreckt, jedes Turn-Element muss sitzen. Am Ende springt sie mit einem Radschlag vom Pferd. Während Ferdls Rücken wackelt, wirkt sie dabei ganz ruhig. Eigentlich unmöglich das alles.

In das Turntraining mischt sich Mutter Dagmar nicht ein. "Dadurch kommen wir sehr gut klar", sagt Annemie Szemes. "Wenn sie mir Reitunterricht gibt, klappt das nicht." Für das Voltigieren ist Trainerin Barbara Schneider zuständig. "Wir alle machen das ehrenamtlich", sagt sie.

"Würde es dem Pferd nicht gefallen, würde man es sehr schnell merken"

Beim Voltigier- und Pferdesportverein Schloss Rathsberg-Erlangen (VuPSV Rathsberg) kümmert sie sich um die Junior-Gruppe. In München hat sie als Jugendliche in einem großen Voltigier-Verein gelernt, jetzt ist Schneider Lehrerin am Gymnasium in Ebermannstadt. Als ihre Tochter gemeinsam mit Annemie Szemes Einzel und Doppel anfing, wurde Schneider auch Privat-Coach. Deshalb ist sie im Training dabei.

Ist hier bei mir der erste Schock überwunden, was die Sportlerinnen alles auf diesem Pferd anstellen können, schweift mein Blick zu Ferdl, der ja nur im Kreis laufen darf. Dass ihm das Spaß macht, kann ich mir nicht vorstellen. Zumindest muss er es nicht lange machen. Zweimal pro Woche gehen die Pferde voltigieren. "Würde es dem Pferd nicht gefallen, würde man es sehr schnell merken", sagt Schneider. "Es gibt auch viele Pferde, die lassen es nicht zu."

Balance, Rhythmusgefühl und ganz viel Mut

Es ist eben doch ein Tier, das sich diese Sportler als Teamkollegen ausgesucht haben. "Reiten ist etwas ganz anderes", sagt Schneider. Beim Voltigieren kommt es vor allem auf die Koordination an. "Es gibt kaum einen Sport, der hier anspruchsvoller ist. Balance, Rhythmusfähigkeit und Einfühlungsvermögen" spielen eine große Rolle. "Man braucht auch ganz viel Mut", sagt Schneider. Sieht man Annemie Szemes beim Training zu, kann man das nur glauben.

Beeindruckend: Ein Besuch beim Voltigieren in Poxdorf

© Foto: VuPSV Rathsberg

Der Pferderücken sieht wahnsinnig hoch aus. Dort herunterzuspringen oder ein Rad zu schlagen, während sich das Tier schnell bewegt, erscheint waghalsig. Anfänger brauchen mehrere Jahre, um das so zu lernen. Zuerst machen die Voltigierer alle Übungen auf einem Holzpferd. Selbst Annemie Szemes turnt in jedem Training auf dem dicken Holzbalken. Insgesamt macht die Baiersdorferin fast jeden Tag Sport: zweimal Einzel-Voltigieren, zweimal Turnen, zweimal Gruppen-Voltigieren, Donnerstag ist frei. Dazu zwei- bis dreimal pro Woche Krafttraining.

Bei jedem Wettkampf müssen Voltigierer eine Pflicht und eine Kür zeigen. "Die Pflicht sind die gleichen Übungen in der gleichen Reihenfolge", sagt Schneider. "Danach kommt das Kür-Programm, frei zusammengestellt und eine Minute lang." In dieser Saison kam die Idee dafür von Annemie Szemes selbst, eine Choreografin hat es ausgearbeitet.

Dass es die Baiersdorferin damit bis in den Bundeskader und zur Weltmeisterschaft geschafft hat, ist herausragend für den VuPSV Rathsberg. "In Deutschland waren wir vorne dabei, doch wir haben es das erste Mal auf ein Championat geschafft", sagt Schneider. Das liegt zum einen am Talent. "Aber auch der Wille und das Pferd müssen da sein", meint die Trainerin. "Es ist über Jahre wahnsinnig viel konstante Arbeit nötig."

Bei der WM war Annemie Szemes "richtig aufgeregt"

Bei der WM war Annemie Szemes "richtig aufgeregt", wie sie sagt. "Doch dagegen helfen Übungen." Mit den anderen deutschen Voltigierern versteht sich die Baiersdorferin sehr gut. "Es war total cool. Man hat so viel Unterstützung." Mit ihrer Leistung war sie sehr zufrieden. "Ich wusste, dass die anderen auch sehr gut sind." Am Ende wurde Annemie Szemes Sechste. Sie hatte die zweitbeste Kür gezeigt, die Pflichtübung allerdings war wie erwartet nicht so stark.

An diesem Wochenende standen in Krumke in Sachsen-Anhalt die Deutschen Meisterschaften an. Ein Jahr kann Annemie Szemes noch bei den Junioren starten. 2020 steht die EM an. "Verbissen bin ich nicht. Das wäre schwierig auf dem Pferd, man muss es locker angehen." Auch diese Ruhe wirkt beeindruckend. Und absolut nicht Wendy-mäßig.

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