Ein ganz besonderes Cafe in Erlangen

26.5.2021, 10:30 Uhr
Ein ganz besonderes Cafe in Erlangen

Ein Latte Macchiato, ein Espresso oder ganz einfach ein kleiner Kaffee – in Pandemiezeiten ist es für Cafés nicht einfach, mit der gerösteten Bohne Geld zu verdienen. Das Café Hergricht hat es sogar doppelt schwer: Kaum hatte es im Januar 2020 geöffnet, musste es auch schon in den Lockdown. Zwei Jahre lang hatte die GGFA (Gesellschaft zur Förderung der Arbeit Erlangen AöR) die Eröffnung vorbereitet, hatte die zum Café gehörende Fahrrad-Werkstatt eingerichtet, und nun das. "Es ist, als würde man mitten im Spurt voll ausgebremst", sagt Peter Plate vom betrieblichen Sozialdienst im Hergricht.

Auch Lastenräder leihen

Besonders sind in diesem Café nicht nur der integrierte Fahrrad-Service, bei dem man sich Kaffee und Kuchen während der Reparatur gönnen kann, oder ein Lastenrad ausleihen – sondern auch die soziale Komponente, die bei der Konzeption der Einrichtung maßgeblich war. Neun der 15 Mitarbeiter sind AGH-Mitarbeiter, sogenannte Ein-Euro-Jobber, die durch die Erfahrung in Café und Werkstatt eine langfristige Perspektive in der Arbeitswelt bekommen sollen. Weitere zwei machen eine Ausbildung zum Fahrradmonteur und vier Mitarbeiter sind Festangestellte.

Zu ihnen gehört Andreas Reisch, zuständig rund ums Fahrrad und als Zweiradmechanikermeister verantwortlich für die Ausbildung der anderen Angestellten: "Im Moment arbeiten wir viel in der Werkstatt. Wir reparieren oder machen alte Fahrräder wieder fahrtüchtig."

Einkassierte Räder

In Kooperation mit der Polizei und dem Bürgeramt werden seit März 2017 Fahrräder, die länger als zwei Wochen unbenutzt auf dem Fahrradparkplatz stehen, regelmäßig entfernt. Diese können gegen eine Gebühr innerhalb von sechs Monaten abgeholt werden. Geschieht dies nicht, werden die Fahrräder entweder repariert oder wertvolle und nützliche Bauteile entfernt, so dass aus zwei kaputten Fahrrädern ein funktionierendes entsteht. Die recycelten Fahrräder werden dann versteigert, normalerweise fünfmal im Jahr.

Insgesamt werden im Jahr damit rund 600 bis 700 Fahrräder, vor allem an Studierende und wirtschaftlich schwächere Mitmenschen, verkauft. Die Preise schwanken zwischen 5 und 150 Euro, liegen aber immer deutlich unter Ladenpreis. Da bei jeder Versteigerung aber zwischen 200 und 300 Menschen anwesend sind, fand seit dem 7. November 2020 keine mehr statt. Als Lösung dieses Problems arbeitet man gerade an einer Online Versteigerung, die permanent laufen soll. Auf www.hergricht.de werden die wieder aufgewerteten Fahrräder dann zur Auktion stehen.

Problematische Beschaffung

Nicht nur sind die Versteigerungen wegen dem Infektionsgeschehen eingestellt. Auch die Beschaffung "neuer" Fahrräder ist problematisch geworden. Die einzige Quelle für Fahrräder ist momentan die Polizei, die sichergestellte Fahrräder "Bike" übergibt, und Privatpersonen, die Fundräder dort abgeben. "Im Moment wird da vom Bürgeramt in der Richtung nichts gemacht", sagt Andreas Reisch. Aufgrund der Pandemie werden gerade keine Fahrräder vom Bahnhof entfernt. Im ganzen Kalenderjahr 2020 bekam "Bike" nur um die 200 Fahrräder.

Bei den Reparaturen geht es um mehr als Funktionalität, auch die Ästhetik ist von Belang: ob Kettenspanner aus Gabeln, wellenförmig gebogene Lenker oder stylische Feuer-Lackierungen, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Wie man so ausgefallene Fahrräder baue? "Wir haben gute Leute", sagt Reisch. Auf dem Steg oberhalb der Bar wird der Platz bald eng, so viele Fahrräder hat die Werkstatt schon hervorgebracht. "Sie sollten ursprünglich über die GGFA versteigert werden", so Reisch. Da dies derzeit nicht möglich ist arbeiten er und Plate an einer digitalen Auktion.

Lieferservice mit Brot und Drinks

Dass der Arbeitsmangel an der Bar zumindest einigermaßen durch die Werkstatt ausgeglichen werden kann, ist praktisch, dennoch steht das Café nicht komplett still. Es werden belegte Brote und Getränke für den Lieferservice vorbereitet, den das Café im vergangenem Sommer etabliert hat. Geliefert wird selbstverständlich mit dem Fahrrad. Zwar werde bisher überwiegend an interne Mitarbeiter und deren Umfeld ausgeliefert, aber immerhin würden sich dadurch im Schnitt zwei Lieferungen am Tag ergeben.

Die bei der Eröffnung angestrebte Unabhängigkeit von der Stadt wird wohl noch etwas auf sich warten lassen, das Café Hergricht ist immer noch abhängig von Zuschüssen. Doch Plate ist optimistisch: "Es wird schon besser", meint er.

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