Islam-Experte: "Aldi hätte Seife in Regalen lassen sollen"

24.1.2015, 14:40 Uhr
Islam-Experte:

© Foto: Ralf Rödel

Herr Professor Tamer, weltweit gehen Moslems gegen die Karikaturen von Charlie Hebdo auf die Straße. Ist das wirklich reine Empörung?

Georges Tamer: Es geht bei den Reaktionen von Muslimen zunächst nicht unmittelbar um den satirischen Umgang mit dem Propheten, um seine Abbildung. Das wird im traditionellen Islam vor allem in konservativen Kreisen strikt abgelehnt. Der Prophet darf nicht abgebildet werden und wenn er abgebildet wird, etwa in Miniaturen oder Verzierungen in schönen Büchern, dann ohne Gesichtszüge. Man sieht ein weißes Gesicht oder ein Gesicht mit Feuer und Flammen, aber Gesichtszüge können nicht erkannt werden.

Gibt es auch muslimische Ausrichtungen, die das erlauben?

Tamer: Ja, im schiitischen Bereich, etwa in Persien des 16. und 17. Jahrhunderts wird Mohammed als normaler Mensch abgebildet. Das Problem dieser Protestler besteht in erster Linie darin, dass mit einem ohnehin verbotenen Bild des Propheten Spaß gemacht wird. Die Reaktionen bedeuten also nicht in erster Linie, dass Muslime den Humor nicht verstehen oder keinen Sinn für Humor haben. Sie haben nur für solchen Humor keinen Sinn, weil damit ihr Prophet beleidigt und dem Spott ausgesetzt wird.

Reicht das für die heftigen Ausschreitungen in Niger, Pakistan oder Jemen mit Todesopfern aus?

Tamer: Nein, die Proteste werden manipuliert. Dass zum Beispiel der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow solche Demonstrationen anführt, ist für mich ein Politikum. Er will in seinem Land mal wieder punkten. Schließlich steht er auf der Seite Russlands bei der Bekämpfung des tschetschenischen Terrors. Er trug eine Weste mit dem Namen des Propheten Mohammeds in arabischer Schrift.

Reform noch weit entfernt

Es gibt Stimmen, die das Darstellungsverbot Mohammeds und eine Reform des Islam fordern. Wie sehen Sie das?

Tamer: Es gibt eigentlich wichtigere Dinge, die im Islam berücksichtigt werden müssen, wenn eine Reform ernsthaft in Angriff genommen wird. Ich halte eine historisch-kritische Interpretation des Korans für viel wichtiger. Das wäre der Anfang, den muslimische Gelehrte machen müssten, wenn eine Reformbewegung im Islam ernst gemeint ist. Aber es sieht so aus, dass man davon noch weit entfernt ist.

Spricht genau das nicht eher dafür, dass ein Darstellungsverbot tatsächlich aufgeweicht werden muss?

Tamer: Ich verstehe die Forderung. Es handelt sich aber um eine Glaubensfrage, an der schwer zu rütteln ist. Es ist so, als würde man einem überzeugten Christen den Glauben an die Auferstehung Christi nehmen.

Wo sehen Sie Reformbedarf?

Tamer: Das Wichtigste für ein religiöses konservativ eingestelltes Denken ist die Heilige Schrift, der Gründungstext, also der Koran. Der Koran ist die Offenbarung Gottes. Solange der Text ohne Berücksichtigung seines historischen Kontextes verstanden wird, werden problematische Aussagen darin verallgemeinert und universalisiert, obwohl sie ihre Gültigkeit verloren haben, da sie lediglich in bestimmten Situationen entstanden sind und sich nur darauf beziehen. Dort muss man sie ansetzen.

"Wir haben einen Konflikt der Ansichten"

Ruft der Koran wirklich zu Gewalt auf oder verteidigt sie?

Tamer: Es gibt solche Stellen, allerdings muss man diese immer im historischen Kontext sehen. Oft wird in Passagen zur Gegenwehr aufgerufen, zum Widerstand gegen Feinde, nicht aber zum aktiven Kriegs- oder Gewalteinsatz.

Ist das der Kampf der Kulturen, der nicht lösbar ist?

Tamer: An dem Punkt haben wir den Konflikt der Ansichten, nicht der Kulturen. Denn viele Muslime reagieren nicht so vehement und gewalttätig auf die Karikaturen. Solche Muslime haben jedoch ein echtes Problem damit, dass man im Westen manchmal mit doppelten Standards agiert.

In welchem Bereich?

Tamer: Man ist gegen islamischen Terror, klar, wir alle und jeder. Auf der anderen Seite attackieren amerikanische Drohnen Stellungen von Dschihadisten in einigen Ländern, wodurch unschuldige Menschen wahllos getötet werden. Ist das nicht vergleichbar mit einem terroristischen Attentat in Paris, bei dem auch Unschuldige sterben?

Mehrere muslimische Kunden haben sich über die Aldi-Flüssigseife "Ombia - 1001 Nacht" beschwert, weil auf dem Etikett eine Moschee zu sehen ist. Der Discounter hat das Produkt nun aus dem Sortiment genommen. War die Entscheidung richtig?

Tamer: Die Reaktion des Unternehmens halte ich für völlig falsch. Das ist reine Angstmache. Wir dürfen uns nicht so erpressen lassen. Das ist keine Beleidigung. Der Orient ist groß, niemand kann für sich in Anspruch nehmen, ihn zu repräsentieren. Dort leben Christen, Juden, Muslime, Angehörige anderer Religionen und auch Atheisten. Auch Moscheen dürfen durchaus auf Bildern zu sehen sein. Vielen Muslimen ist es wirklich egal, was auf einer Seife steht.

Wie tolerant kann und muss eine Gesellschaft sein?

Tamer: Ich mag Toleranz nicht. Wenn jemand einem anderen gegenüber tolerant ist, bedeutet das, dass er sich über einen anderen stellt, sein Gegenüber als minderwertiger von oben herab behandelt. Statt Toleranz brauchen wir gegenseitigen Respekt, gegenseitige Anerkennung, den Dialog miteinander. Nur dadurch kommen sich die Religionen, die Kulturen näher. Das ist dann weit mehr als eine Sonntagspredigt oder ein Freitagsgebet.


Der Erlanger Lehrstuhl für Orientalische Philologie und Islamwissenschaft befasst sich unter anderem mit der Kultur, aber auch mit Literatur, Wissenschaft, Kunst, Geschichte sowie den Lebensformen in der islamischen Welt. Lehrstuhlinhaber ist seit Oktober 2012 Georges Tamer (Jahrgang 1960). Der gebürtige Libanese hatte 2007 an der FAU habilitiert. Bevor er nach Erlangen zurückkehrte, hatte er eine Gastprofessur an der FU Berlin und einen Stiftungslehrstuhl an der Ohio State University inne. Der orthodoxe Christ ist seit Ende 2013 Mitglied des Zentralkomitees des Weltkirchenrats.

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