Emotionale Erinnerung: Gräfenbergerin war Linienrichterin bei Australian Open

1.2.2020, 07:02 Uhr
Emotionale Erinnerung: Gräfenbergerin war Linienrichterin bei Australian Open

© Fotot: Scott Barbour/dpa

Eine zermürbende Hitze tat ihres hinzu, dass der Pulsschlag aller Beteiligten bei diesem spannenden Schlagabtausch noch etwas schneller schlug. Eingeschlossen der einer Linienrichterin aus Gräfenberg. "Ein unheimlicher Druck", beschreibt Franziska Kasch das Szenario vor knapp 15 000 Zuschauern in der gefüllten Rod Laver Arena von Melbourne. In jenem Finale der Australian Open 2017 setzte sich Altmeister Roger Federer in fünf Durchgängen gegen Rafael Nadal, dem heimlichen Lieblingsspieler der Deutschen, durch. "Inzwischen darf ich das ja zugeben", sagt Kasch, die ihre eigene internationale Karriere vor weniger als eineinhalb Jahren aufgegeben hat.

"Kenne auf der Anlage jeden Gang"

Dabei fällt es der Fränkin seit dem Abschied bei den US-Open 2018 gar nicht so einfach, Abstand vom Profi-Zirkus zu gewinnen. Ein paar Monate später im Januar des Vorjahres stellte sich die 32-Jährige manchmal extra den Wecker früh am Morgen, um bei brisanten Partien trotz Zeitverschiebung mitzufiebern. Wenn dann auf den Fernsehbildern noch das eine oder andere Bekannte Gesicht auftauchte, "blutet mir schon das Herz. Ich kenne auf der Anlage jeden Gang und habe viele Bekanntschaften um den Globus, die ich nun nicht mehr sehe". Dabei beschränkte sich der Umgang mit den Aktiven gemäß Verhaltenskodex zumeist auf den Platz, während das Schiedswesen untereinander intensivere Kontakte pflegte. Die Schlagzeilen von Down Under gingen deshalb vor dem Hintergrund der zerstörerischen Buschbrände, die sich in Form hoher Staubkonzentrationen auf die Qualifikationsrunden in Melbourne auswirkten, besonders nahe. "Einer Bekannten aus Österreich habe ich natürlich direkt geschrieben und zur Vorsicht gemahnt, aber die war schon genervt."

Emotionale Erinnerung: Gräfenbergerin war Linienrichterin bei Australian Open

© Foto: Kasch/privat

Privat nachhaltige Beziehungen auf der Tour zu knüpfen, "war trotzdem schwer", ergänzt Franziska Kasch. Drei Monate im Jahr unterwegs auf Reisen zu sein und dazu etwas Taschengeld für das Studium (Soziale Arbeit und Musik) anzusparen, verbuchte sie unter der Kategorie Abenteuerdrang, ehe der Wunsch nach Sesshaftigkeit in der Heimat die Oberhand erlangte. "Ich habe das Hobby mit voller Leidenschaft betrieben und mehr erreicht, als ich je gedacht hätte. Jetzt dürfen andere ran." Als nächster Schritt wäre nur die Stuhlschiedsrichter-Laufbahn in Betracht gekommen, die indes überwiegend hauptamtlich ausgeübt wird. "Aber das war für mich nie ein Thema, ich stehe nicht so gerne im Mittelpunkt."

Denn da gilt es mitunter kritische Situationen zu moderieren und vor laufender Kamera auch Stars in die Schranken zu weisen. Dieser Tage sorgte ein kurzer Ausraster des sonst so beherrschten Roger Federer für Aufsehen, als der Schweizer Routinier seinen Frust verbal an einer Linienrichterin ausließ. "Für solche Fälle sind wir geschult, gar nicht auf Gespräche zu reagieren und auf das Eingreifen vom Stuhl zu warten. Einzig auf die Frage bei einem Fußfehler, welcher Fuß es gewesen sei, dürfen wir antworten", erklärt Kasch.

Ohne Irritationen verlief hingegen die Begegnung mit einem einst heißspornigen deutschen Top-Talent. Das war 2013 beim Wettbewerb in Hamburg, der zu den ersten großen Erlebnissen in der Vita der Gräfenbergerin, die 2010 eher unverhofft zum späten Debüt mit über 20 Jahren als Helferin in Eckental kam, zählt. "Seine Entwicklung ist offensichtlich", zollt Kasch dem heute 22-Jährigen Respekt. Am Freitag schnupperte ein nach vielen Kapriolen gereifter Alexander Zverev am erstmaligen Einzug in ein Grand-Slam-Endspiel. Wiewohl Franziska Kasch, die selbst 2016 ihre Premiere bei den Australian Open feierte, ihre Idole und Sympathien nicht an Nationalitäten festmacht, freut sie sich für Zverev. "Jeder deutsche Erfolg bringt Aufmerksamkeit." Die könne gerade an der Basis gebraucht werden. "Wir spüren den Nachwuchsmangel", weiß die inzwischen berufstätige Kasch, die in der Freizeit wieder regelmäßig für die Damenmannschaft im Heimatverein TSV Gräfenberg spielt. Die Erinnerungen an die zermürbende Hitze von Australien bleiben.

 

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