Forchheims Storchentanten machen Schluss

17.5.2018, 06:00 Uhr
Forchheims Storchentanten machen Schluss

© Ralf Rödel

Anni Mayer hat mitgezählt. 5503 Kinder hat sie auf die Welt geholt, erst vergangenen Mittwoch eines bei einer Hausgeburt. Jetzt aber zieht sie einen Schlussstrich. Mit ihr verabschiedet sich Hebamme Christine Dötzer. Sie bringt es auf mehr als 6000 Hausgeburten, hinzu kommen nochmal 6000 Frauen, die sie bei der Nachsorge begleitet hat. "Unser Beruf ist Berufung", sagt Anni Mayer. 24 Stunden am Tag waren sie für die Frauen da, sieben Tage die Woche. "Wenn eine Frau anrief, habe ich alles stehen und liegen gelassen", sagt Christine Dötzer. "Da gab es dann zu Hause mal kein Essen."

62 Jahre lang hat sie als Hebamme gearbeitet, Mayer kommt auf 51. Bis 2010 war Mayer im Klinikum in Forchheim angestellt, war dort leitende Hebamme. Danach hat sie freiberuflich gearbeitet. Auch Dötzer arbeitete bis zur Rente im Krankenhaus, machte danach weiter.

Beide könnten sie ein Buch schreiben, so viel ist in diesen Jahrzehnten als Hebamme passiert. So erinnert sich Christine Dötzer noch gut an einen Bauern – "60 Stück Vieh hatte der zu Hause" –, der seine Frau ins Krankenhaus begleitete. Bei der Geburt kippte er um. "Er hilft Kälbern auf die Welt, aber das konnte er nicht sehen", sagt Dötzer. Sie gab ihm Kreislauftropfen, dann konnte er wieder stehen. Anni Mayer muss lachen und erzählt von zwei Ohnmachtsanfällen im Kreißsaal – ein und derselbe Mann bei seinen zwei Kindern.

Auch ein junger Amerikaner ist Mayer im Gedächtnis geblieben. Seine Frau lag in der Klinik, kurz nachdem Mayer ihm das Kind präsentierte, kam sie mit einem zweiten hinterher. Dass sie Zwillinge erwartet, habe die Frau nicht gewusst. "Damals gab es noch keinen Ultraschall", erzählt Mayer. Der Mann war platt. Wie viele denn noch kämen, wollte er wissen. Es blieb aber bei den zweien.

"Ich selbst habe auch nicht gemerkt, dass ich Zwillinge bekomme", erzählt Dötzer. Drei Kinder hat sie geboren, innerhalb von zwei Jahren. 59 Jahre alt ist ihr Sohn heute, die beiden Zwillings-Mädchen 58. Anni Mayer hat drei Söhne, 42, 40 und 32 Jahre alt. "Viele Frauen fragen, ob wir Kinder haben", sagt Mayer. "Wahrscheinlich sind wir so überzeugender für sie." Hinzu kommen sechs (Mayer) und acht Enkel (Dötzer).

Der Beruf sei schon attraktiv, sagt Mayer. Allerdings nicht die Arbeitszeiten. "Ich hatte viele schlaflose Nächte." Auch die Dokumentation ist mehr geworden – und der Druck größer. "Man hat heute schnell das Messer im Rücken", sagt Dötzer. Für beide war es dennoch ein Traumjob. "Die Ärzte wissen, was sie an uns Hebammen haben." Ohne Hebamme gibt’s keine Geburt, ohne Arzt schon. So steht’s im Gesetz.

Anerkennung bekämen sie genug, sagen beide. Gehen sie einkaufen, dauere das mitunter ziemlich lange. "Ich werde oft angesprochen", sagt Mayer. "Mein Mann sagt schon immer, mit mir könne man nicht in den Supermarkt gehen." Auch Dötzer hat einen hohen Bekanntheitsgrad im Landkreis. Viele würden schon von weitem nach "Tante Christa" rufen, erzählt sie. "Ich muss dann aber auch mal nachfragen, wie die Frauen heißen", sagt sie. "Bei einigen sind die Geburten schon 30 Jahre her, alle kann ich mir nun nicht merken."

Anni Mayer und Christine Dötzer hoffen, dass junge Hebammen in ihre Fußstapfen treten. "Es gibt Frauen, die finden keine Hebamme mehr", sagt Dötzer. Das dürfe nicht sein. "Es ist einfach ein so schöner Beruf."

Ein Blick nach Bielefeld:

Zwei Jahrzehnte war die Hebammenzentrale Bielefeld-Gütersloh eine wichtige Anlaufstelle für Frauen und Familien, jetzt steht der Verein vor der Auflösung. Bislang hat er sich über Mitgliedsbeiträge finanziert, ab Juli aber ist die Eigenfinanzierung nicht mehr sichergestellt. Probleme sind zum einen der Hebammenmangel an sich, zum anderen die schwierige berufspolitische Situation, weswegen sich immer mehr Hebammen aus der freiberuflichen Tätigkeit zurückziehen. Gründe sind die geringe Vergütung für freiberufliche Hebammen, die gestiegenen Kosten für die Haftpflichtversicherung sowie Einschränkungen bei der Urlaubs- oder Vertretungsplanung.

Der Beruf hat ein schlechtes Image bekommen, erzählt eine Hebamme aus dem Geburtshaus Bielefeld. Die Auszubildendenzahlen würden immer tiefer sinken.

Die Hebammenzentrale vermittelt Hebammen an Schwangere. Sie hat einen Überblick darüber, welche Hebamme noch Kapazitäten hat. Wird der Verein aufgelöst, müssten sich die Hebammen künftig wieder selbst organisieren.

Ariane Mönikes (33) von der Neuen Westfälischen in Bielefeld schreibt in dieser Woche für die Nordbayerischen Nachrichten. Mehr als 50 Redakteurinnen und Redakteure von 30 Zeitungen aus dem gesamten Bundesgebiet nehmen an der erstmals vom BDZV organisierten Aktion #ReporterTausch2018 teil. NN-Redakteur Kevin Gudd ist bei der Westfälischen Rundschau in Meschede.

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