Hangrutsch in Forchheim: "Die Stadt trifft keine Schuld"

18.6.2020, 20:00 Uhr
Hangrutsch in Forchheim:

© Foto: Ralf Rödel

Unterwäsche, Zahnputz-Zeug, Geldbeutel, Handy und der Schlüsselbund: Das war alles, was Nicole Binder am Montagabend noch schnell einpacken konnte, bevor sie mit ihrem Mann Thomas und den Kindern Lars (2) und Anna-Maria (4) ihr Haus in der Mayer-Franken-Straße verlassen musste. Ein Hangrutsch bedrohte das Heim der vierköpfigen Familie. In einer großangelegten Aktion von Feuerwehr und THW versuchten die Einsatzkräfte unter anderem mit einem Pendelverkehr von vier Lkw-Kippern mit rund 200 Tonnen Bau-Recyclingmaterial den Hang zu stabilisieren (wir berichteten). Auf einem Neubaugrundstück gleich unterhalb von Binders Haus im Wacholderweg geriet der Boden wegen der starken Niederschläge ins Rutschen.

Hier soll ein Doppelhaus entstehen, ein Einfamilienhaus wurde für den Neubau abgerissen. Der Bauausschuss des Stadtrates segnete am 18. März 2019 den Bau ab. Der Aushub für den Neubau umfasst nahezu das komplette Grundstück. "Mit einer Länge von 20 Metern ist das Doppelhaus deutlich länger als das bestehende Wohnhaus", steht im Verwaltungstext der Stadträte.

 Es gibt kein einziges gutes Haar, das Thomas Binder nun am Bauordnungsamt der Stadt lässt: Bereits am 5. März habe er per E-Mail die Behörde informiert, "dass da was nicht stimmen kann". Unter anderem der massive Aushub trieb Binder die Sorgenfalten auf die Stirn. Von Binders Garten bis zum darunterliegenden Aushub des Neubaus stürzt, so schätzt Binder, die Baugrube bis zu sechs Meter in die Tiefe.

Nach der ersten E-Mail, so erzählt er, "ist erst mal zwei Monate lang nichts passiert". Am 12. Mai habe er dann bei einem persönlichen Termin mit einem Mitarbeiter des Bauamtes Akteneinsicht verlangt.

Hangrutsch in Forchheim:

© Foto: Ralf Rödel

Thomas Binder arbeitet coronabedingt im Home-Office und kann von seinem Bürofenster direkt in die Neubaugrube blicken. "Am Montagfrüh gegen 8.30 Uhr hab’ ich im Bauamt angerufen, als die ersten Brocken aus meinem Garten abgerutscht und in die Grube gefallen sind. Wenig später", so erzählt er, "haben wir einen dumpfen Schlag gehört. Dann hab’ ich beim Bauamt Sturm geklingelt", es sei "so gegen 11 Uhr gewesen".

Kurze Zeit später seien die Verantwortlichen des Bauamtes dann vor Ort gewesen und hätten "Sofort-Maßnahmen" angeordnet. Doch am Abend hört Binder "ächzende Geräusche: Ich konnte zuschauen, wie die Gartenplatten in Zeitlupe in sich zusammenfielen". Zuviel für Binder, der die 112 ruft.

"Am Montag Mittag war die Stadt alarmiert worden und war vor Ort", kann Pressesprecherin Britta Kurth bestätigen. Der Bauherr, die ausführende Firma und auch ein Gutachter seien vor Ort gewesen, sagt Kurth. Man habe den Bauverantwortlichen "mündliche Auflagen gemacht". Augenscheinlich ohne Erfolg: Gegen 19 Uhr wählte Thomas Binder den Notruf. Am Dienstagmittag habe die Bauordnungsbehörde ein Konzept zusammen mit dem Statiker ausgearbeitet. Ein von der Stadt beauftragter Statiker habe mündlich sein Okay gegeben, dass Familie Binder wieder in ihr Haus zurückkehren dürfe. "Ein Schreiben folgt noch von der Bauordnungsbehörde", sagt Kurth.

Zwei Drittel des Hauses sind für Familie Binder wieder "für die normale Wohnnutzung nutzbar". Die Außenanlagen und der östliche Teil des Hauses dürfen allerdings nicht betreten werden, bestätigt Kurth.

Schlecht für die Binders, denn gerade in diesem Gebäudeteil liegen sowohl Schlafzimmer als auch Wohnzimmer. Zurück im Haus haben sie deswegen die Nacht auf Matratzen am Fußboden schlafend verbracht.

Wie es weitergeht? Das weiß Thomas Binder noch nicht. "Jetzt leben wir erst mal im Provisorium, das kann Monate dauern." Auf jeden Fall will er sich juristische Beratung und rechtlichen Beistand holen und wartet noch auf den Schadensgutachter seiner Elementarversicherung. "Ich wäre halb so sauer, wenn mein Mann nicht so oft mit dem Bauamt telefoniert hätte", sagt Nicole Binder.

"Die Bauordnungsbehörde hat ihre Aufgaben erfüllt", betont indes Pressesprecherin Britta Kurth. Schließlich sei "die Stadt mit Experten vor Ort gewesen" und habe dem Bauherrn und der Baufirma "Auflagen gemacht." "Der Bauherr muss die Anordnungen der Stadt befolgen und das ist sofort zu vollziehen." Die ausführende Firma müsse auch "in der Lage sein, diese Auflagen zu erfüllen". Was wohl wenig erfolgversprechend war: "Ein einzelner Baggerfahrer", erzählt Binder, habe am Montagnachmittag versucht, das Gelände zu sichern.

Oberbürgermeister Uwe Kirschstein stellt sich hinter seine Mitarbeiter: "Die Stadt war vor Ort und hat sich die Baustelle und die Gegebenheiten angesehen. Dabei wurden klare Anordnungen erlassen, an die sich offensichtlich nicht gehalten wurde. Die Stadt trifft keine Schuld."

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