Weilersbach: Vom jüdischen Lehrersohn zum berühmten anglikanischen Priester

30.5.2021, 08:26 Uhr
Weilersbach: Vom jüdischen Lehrersohn zum berühmten anglikanischen Priester

© Foto: Stefan Hippel

In unserer Serie „Jüdische Lebensläufe“ aus Anlass des Jubiläums 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland berichten wir heute über Joseph Wolff aus dem Ort Weilersbach. Auf eine bewegte Lebensgeschichte konnte Joseph Wolff zurückblicken, der in Weilersbach geboren wurde. Seine außergewöhnliche Biographie, die er Freunden diktiert hat, trägt den Titel: "Travels and Adventures of the Rev. Joseph Wolff" (Reisen und Abenteuer des Pfarrers Joseph Wolff). Sie ist im Jahre 1861 erschienen, ein Jahr, bevor Wolff in England starb. 1863 erschien eine deutsche Übersetzung des Buches.

Joseph Wolff schreibt, er sei 1795 als Sohn des Rabbis David Wolff in Weilersbach geboren worden. Rabbi ist nicht mit Rabbiner gleichzusetzen, sondern bedeutet hier Lehrer der jüdischen Religion und der hebräischen Sprache. Da Hebräischkenntnisse Voraussetzung für die aktive Teilnahme am Gottesdienst waren, stellten auch kleine jüdische Landgemeinden einen Religionslehrer ein, der oft auch als Vorsänger tätig war.

Ein Rabbi, aus Böhmen stammend, von dort vertrieben

Zur Geschichte seiner Familie schreibt Joseph Wolff: Ein Rabbi namens Wolff, 1720 geboren, aus Böhmen stammend und von dort vertrieben, lebte in dem Dorf Weilersbach nahe Forchheim. Wolffs Cousin Isaak Lipkowitz, ebenfalls Rabbi, wohnte in Pretzfeld nahe Ebermannstadt. Die beiden waren miteinander befreundet und besuchten einander oft. Beide heirateten einheimische jüdische Frauen.

Wolff hatte zwei Söhne und zwei Töchter. Der ältere Sohn hieß David, 1750 geboren, der jüngere Ascher. Bereits mit sieben Jahren verließ David sein Vaterhaus, um in Prag den Talmud zu studieren und "reines Deutsch" zu lernen. Nachdem er dann längere Zeit als Hauslehrer in reichen Familien verbracht hatte, kehrte er mit 30 Jahren in seinen Geburtsort Weilersbach zurück. Seine Eltern waren bereits gestorben. David heiratete Sara, eine Tochter des Isaak Lipkowitz, und wurde 1794 jüdischer Lehrer in Weilersbach.

Erst 15 Tage alt, als die Familie Weilersbach verließ

Das junge Paar bekam 1795 einen Sohn Wolff, nach dem Großvater väterlicherseits benannt. Das Kind war erst 15 Tage alt, als der Lehrer David Wolff mit seiner Familie Weilersbach verließ. Wegen der Invasion französischer Truppen lebten die Menschen in Deutschland in Sorge und Angst. David Wolff hielt sich in der Folgezeit in Kissingen, Halle an der Saale, Uehlfeld und Jebenhausen bei Göppingen auf, wo er von 1804 bis 1807 tätig war.

Der Lehrer David Wolff schickte seinen Sohn in die christliche Schule, damit er Deutsch lesen und schreiben lernte. Später besuchte der junge Wolff das Gymnasium in Stuttgart. Er fühlte sich schon früh nicht nur zu den alten Sprachen, sondern auch zum Christentum hingezogen.

Schon in jungen Jahren verließ Wolff sein Elternhaus. Nach zahlreichen Begegnungen mit Persönlichkeiten der damaligen Zeit entschloss er sich dazu, zum Christentum überzutreten. Am 13. September 1812 wurde er vom Abt des Benediktinerklosters Emmaus in Prag auf den Namen Joseph getauft. Er besuchte die Universitäten in Wien und in Tübingen, wo er die orientalischen Sprachen studierte. 1816 konnte er seine Studien in Rom fortsetzen und Theologie studieren.

Die Mutter in Pretzfeld

Seine Mutter, inzwischen verwitwet, lebte bei ihrem Bruder Salomon in Pretzfeld. Die Taufe von Joseph Wolff hatte sich bei den Juden des Ortes herumgesprochen und zog für die Mutter Repressalien nach sich. In einem Brief an das Gräflich von Seinsheimsche Ortsgericht beschwerte sich der Konvertit Joseph Wolff 1816 deswegen: Die Pretzfelder Judenschaft erlaube sich gegen seine Mutter allerlei "Neckereyen" und zwinge sie sogar – wegen seiner Bekehrung – "im Sterbekleid zu trauern". Als es später zu Auseinandersetzungen über die katholische Glaubenslehre kam, wandte sich Joseph Wolff nach England. Dort schloss er sich der Church of England an und wurde zum Diakon, später zum Priester geweiht.

Zwischen 1821 und 1826 bereiste er als Missionar Ägypten und die Levante. Er kam bis nach Persien und Mesopotamien. 1827 heiratete er und bekam einen Sohn, den er Henry Drummond nannte. Dieser machte sich später einen Namen als konservativer Politiker. Um 1828 startete Wolff eine Expedition auf der Suche nach den zehn verlorenen Stämmen Israels. Er reiste in die entlegensten Gegenden Asiens und Afrikas.

Mit 52 Jahren übernahm Joseph Wolff die Stelle eines Pfarrers im ländlichen Somerset. In dem beschaulichen Ort Isle Brewers südlich von Bristol starb er im Jahre 1862. Über seine Missionstätigkeit veröffentlichte Joseph Wolff zahlreiche Aufsätze und mehrere Bücher. Er war zu seiner Zeit ein berühmter Mann in England. Heute dürfte der eifrige Missionar jedoch weitgehend vergessen sein.

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