Auch Hans lernt noch

30.9.2015, 21:30 Uhr
Auch Hans lernt noch

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Die vhs ist jeden Tag voller Menschen aus verschiedenen Nationen. Die Integrationskurse haben das Haus verändert, von Anfang an war das Ihr Bereich. Vielleicht, weil Sie selbst italienische Wurzeln haben?

 

Felice Balletta: Ich dürfte fränkischer sein als die meisten meiner Kollegen. Mein Vater kommt aus Italien, aber mein Großvater mütterlicherseits stammt aus Fürth. Meine Großmutter wiederum war ein Nachkriegsflüchtling aus dem Sudetenland. Selbst die deutsche Seite hat also Brüche, es ist absurd, so zu tun, als gäbe es solche Brüche nicht. Ich würde sogar behaupten, Migration ist in der Geschichte der Normalzustand. Ich arbeite sehr gerne mit Menschen aus aller Welt, Fremdheitserfahrungen habe ich selbst aber nur im Ausland gemacht.

 

Inwiefern?

Balletta: Während des Studiums war ich in Spanien und Italien, später habe ich fünf Jahre in Frankreich gearbeitet. Plötzlich habe ich Schwarzbrot vermisst, obwohl ich hier nie Schwarzbrot esse. Und ich habe erfahren, wie schwierig es sein kann, Formulare auszufüllen.

 

Sie dürften eine Ahnung haben, wie Integration gelingen kann – und wo die Grenzen sind.

Balletta: „Fördern und Fordern“ ist das Motto des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, das finde ich sehr schön: Beides gehört dazu, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Erst einmal sollte man den Menschen, die zu uns kommen, die Hand reichen.

 

Und dann? In den Integrationskursen erleben die Dozenten auch schwierige Momente. Es sitzen da ja nicht nur weltoffene, tolerante Menschen.

Balletta: Da prallen Welten aufeinander. Da sitzt die kasachische Kinderärztin neben der Kunsthistorikerin aus San Francisco und dem traumatisierten Ehepaar aus Syrien. Schwierig ist es, wenn einem Teilnehmer nicht klar ist, dass es in Deutschland keine singuläre Freiheit gibt, sondern nur das Gesamtpaket: Ich kann nicht Religionsfreiheit fordern, aber die Gleichstellung von Frauen und Schwulen ablehnen. Zum Glück sind das absolute Ausnahmefälle.

 

Auch Hans lernt noch

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Zum Kurs gehören auch 60 Unterrichtsstunden zur deutschen Politik, Geschichte und Kultur. Reicht das denn?

Balletta: Ich bin dankbar für diesen Teil. Natürlich kann man niemanden, der anders erzogen wurde, von heute auf morgen zum Verfechter der Demokratie machen. In diesen Fällen bin ich ein Freund klarer Ansagen. Für mich gibt unser wunderbares Grundgesetz den Rahmen vor. Aber wie gesagt: Das sind Ausnahmen. Unterm Strich sind die Integrationskurse – die Jahrzehnte zu spät kamen – eine Erfolgsgeschichte, sie können ein Vorbild für andere Länder sein. Es wird viel Geld in die Hand genommen, um Parallelgesellschaften zu vermeiden oder aufzubrechen.

 

Wie muss es in Sachen Demokratieerziehung weitergehen?

Balletta: Da sehe ich uns als Volkshochschulen weiter gefordert. Bildung ist der Schlüssel. Ich denke, die vhs hat in den Jahrzehnten einen elementaren Beitrag dafür geleistet, dass Fürth so eine offene, friedliche Stadt ist. Jemand, der bereit ist, eine Fremdsprache zu lernen, hat eine ganz andere Geisteshaltung als einer, der sich nicht für andere Kulturen interessiert. Und wer seinen Schulabschluss nicht geschafft hat, kann ihn bei uns nachholen. In Fürth genießt die vhs zum Glück eine hohe Wertschätzung – der Freistaat aber behandelt die Erwachsenenbildung leider stiefmütterlich. Viele Zuwanderer kommen nach einiger Zeit wieder zu uns, in andere Kurse. Viele haben Kinder, die erfolgreich in der Schule sind. Wichtig ist, dass die Menschen Arbeit finden. Deshalb fände ich es nötig, dass der Staat bei motivierten Teilnehmern den Fortsetzungskurs fördert. Der erste Sprachkurs reicht nicht für qualifizierte Berufe.

Abgesehen vom Thema Integration: Wie hat sich die vhs seit 2005 gewandelt?

Balletta: Die vhs ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen. Das Altwerden ist ein großes Thema: Das Projekt „Bewegung für die grauen Zellen“ zur Demenzprävention hat ein Mitarbeiter von uns entwickelt, es wird nun bayernweit kopiert. Wir müssen auch sehen, wer jetzt alt wird: Das ist die Generation, die mit der Harley Davidson und Frank Zappa groß geworden ist. Das ist eine aufgeschlossene, anspruchsvolle, bildungsbewusste Klientel. Daneben sind Verbraucherschutz- und Nachhaltigkeitsthemen wichtig geworden, genauso wie Angebote rund ums Thema Work-Life-Balance. Mich wurmt, dass es den Volkshochschulen noch nicht gelungen ist, das hausbackene Image abzustreifen. Wir sind ganz kreativ.

 

Was sind Ihre Ziele als Leiter?

Balletta: Eines ist, die vhs zu öffnen und häufiger Kooperationspartner zu sein. Das andere große Ziel ist die Inklusion: Es soll irgendwann nicht mehr exotisch sein, wenn auch ein Blinder im Sprachkurs ist. Die Musikschule ist da sehr aktiv, das finde ich faszinierend.

 

Was haben Sie an der vhs gelernt?

Balletta: Zum Beispiel dies: Wer bereit ist, zu lernen, übernimmt Verantwortung. Ich habe gelernt, dass Bildung unglaublich viel Spaß machen kann. Der Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist völlig falsch. In einer globalisierten Gesellschaft kann man mit so einer Einstellung nicht überleben.

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