Kindliche Psyche

Der Dauer-Lockdown und die Folgen für Kinder: So können Eltern helfen

1.5.2021, 10:00 Uhr
Der Dauer-Lockdown und die Folgen für Kinder: So können Eltern helfen

© Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Vor mehr als einem Jahr begann die Pandemie - in einem Kinderleben ist das eine sehr lange Zeit. Das rief das Kinderhilfswerk Unicef kürzlich in Erinnerung und sensibilisierte für die Folgen. Besorgt sind auch Dr. Diana Bialecki (Ärztliche Leitung) und Dr. Caroline Schafflhuber (Therapeutische Leitung).

Sie gehören zum Team der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Fürther Klinikums. Es gibt hier 15 Plätze für Kinder und Jugendliche, abends und am Wochenende sind sie zuhause. Die Warteliste ist sehr lang.


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Die dritte Welle brachte uns allen einen zähen Dauer-Lockdown: Welche Auswirkungen beobachten Sie bei Kindern?

Caroline Schafflhuber: Wir sehen, dass viele Kinder stark unter der sozialen Isolation und der mangelnden Struktur leiden. Ihnen fehlt seit Monaten Sicherheit, die Zeit mit Freunden, das stabilisierende Hobby. Sie bewegen sich weniger, verbringen mehr Zeit mit Medien, viele ziehen sich zunehmend zurück.

Diana Bialecki: Bei Kindern, die sowieso schon belastet sind, fallen diese Einschränkungen noch mehr ins Gewicht. Aber es setzt durchaus auch denen zu, die bisher keine Schwierigkeiten aufwiesen und von ihrer Familie und ihrem Umfeld bestmöglich unterstützt werden.

Das klingt nach großer Besorgnis.

Schafflhuber: Wir erwarten in Folge der Corona-Krise wirklich einen deutlichen Anstieg von psychischen Störungen. Manche Probleme wie etwa Leistungsängste aufgrund entstandener Wissenslücken oder soziale Ängste werden sogar erst noch deutlicher beim Beginn des Präsenzunterrichts zu Tage treten. . .

Bialecki: Der unmittelbare Leistungsdruck ist durch fehlende Prüfungen zum Teil weggefallen, so dass andere Probleme in den Vordergrund rücken. Dies sehen wir bereits jetzt an zunehmenden Anmeldungen für unsere tagesklinische Behandlung.

Gibt es schon Studien zu den Auswirkungen der Pandemie auf Familien?

Schafflhuber: Der repräsentativen Copsy-Studie zufolge haben bei 7- bis 17-Jährigen Ängste, Niedergeschlagenheit und psychosomatische Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen zugenommen. Demnach zeigt in Deutschland jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten, vor der Krise war es jedes fünfte. Besonders betroffen sind Mädchen und Jungen aus sozial schwächeren Familien. Deutlich wurde auch, dass viele Eltern am Anschlag sind.

Bialecki: Die Eltern leisten Enormes. Sie müssen zurzeit alles auffangen, weil oft Lehrkräfte und Großeltern als Bezugspersonen und "Strukturgeber" wegfallen. Die Belastung der Kernfamilie ist somit sehr hoch, umso mehr bei kleinen Kindern. Es gibt mehr Konflikte zuhause, auch Streitereien zwischen Geschwistern eskalieren häufiger.


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Welche Warnsignale sollten Eltern nicht übersehen?

Bialecki: Jede Verhaltensänderung sollte hellhörig machen: wenn das Kind antriebs- oder interessenlos wirkt, wenig Freude hat, sich zurückzieht oder aggressive Verhaltensweisen zeigt, wenn es schulische Anforderungen nicht mehr bewältigen kann oder keinen geregelten Tagesablauf hat.

Schafflhuber: Unser Appell ist, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Leider kommen viele Kinder erst recht spät zu uns, auch weil es weiterhin in vielen Regionen an Behandlungs- und Beratungsplätzen mangelt.

Wie können Familien die Belastungen abfedern?

Schafflhuber: Wichtig ist es, im Gespräch zu bleiben, weiter einen Draht zu haben und Verständnis für die schwierige Situation.

Bialecki: Was hilft, ist eine klare Struktur, verlässliche Rituale, so dass die Kinder sich an etwas festhalten und orientieren können. Das ist jetzt noch wichtiger als sonst. Eltern helfen, wenn sie Ruhe und Sicherheit vermitteln, Möglichkeiten bieten, Stress abzubauen, mit Bewegung und Sport, und wenn sie es den Kindern ermöglichen, Kontakt zu Gleichaltrigen und zur Familie zu halten, entweder im Rahmen des Erlaubten oder digital.

Schafflhuber: Man sollte versuchen, sich als Familie weiter schöne Momente zu erhalten und eine positive Grundhaltung: Wir machen das Beste aus der schwierigen Situation! Aber klar: Eltern können eine solche Struktur nur vermitteln, wenn sie auch mal eine Pause zum Energietanken haben.

Viele sind an ihren Grenzen.

Schafflhuber: Ja, man muss schauen, was machbar ist. Eltern sind wirklich stark gefordert in dieser Zeit. Eigentlich erleichtern feste Strukturen vieles, aber die Umstellung kostet erst mal Kraft. Oft hören wir, dass sich mit den geschlossenen Schulen und Kitas der Rhythmus verschoben hat: Kinder sind zum Beispiel bis mittags im Schlafanzug und gehen abends später ins Bett. Eine machbare Tagesstruktur, zum Beispiel mit festen Essens-, Hausaufgaben-, Freizeit- und Zubettgehzeiten ist wichtig. So viel Normalität wie möglich.

Bialecki: All das kostet viel Kraft. Wenn möglich, sollten Eltern jedoch versuchen, nicht allen Konflikten auszuweichen, nicht zu nachlässig werden.

Wo finden Kinder und Eltern Hilfe, wenn die seelische Not anhält?

Bialecki: Eltern und Kinder wenden sich oft zunächst an vertraute Personen wie Erzieherinnen oder Lehrkräfte. Weiter können sie sich auch ans Jugendamt, an die Familien- und Erziehungsberatungsstelle, ihren Kinder- und Hausarzt oder auch direkt an die Kinder- und Jugendpsychiatrien im Großraum wenden.

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