Erst enteignet, dann verklagt

4.9.2011, 10:00 Uhr
Vorher: Noch im Frühjahr ging der Blick über die Gartenkolonie hinweg ungehindert zur Hardhöhe.

© privat Vorher: Noch im Frühjahr ging der Blick über die Gartenkolonie hinweg ungehindert zur Hardhöhe.

Seit die Deutsche Bahn (DB) den Bau der S-Bahn vorantreibt, beklagen Haus- und Gartenbesitzer das Vorgehen des Unternehmens: Da die Gärten der Fürther Anwohner an der Böschung an die Bahnstrecke grenzen, wurden sie inzwischen enteignet. Die Bahn benötigte einen Teil der Grundstücke im Gleisdreieck zwischen den Bahnstrecken Nürnberg-Hauptbahnhof, Bamberg und Fürth sowie Würzburg, um die zusätzlichen S-Bahn-Gleise zu verlegen. Doch was wird hier zerstört?

Ende der 50er Jahre schloss sich die Gartenkolonie Heerdegen dem Stadtverband der Kleingärtner an, in den 90er Jahren wurden aus den Pächtern Eigentümer. „Freilich hätten wir für den Kaufpreis die nächsten hundert Jahre pachten können, doch wir wollten unabhängig sein!“, erinnert sich Jürgen Lohmann, der seinen Garten hinter dem Scherbsgraben seit 1979 hegt und pflegt und jeden freien Fleck bepflanzt hat.

Seit 14 Jahren sind auch Rolf Panse und seine Ehefrau stolze Eigentümer, doch inzwischen sitzen sie recht frustriert in ihren Gartenstühlen. Die Bahnstrecke raubte ihnen 60 Quadratmeter — etwa ein Siebtel der Fläche — ihres Gartens, Lohmann verlor 68 Quadratmeter. Auch die Idylle ist dahin: Statt der stattlichen Eichen und Rubinien, teilweise waren die Bäume über hundert Jahre alt, blicken die Gärtner nun auf eine Ampelsignalanlage und ihr Refugium wurde zum Präsentierteller. Regelmäßig stoppen doppelstöckige Züge, und die Reisenden blicken über die Schallschutzmauer in die Gärten.

Wie viel wiegt ein solcher Verlust? Zählt nur der monetäre Wert der einzelnen Staude oder ist auch die investierte Leidenschaft der Gärtner etwas wert? Wie wertvoll sind fünf Eichen, zwei Rubinien und ein Ahornbaum? Wird nur der pure Wert des Holzes gerechnet oder doch mehr?

Das mächtige Astwerk der Bäume soll selbst den Lärm des bisherigen Bahnverkehrs gedämpft haben, die moderne Schallschutzmauer vermag dies nicht. Und wie viel Entschädigung dürfen Panse und Lohmann für ihre einst aufwendig gemauerten und liebevoll eingerichteten Steinhäuser verlangen? Auf wie viel ist der Wert der Gartenanlagen, der Pflanzen und des Bodens zu beziffern?

Teilweise einig

Im Juli 2008 kam es zu einer Teileinigung. Der Bahn wurde gestattet, das Grundstück zu nutzen, die Gartenhäuser abzureißen. Damals wurde die Entschädigungsfrage noch ausgeklammert, das Gutachten einer Sachverständigen sollte abgewartet werden. Während die Gartenbesitzer es nicht einmal wagten, in den Sommermonaten zu verreisen, ließ sich die DB Zeit.

Jetzt verbaut eine hohe Lärmschutzwand am neuen S-Bahn-Gleis die Freizügigkeit der grünen Oase. Der Erholungswert wurde dadurch stark eingeschränkt.

Jetzt verbaut eine hohe Lärmschutzwand am neuen S-Bahn-Gleis die Freizügigkeit der grünen Oase. Der Erholungswert wurde dadurch stark eingeschränkt.



Im Oktober 2008 rückten die Bauarbeiter schließlich an, die Bäume wurden gefällt, die Häuser eingerissen. Damit die Gärtner ihre Möbel und Gartengeräte lagern konnten, erhielten sie dreieinhalb mal vier Meter große Hütten — die Parzellenbesitzer vergrößerten und verbesserten die Hütten, auf eigene Kosten.

Im April 2009 hätte der Streit vom Tisch sein können. Eine staatlich vereidigte Gutachterin, beauftragt von Panse und Lohmann, legte ihre Expertise vor. Rund 30000 Euro sollte die DB demnach an die Familie Panse zahlen, knapp 32000 Euro sollten an Jürgen Lohmann gehen. Doch die Bahn lehnte ab. Ihr eigener Gutachter hatte lediglich ein Viertel des Betrages errechnet. Das große Mobilitäts- und Logistikunternehmen leitete ein Besitzeinweisungsverfahren zur Enteignung ein und zwingt nun die Anrainer in einen Prozess vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth.

Idyll verloren

Rechtsanwalt Hans Besendorfer ist überzeugt: Das Schlimmste für die Gartenbesitzer ist die teilweise Enteignung. Sie wären besser dran, hätte ihnen die Bahn den gesamten Garten genommen. Inzwischen wäre nämlich die Entschädigungssumme geflossen und die Hobbygärtner hätten sich eine neue Wohlfühl-Oase suchen können. Doch nun haben sie ihr Idyll verloren, besitzen ein schlechter gewordenes Grundstück und der Streit mit der Bahn beherrscht ihr Leben — und dies kostet nicht nur Nerven.

Anwalt Besendorfer spricht von einem enormen Kostenrisiko für seine Mandanten, den gerichtlichen Zivilstreit wird die Partei, die unterliegt, zu zahlen haben. Und während die DB eine eigene Rechtsabteilung beschäftigt und drei Anwälte zum Landgericht schickt, streiten Panse und Lohmann ohne Rechtsschutzversicherung — denn diese zahlt im Fall einer Enteignung nicht.

„Alle Vermögensnachteile sind zu entschädigen. Was im Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung steht, klingt wunderbar, doch wehe, es gibt Meinungsverschiedenheiten. Wer nicht zu allem Ja und Amen sagt, wird mit Kosten überfrachtet“, kommentiert Anwalt Besendorfer.

Die Richter der vierten Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth mühten sich zuletzt nach Leibeskräften um einen Vergleich — doch die DB blieb unerbittlich. Beispielhaft für die Haltung des Unternehmens: Die Anwohner sollten die Lärmschutzmauer (auf ihrem früheren Grundstück) als Gewinn betrachten.

„Die Bahn dreht Schleifen, wo sie kann, es ist wirklich sehr unschön für die Beteiligten“, sagt Anwalt Besendorfer. Auch der Jurist hat für seine Mühen noch keinen einzigen Cent gesehen. Zwar muss die DB angesichts des Enteignungsverfahrens die vorgerichtlichen Kosten tragen, und dazu gehören auch die damaligen Rechnungen Besendorfers. Doch der Streitwert — danach bemisst sich auch seine Rechnung — sei noch nicht festgesetzt, heißt es bei der Bahn.

Unterschiedlich bewertet

Tatsächlich sind die unterschiedlichen Bewertungen schier fantastisch: Noch im April 2008 bot die DB an, für die sechs Großbäume 2917 Euro zu zahlen. Doch als ein Mitarbeiter des Grünflächenamtes der Stadt Fürth im Juli 2008 das Grundstück betrat — eigentlich nur, um Ratschläge zur Umsiedelung der Pflanzen zu erteilen — schlug er die Hände über den Kopf zusammen. Die großen alten Bäume seien sehr viel mehr wert, mutmaßte er. Folge: Gartenbesitzer Rolf Panse bat erneut um einen Gutachter.

Die Enteignungsbehörde schickte einen Sachverständigen, dessen Gutachten ging im Mai 2009 ein: Er ermittelte für die zu rodenden Bäume einen Gesamtbetrag von 71000 Euro. Im Zug des aktuellen Zivilprozesses wird nun wohl erneut ein Baumsachverständiger den Wert der Bäume zu beurteilen haben. Doch fest steht bislang eines: Der Baumschutz vor der prallen Sonne fehlt, und nicht nur das Klima in den Gärten hat sich verändert.

Entschädigung strittig

Auch die Entschädigungssumme für die Steinhäuser ist strittig: Bevor die Steinhäuser der Eheleute Panse und Jürgen Lohmann abgerissen worden waren, wurde alternativ ein Container oder ein Holzhütte angeboten. Die Gärtner wählten einen Container – sie hatten bereits Pläne für ein neues Steinhaus. Doch dann teilte die ausführende Baufirma mit, dass der Abtransport des Containers nach der Bauzeit wegen der dann bestehenden Schallschutzmauer nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich sei; die Baufirma schlug vor, doch eine Hütte zu nehmen.

Da es nicht absehbar war, wie sich das Verfahren weiter entwickeln würde, bauten die Gärtner die Hütten auf eigene Kosten aus — und sollen sich dafür nun einen Wert von 9000 Euro anrechnen lassen. Daraufhin schrieb sogar Oberbürgermeister Thomas Jung an die Bahn. Die ernüchternde Antwort: Die Familie Panse leide unter mangelnder Realitätswahrnehmung. Ansonsten sorgt man sich bei der Bahn angeblich um Steuergelder; die DB wolle das Sonderopfer, das für die Allgemeinheit gebracht wurde, nicht überkompensieren.

Doch fest steht: Die Höhe der Forderungen wurden von der Enteignungsbehörde festgelegt. Und fest steht auch, dass der Prozess noch lange andauern wird und die drei Anwälte der Bahn wohl Steuergelder im fünfstelligen Bereich verschlingen.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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