Stadt: Kein Ermessenspielraum

Fürther Familie droht Abschiebung nach Tschetschenien

2.7.2021, 11:00 Uhr
Rechtlich scheint der Fall klar: Die Familie aus Tschetschenien muss bis 10. Juli ausreisen. Kritiker sehen darin eine menschliche Tragödie. 

© dpa Rechtlich scheint der Fall klar: Die Familie aus Tschetschenien muss bis 10. Juli ausreisen. Kritiker sehen darin eine menschliche Tragödie. 

Die Ausländerbehörde habe der Familie "jegliche Aufenthaltserlaubnis entzogen, sie zur freiwilligen Ausreise aufgefordert und andernfalls die Abschiebung angedroht", heißt es in einem Antrag der Linken, der im Finanz- und Verwaltungsausschuss mehrheitlich abgelehnt wurde. Rechtsreferent Mathias Kreitinger reagierte entschieden: Das stimme so nicht.

Die Familie kam ihm zufolge 2013 nach Deutschland und stellte Antrag auf Asyl. Den habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 2016 abgelehnt. Der Fall kam vor den Richter, und jetzt, im Juni, wurde der Bamf-Bescheid mit einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in zweiter Instanz rechtskräftig. So begann am 10. Juni eine Frist. "Binnen 30 Tagen muss die Familie freiwillig ausreisen", sagt Kreitinger, also bis 10. Juli.

Das ergebe sich aus dem Bescheid. Für eine Beendigung des Aufenthalts oder eine eventuelle Duldung sei die Zentrale Ausländerbehörde der Bezirksregierung zuständig, nicht die Stadt. Deren Aufgabe sei es nur gewesen, eine Grenzübertrittsbescheinigung auszustellen. Bürgermeister Markus Brauns Frage nach der Möglichkeit, "positiv Einfluss zu nehmen", verneinte Kreitinger: "Über Aufenthalt oder Abschiebung hatte die Stadt zu keinem Zeitpunkt eine Entscheidungskompetenz."

Grundzüge des Asylrechts

Doch, die Stadt habe einen Ermessensspielraum, widersprach Niklas Haupt (Linke). Im Ausschuss entspann sich eine Grundsatzdebatte. Sie lief darauf hinaus, dass das Rechtsreferat demnächst Grundzüge des Asyl- und Aufenthaltsrechts erläutern wird. Haupt verwies aber auch auf einen Fürther Stadtratsbeschluss von 2018.

Das Gremium hatte sich 2018 nach dem Nürnberger Abschiebeversuch von Asef N., der bundesweit für Furore sorgte, weil die Polizei den jungen Mann direkt aus der Berufsschule abholen wollte, gegen Abschiebungen während des Schulbesuchs oder der Ausbildung ausgesprochen. Eine Aussage, die die Linken nicht nur auf den Unterrichtstag beziehen, sondern auf die Zeit der Ausbildung.

In der russischen Teilrepublik Tschetschenien sei niemand seines Lebens sicher, mahnen die Linken. Wegen Anschlägen mit terroristischem Hintergrund, bewaffneten Auseinandersetzungen und Entführungen gebe es auch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts. Eine Abschiebung sei aus menschenrechtlichen Gründen abzulehnen.

Zu der Familie gehören vier Kinder, ein Junge und drei Mädchen. Nach FN-Informationen besuchen der älteste Sohn die fünfte Klasse Realschule und zwei Töchter die Grundschule. Das jüngste Kind, auch ein Mädchen, wurde in Fürth geboren und geht in den Kindergarten.

Den Linken zufolge gilt die Familie als gut integriert, besonders die Mädchen seien sehr gute, leistungsstarke Schülerinnen. Die Lehrerin der Zweitklässlerin schwärmt von deren zielbewusstem und selbstständigem Arbeiten. "Das Kind hat Freunde, ist sozial gut integriert", sagt sie. Das Schicksal der Familie geht ihr "richtig an die Nieren, eine Abschiebung wäre schlimm für die Kinder".

Auch einer Frau, die in der Nachmittagsbetreuung der Grundschule arbeitet, geht der Fall nahe. Die Eltern kümmerten sich liebevoll um die Kinder, berichtet sie, die Viertklässlerin etwa habe "mit viel Entschlossenheit und Freude die Noten für das Gymnasium erreicht". Niedergeschlagen habe das Mädchen dann aber gesagt, sie könne im Herbst nicht aufs Gymnasium wechseln. Ihre Betreuerin hofft nun, dass die Familie vielleicht doch bleiben darf.

Mittel und Wege im Rahmen des Rechts

Als Vlad (21) kurz vor seinem Fachabitur mit Eltern und Geschwistern zwangsweise zurück in die Ukraine gebracht wurde, hatten Mitschüler auf der Freiheit "Wir wollen unseren Freund zurück" gerufen und an den Staat appelliert: "Holt ihn bitte wieder ins Land". Ohne Erfolg. Auch Vlads jüngerer Bruder Oleksandr wird am Fürther Helene-Lange-Gymnasium vermisst. Im Ausschuss sagte Kamran Salimi (Grüne) nun mit Blick auf den aktuellen Fall: "Auch wenn wir nicht zuständig sind", fehle ihm "ein bissl der erkennbare Wille", im Rahmen des Rechts Mittel und Wege zu suchen, um die Abschiebung zu verhindern.