Handwerk: Mit jedem Betrieb geht Individualität verloren

11.4.2020, 10:00 Uhr
Handwerk: Mit jedem Betrieb geht Individualität verloren

© Foto: André De Geare

"Wir schließen." Eine Botschaft, die als Aushang am Schaufenster der Metzgerei Förderreuther bei Weitem nicht nur im Stadtteil Poppenreuth für Diskussionsstoff sorgte. Wieder verabschiedet sich damit ein Betrieb, in dem handwerkliche Tradition und Qualität der Maßstab waren. Viele Kunden fragen sich jetzt besorgt, ob Lebensmittel bald ausschließlich aus industrieller Produktion kommen.


Aus nach über 50 Jahren: Metzgerei Förderreuther schließt


Es ist ein augenfälliger Trend, den Konrad Ammon mit Statistiken und Grafiken untermauern kann. "1998 gab es in Fürth und im Landkreis noch 65 Metzger, heute sind es gerade mal noch 15 produzierende Betriebe, fünf davon in Fürth." Der 63-Jährige hat im Januar das Burgfarrnbacher Familienunternehmen an seine beiden Söhne Philipp und Max Ammon übergeben. Damit ist in der Metzgerei, die 1906 gegründet wurde, die fünfte Generation am Start. "Das ist keine Selbstverständlichkeit", weiß Konrad Ammon, der als Landesinnungsmeister alle bayerischen Kollegen vertritt.

"Mit jedem Handwerksbetrieb, der schließt, geht auch ein Stück Individualität verloren", bedauert er. In den jeweiligen Discountern und Supermärkten, die größtenteils die Nahversorgung übernommen haben, gebe es schließlich identische Sortimente. Doch Ammon stellt auch fest, dass "den Verbrauchern die Regionalität immer wichtiger wird".

Als Metzger ist ihm die "Wertschätzung des Nahrungsmittels Fleisch" ein Anliegen. "Unser Leitspruch heißt: von allem etwas, aber nicht zu viel." Darin liegt auch eine Absage an übermäßigen Konsum. Konrad Ammon wünscht sich einen bewussten Umgang: "Wer eine Bratwurst genießt oder ein Schnitzel, der soll nicht vergessen, dass ein Tier dafür sein Leben ließ. Die Achtung vor der Kreatur ist wesentlich."

Bei Ammon in Burgfarrnbach arbeiten insgesamt 22 Frauen und Männer, fünf gehören zur Familie. Für den 63-Jährigen ist der Betrieb nicht einfach ein Job, sondern ein Beruf, den er mit großem Idealismus ausübt. In seinem ehrenamtlichen Engagement für die Zukunft des Handwerks setzt er sich unter anderem dafür ein, dass die Flut der Auflagen eingedämmt wird: "Wenn man alle Verordnungen, Gesetze, Anordnungen, die wir beachten müssen, aneinanderreiht, dann sind das insgesamt 4723 Seiten Papier. . ."

Die Arbeitsbelastung ist hoch

In Großhabersdorf fällt auch Roland Streicher zu diesem speziellen Thema viel ein. Der engagierte Bäcker- und Konditormeister, der dank Teilnahme an einem TV-Wettbewerb sein Können schon bundesweit präsentieren konnte, führt einen Betrieb, der seit anno 1800 in Familienbesitz ist. "Der bürokratische Aufwand ist unglaublich geworden", seufzt der 50-Jährige.

Unter anderem muss der Arbeitstag jedes Mitarbeiters exakt dokumentiert werden. "Ich muss aber beispielsweise auch täglich messen und aufschreiben, ob unsere Kühlschränke richtig arbeiten." Ein Prozedur, in der er wenig Sinn sieht. "Erstens merke ich ja sofort, ob das Gerät kühlt oder defekt ist. Und zweitens: Wäre das der Fall, würde ich alles, was gerade drin ist, sofort wegwerfen. Da würde ich niemals irgendein Risiko eingehen."

Wie sieht es mit seinen Arbeitszeiten aus? Im Gespräch mit den FN hatte das Ehepaar Förderreuther von einer hohen Belastung gesprochen. Bis zu 70 Stunden pro Woche haben sie für die Metzgerei gearbeitet, das habe ihnen mit den Jahren zugesetzt.

Streichers Arbeitstag beginnt um zwei Uhr nachts. "So gegen 13 Uhr mache ich dann ein bisschen Pause und dann geht’s weiter mit Vorbereitungen und Büroarbeit bis abends." Das stramme Pensum absolviert er an sechs Tagen in der Woche: "Sonntags sind’s für mich nur zwei bis drei Stunden." Für das Familienleben ist so ein Einsatz natürlich "nicht gerade ideal". Trotzdem, sagt der Mann, der aus seiner Leidenschaft für sein Handwerk kein Hehl macht, würde er wieder den gleichen Weg gehen.

"Dieses Handwerk ist meine Berufung"

Und der Nachwuchs? Bewerbungen für eine Ausbildung zur Konditorin oder zum Konditor laufen regelmäßig bei Roland Streicher ein. Anders sieht es beim Bäckerhandwerk aus. "Da kommt schon seit Jahren Null. Aber das ist auch ein schöner, kreativer, abwechslungsreicher Beruf."

Der 24-jährige Bäckermeister Chris Herrmann kann das bestätigen. Er erinnert sich: "Ich habe schon in der Ausbildung gemerkt: Dieses Handwerk ist meine Berufung." Vor knapp einem Jahr hat er eine eingesessene Bäckerei in der Fürther Fichtenstraße übernommen. Zuvor sammelte er Erfahrungen in den unterschiedlichsten Bereichen seiner Zunft. Er hat unter anderem als Mischer in einem Industriebackbetrieb gearbeitet ("Da habe ich 16 Kilo abgenommen und wollte keine Produkte davon mehr essen"), in einer Holzofenbäckerei oder im Kloster Plankstetten ("Wahnsinnig faszinierend!").

Jetzt weiß der junge Meister genau, was er will: "Ehrliche Produkte, ausschließlich mit einfachen, natürlichen Zutaten. Traditionsrezepte, komplett ohne Zusätze." Seinen Betrieb in Fürth hat er bewusst "Handwerksbäckerei Herrmann" genannt und die Kunden, sagt er, schätzen inzwischen sein Konzept und sein Sortiment. Verarbeitet werden bei ihm gut verträgliche, vitalstoffreiche Urgetreide wie Emmer, Dinkel oder Einkorn. Mittlerweile bietet er zusätzlich auch vegane Produkte an: "Nicht als Ersatz, sondern als eigenständige Erzeugnisse mit feinen Zutaten."

"Die Leute brauchen und wollen gutes Brot"

Herrmann, der aus Mühlhausen in der Oberpfalz kommt, beschäftigt drei Auszubildende. Dazu gehört auch sein Bruder, der ursprünglich Lehrer werden wollte und sich dann aber von der Begeisterung fürs Handwerk anstecken ließ. Der Chef sieht optimistisch nach vorn: "Die Leute brauchen und wollen gutes Brot, viele möchten keinen industriellen Einheitsbrei."

Zu den Stärken einer Bäckerei, wie er sie führt, zähle unter anderem die Flexibilität: "Bei uns gibt es immer wieder neue Ideen, ein abwechslungsreiches Angebot." Und nicht zuletzt: "Wir nehmen uns auch die Zeit, um mit den Kunden zu sprechen, sind ein Anlaufpunkt." Chris Herrmann ist sich sicher: "In unserem Beruf steckt definitiv Zukunft."

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