Kulturelles Déjà-vu: Zu Besuch in Fürths Theater-Zwilling

6.1.2019, 16:00 Uhr
Kulturelles Déjà-vu: Zu Besuch in Fürths Theater-Zwilling

© Meyer

Zwar sind die Türen abgegriffen, am Plüsch nagte sichtlich der Zahn der Zeit, von vorgestern ist die Beleuchtung – und doch sieht man hier, wie in Fürth, den Gestaltungswillen der Gründerzeit. Historismus nennt man den Stil, der alle Architekturepochen für sich vereinnahmt hat und sich, in diesem wie im Fürther Fall, von der besten Seite zeigt. Dafür hatten die Wiener Architekten Fellner und Helmer gesorgt, die zu den angesagtesten Architekten der Jahrhundertwende gehörten. Czernowitz war, wie die gesamte Bukowina, im Jahr 1774 von den Österreichern besetzt und 1775 offiziell dem Habsburgerreich einverleibt worden. Zunächst nur eine östliche Provinzstadt, wurde Czernowitz 1849 Hauptsitz des Herzogtums und Kronlandes Bukowina.

Kulturelles Déjà-vu: Zu Besuch in Fürths Theater-Zwilling

© Kirch

Die Stadt, auf die der Kaiser wohlwollend blickte, sollte sich zum "Wien des Ostens" entwickeln. Viel vom alten Charme hat sie sich bewahrt. Rund um den Rathausplatz stehen ansehnliche Bürgerhäuser, die Gotteshäuser der griechisch-katholischen Gemeinde, der Orthodoxen Kirchen des Moskauer und des Kiewer Patriarchats, die Kathedrale der Armenier und die neugotische katholische Herz-Jesu-Kirche prägen das Stadtbild ebenso wie das Theater. Letzteres liegt aber an einem Platz im Zentrum, wo man sich trifft, Feste feiert und spazieren geht. Dies hat Czernowitz Fürth voraus. Die örtliche Lage ist besser. Dagegen ist die finanzielle Situation sichtlich prekär.

An diesem Sonntagabend, die Stadt feiert ihr 600-jähriges Bestehen, ist das Theater nur zu mehr als der Hälfte besetzt. Gespielt wird ein Stück, das mit der Stadt und der Geschichte des Landes zu tun hat: Zwei Polizisten, der eine Ukrainer, der andere deutschstämmig, müssen in den sich schnell abwechselnden Regimes dienen. Zuerst unter österreichischer Oberhoheit, dann unter rumänischer und nazideutscher Herrschaft, später unter den Sowjets. Gegen Ende werden sie merken, dass sie diabolischen Mächten aufgesessen sind.

Am Schluss freundlicher Beifall. Hier gibt es noch ein festes Ensemble, das für einen Hungerlohn spielt, wie man uns sagt. Für die Karten in der dritten Reihe haben wir gerade einmal umgerechnet drei Euro bezahlt. Natürlich wissen unsere Gesprächspartner von dem Fürther Zwillingstheater, das einer, der Hausmeister, sogar schon in natura gesehen hat — ohne freilich auf die nicht gerade höfliche Frage, welches denn das schönere sei, eine schlüssige Antwort zu geben.

Auch den deutschen Besuchern fällt es schwer, zu gewichten. Und muss man es auch? Czernowitz atmet vielleicht noch intensiver den Hauch der vergangenen Zeiten. Man bewegt sich durch das wie auch in Fürth relativ klein geratene Foyer zum Bühnenraum, der durch einen Mittelgang zu betreten ist. Was sehr angenehm ist, muss doch in Fürth eine halbe Reihe aufstehen für die Nachzügler.

Auch die Parkettlogen hat man in Fürth abgebaut. Die Innenausstattung ist im Duktus aber ähnlich. So zieren nackte Leiber Front und Decke. An der Logenbrüstung glotzen Fratzen herab. Gewöhnungsbedürftig hingegen ist der Außenanstrich. Doch soll das Lindgrün so von Fellner und Helmer geplant gewesen sein.

Wie in Fürth spielte in Czernowitz die jüdische Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Wie in Fürth war sie zu einem Großteil an der Finanzierung des Theaters beteiligt. Nur dass in Fürth die Gelder noch schneller bereitgestellt wurden. So waren zwar die Czernowitzer die Ersten, die ein Theater bei den Wienern in Auftrag gaben. Doch dann versiegten die Mittel plötzlich, der Bau wurde auf Eis gelegt. Als man sich in Fürth ebenfalls für einen Neubau entschied, brauchten die geschäftstüchtigen Architekten nur ihre Pläne hervorzuholen. Innerhalb von zwei Jahren wurde das Gebäude hochgezogen. 1902 hatte Fürth sein neues Theater.

Drei Jahre später eröffnete das Czernowitzer deutsche Theater, das bestimmt auch die aus deutscher Sicht wichtigsten Literaten der Stadt besuchten; die Lyriker Paul Celan und Rose Ausländer. Auch andere wären noch zu nennen: Moses Rosenkranz, Selma Meerbaum-Eisinger, Gregor von Rezzori oder der Biochemiker Erwin Chargaff. Namen, die von einer Stadt mit reicher Kultur zeugen. Einer Stadt, die sich danach sehnt, wieder zu Europa zu gehören.

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