Rassismus zum Fürther Stadttheater-Dinner

17.5.2017, 12:00 Uhr
Rassismus zum Fürther Stadttheater-Dinner

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Nach dem Pulitzerpreis 2013 wurde "Geächtet" (Disgraced), das Debütstück des 46-jährigen pakistanischstämmigen New Yorker Schriftstellers Ayad Akhtar ("Himmelssucher"), von den Kritikern der Fachzeitschrift "Theater heute" zum "ausländischen Stück des Jahres 2016" gewählt. Darin baut Amir, Sohn pakistanischer Eltern und erfolgreicher Anwalt in New York, auf Assimilation, während Gattin Emily, weiß und aufstrebende Malerin, gerade die islamische Kultur für sich entdeckt. Beim schicken Dinner mit dem jüdischen Kurator Isaac und dessen afroamerikanischer Frau Jory fliegt der Deckel hoch. Fürs Fürther Stadttheater ist es (nach Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant") die zweite Inszenierung des Regisseurs, Tänzers und Choreografen Barish Karademir.

 

Hatten Sie beim Lesen von "Geächtet" einen Satz, nach dessen Lektüre Sie wussten, "Das inszeniere ich!"?

Karademir: Diesen einen Satz gab es nicht. Ich glaube, ausschlaggebend war die Nähe der Hauptfigur zu meiner Biografie, der Versuch, sich in einer komplexen Gesellschaft zurechtzufinden. Das Stück spielt mit ganz spannenden Mitteln. Auf den ersten Blick hat es die Anmutung von Boulevard. Es hat aber lediglich boulevardeske Züge. In Wirklichkeit haben wir es mit einem Identitätsdrama zu tun.

 

Identität. Ein Begriff, der aktuell inflationär in Gebrauch ist.

Karademir: Ja, und alles dreht sich um hochkomplexe Themen. Islam, Terrorismus, Überassimilation. Akhtar bricht all das runter auf seine Figuren, die im ersten Moment ganz leicht wirken. Zugleich aber bebt eine Fassade, einer Maske, die wir alle tragen.

 

Welche Masken?

Karademir: Denken Sie an die Konflikte, die derzeit alle Menschen mit islamischem Background mit sich austragen: Wie werde ich beobachtet? Was muss ich tun, damit ich nicht auffalle und als Islamist verdächtigt werde? Wie passe ich mich diesem Leistungs-Mainstream an, ohne dass mir Nachteile erwachsen?

 

Was macht "Geächtet" so herausragend, dass es den Pulitzer-Preis erhielt und seitdem an sehr vielen großen Häusern gespielt wird?

Karademir: Es passt absolut zur Zeit und zu der Welt, in der wir leben. Ich sage nur: Trumps Sieben-Staaten-Dekret, IS, die Diskussionen über mehr Überwachung.

Was kann man falsch machen, wenn man das inszeniert?

Karademir: Dass man zu sehr auf den Themen beharrt und die Figuren außer acht lässt. Die Herausforderung ist, zu zeigen, dass nicht der Islam an sich zu verurteilen ist, sondern die Art und Weise, wie er von gewissen Menschen reflektiert wird. Auch wirkt das Stück ganz leicht, man könnte es sofort verfilmen. Auch die Sprache kommt uns bekannt vor, wir kennen sie aus Fernsehserien. Und genau das darf nicht passieren: Dass wir in so einen Serien-Naturalismus à la "Berlin — Tag & Nacht" abdriften.

 

Ein Moslem, eine Protestantin, eine Afroamerikanerin, ein Jude: Mit Verlaub, aber kann man nicht auch zu dem Schluss kommen, dass das alles sehr überkonstruiert ist? Wie eine Versuchsanordnung mit Theater-Labormäusen?

Karademir: Auf jeden Fall ist "Geächtet" eine Versuchsanordnung, das stimmt. Aber so leben wir. Ob Gustavstraße, Wilmersdorfer Straße oder Zeil: Wir sind umgeben von multikulturellen Themen. Akhtar fragt, was passiert, wenn vier ethnisch unterschiedliche Menschen aufeinander treffen. Das ist sicherlich ein Konzentrat, aber in unserer Wirklichkeit geht es um die gleichen Dinge.

 

Mit Blick auf den Autor: Hat da jemand "Gott des Gemetzels" sehr genau gelesen?

Karademir: Ja. Auch "Gott des Gemetzels" ist ein Dialogstück, und bei Zuschauern, die "Geächtet" sehen werden, gibt es sicherlich einen Wiedererkennungseffekt. Aber die Verstrickungen der Figuren sind hier komplizierter, es ist nicht so pointiert. Man muss eher nach den Pointen suchen.

 

Gibt es in diesem Stück irgendeine Religion, die gut davonkommt? Welcher Religion trete ich bei, wenn der Vorhang gefallen ist?

Karademir: Die Geschichte hat keine Moral, sondern eine Lupe, die sie vergrößert. Die Grundaussage lautet: Jegliche Form der Dogmatisierung, sei es auf religiöser oder auf soziokultureller Ebene, ist perspektivlos.

 

Sie deuteten eingangs an, dass "Geächtet" Sie auch wegen Ihrer eigenen Herkunft interessiert. Sie kamen in Heidelberg als Kind singhalesisch-zypriotischer Eltern zur Welt. Wie erleben Sie vor dem Hintergrund Ihrer Biografie den Zusammenprall der Kulturen und Religionen?

Karademir: Ich bin es gewohnt, dass Leute überrascht reagieren. Würde ich sagen, dass ich bei H&M arbeite oder als Barista in einem Szenecafé, wären sie nicht überrascht. Sage ich aber, dass ich Theater mache, sind sie perplex. Erst neulich sagte in der Straßenbahn in Berlin eine ältere Dame zu mir: "Sie können aber gut Deutsch." Daraufhin ich: "Ja, Sie aber auch." Das sind die Momente, in denen ich denke: Meine Güte, die Gastarbeiter kamen doch nicht gestern, sondern schon in den sechziger Jahren. Und ich bin hier geboren. Und nicht nur das, ich ticke in sehr vielen Dingen unglaublich deutsch.

 

Zum Beispiel?

Karademir: Wenn Inder ins Kino gehen, dann reden sie ohne Punkt und Komma, Kino ist für die ein ganz anderes Ausgeh-Erlebnis als für uns. Und wenn ich die im Kino neben mir habe, fühle ich mich ihnen schon in gewisser Weise verbunden, und zugleich denke ich, meine Güte, könnt ihr nicht einfach mal ruhig sein? Und im zweiten Schritt denke ich: Bin ich womöglich schon überassimiliert, oder was?

Sie gingen nach dem Studium in Erlangen nach Freiburg, assistierten und inszenierten in Berlin, Paris, Dortmund, am Gostner in Nürnberg. Hatten Sie im Theater schon einmal das Gefühl: Mist, ich hab’ die Regie nicht bekommen, weil ich die falsche Hautfarbe habe?

Karademir: Nein. Aber ich kenne Kollegen, die so ähnlich aussehen wie ich, denen wird kein Kleist zugetraut, kein Schiller. Natürlich ist auch das Theater ein Spiegel der Gesellschaft. Es ist noch keine Selbstverständlichkeit, dass Regisseure anderer Herkunft inszenieren. Die Leute denken in Kategorien. Davon sind wir im Theater nicht ausgenommen, auch wenn wir uns einbilden, das sei hier ganz anders.

"Geächtet": Premiere morgen, 19.30 Uhr, Stadttheater. Weitere Termine: Freitag und Samstag, 30. Mai bis 2. Juni (jeweils 19.30 Uhr). Karten im FN-Ticket-Point (Schwabacher Straße 106, Tel. 2 16 27 77) und an der Abendkasse.

Über solche Werke heißt es, sie träfen den Nerv der Zeit. Nach dem Pulitzerpreis 2013 wurde "Geächtet" (Disgraced), das Debütstück des 46-jährigen pakistanischstämmigen New Yorker Schriftstellers Ayad Akhtar ("Himmelssucher"), von den Kritikern der Fachzeitschrift Theater heute zum "ausländischen Stück des Jahres 2016" gewählt. Amir, Sohn pakistanischer Eltern und erfolgreicher Anwalt in New York, baut auf Assimilation, während Gattin Emily, weiß und aufstrebende Malerin, gerade die islamische Kultur für sich entdeckt. Beim schicken Dinner mit dem jüdischen Kurator Isaac und dessen afroamerikanischer Frau Jory fliegt der Deckel hoch. Nach zahlreichen großen Häusern greift nun auch das Stadttheater zu. Zum zweiten Mal (nach Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" 15/16) inszeniert der in Berlin lebende Regisseur, Tänzer und Choreograf Barish Karademir in Fürth. Ein Gespräch über Anpassung, Ausgrenzung und politische Korrektheit.

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