Religionen müssen in die Rolle des Zuhörers finden

30.4.2012, 16:00 Uhr
Religionen müssen in die Rolle des Zuhörers finden

© Distler

„Im nächsten Jahr werden wir wohl mehr Besucher einplanen“, zog Marketingchef Thomas Mück von der Sparkasse Fürth ein erstes Fazit. Das Kreditinstitut hatte zum Vortrag eingeladen, für dessen musikalische Gestaltung Anne Maertens und Kushmita Biswakarma als „Duetto Illiminata“ sorgten.

Susanne Talabardon von der Uni Bamberg nahm die Zuhörer auf sympathische Art und Weise mit auf einen Ausflug in die Religionsgeschichte. Dabei stellte sie voran, dass es weder „das Judentum“ alleine gibt noch „das Christentum“ oder „den Islam“. Judentum und Christentum seien vielmehr Geschwisterreligionen. Bis vor kurzem sei man von einem relativ einfachen Abspaltungsvorgang ausgegangen, der etwa im zweiten Jahrhundert im Wesentlichen abgeschlossen war. Seit den 90er Jahren gebe es dazu jedoch eine komplexere neue Hypothese — die „Wave-Theory“. Danach habe es etwa bis zum Anfang des fünften Jahrhunderts vielerorts eine gemeinsame Entwicklung gegeben, die sehr zögerlich auseinanderdrängte: „Das war ein unglaublich langer Prozess“, so Talabardon. Häufig hätten Gelehrte trennende Verbote aufgestellt.

Während die christliche Literatur von Anfang an polemisch gegen das Jesus nicht anerkennende Judentum gerichtet war, lasse sich antichristliche Polemik in der klassischen jüdischen Literatur nur schwer nachweisen. Das Judentum sei „partikular“, sprich kümmere sich wenig um andere Religionen. Der Islam und das Christentum wiederum seien „Universalreligionen“.

Religionen müssen in die Rolle des Zuhörers finden

© Seilkopf

Ein wesentlicher Punkt des Vortrags war die Frage der Wissenschaftlerin, warum es sich die Religionen eigentlich gegenseitig so schwer machen? Schließlich haben sie doch gemeinsame Wurzeln. Allerdings würden immer nur diejenigen miteinander reden, die sowieso die gleiche Überzeugung teilen.

Talabardon sieht ein Problem: „Nach unseren Beobachtungen erstarken seit etwa zehn Jahren die extremen Ränder aller Religionen.“ Die Fachfrau rief deshalb dazu auf, mehr aufzupassen und sich einzumischen. Dafür sei es wichtig, sich in die Rolle des Zuhörers zu finden, denn: „Weil man immer schon zu wissen glaubt, was der andere sagt, hört man gar nicht mehr zu.“

Wege aus der Sprachlosigkeit

Abraham war ihr Beispiel für viele andere Missverständnisse von Menschen, die denken, bei religiösen Themen und Geschichten von gleicher Ausgangsbasis auszugehen. Die biblischen Zehn Gebote seien ursprünglich eine Art „volkspädagogisches Programm“ gewesen und als solches exakt auf die Zahl der Finger beschränkt worden. Als sich das Christentum der Zehn Gebote bemächtigte, betonte das Judentum, dass es nicht nur zehn, sondern 613 Gebote gebe.

Während das Publikum noch ein wenig nach Luft schnappte angesichts der Informationsflut, die innerhalb einer knappen Stunde auf es hereinbrach, fand Marketingleiter Mück eine treffende Zusammenfassung: Er sei froh, in einer der tolerantesten und sichersten Städte Deutschlands zu leben. „Wir müssen aber Wege aus der Sprachlosigkeit finden, damit sich das gute Gefühl bei uns in Fürth über alle Menschen ausbreiten kann.“ Die lange Nacht der Religionen, die heute ab 19 Uhr einlädt, über eigene weltanschauliche Ränder hinauszuschauen, scheint dafür ein guter Weg zu sein.

Wie berichtet, werden sich an 15 Orten in Fürth — von verschiedenen Kirchen über die Synagoge bis zur Moschee — das Christentum, das Judentum, der Islam, der Buddhismus und die Bahá’í-Gemeinde vorstellen.

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