Werte, wohin wandelt ihr?

5.5.2014, 17:48 Uhr
Werte, wohin wandelt ihr?

© Thomas Scherer

Jeder hat irgendetwas, das er für wertvoll hält. Dabei ist es gleich, ob es sich um die Villa von Onkel Georg in Dambach handelt, Leonies ersten Milchzahn oder die Kirschblüte in der fränkischen Schweiz. Es soll sogar Menschen geben, die den quergestreiften Beutelgrunzer für unbedingt schützenswert halten, obwohl sie dieses scheue und überaus seltene Tierchen noch niemals zu Gesicht bekommen haben und wahrscheinlich in hysterische Zuckungen ausbrächen, liefe ihnen eines über den Weg.

Auch Regionen haben ihre Werte, allerdings muss man hier zwischen inneren und äußeren unterscheiden. Äußere Werte finden sich meist in Hochglanzprospekten von Reiseveranstaltern, und sie funktionieren wie Lockmittel in Mottenfallen. Da stehen dann gern so schwurbelige Sätze wie: „Ihre Zufriedenheit ist uns viel wert“ oder: „Franken. Weil Sie es uns wert sind!“ – was auch immer das bedeuten soll. Christkindlesmarkt, Burg, Germanisches Nationalmuseum. Immer werden in solchen Prospekten Werte angepriesen, die den Einheimischen zwar bekannt, seltenst aber wirklich was wert sind. Die Burg steht seit Jahrhunderten auf dem Burgberg, und einen guten Glühwein gibt es auch ohne Gedränge. Sollen die Touristen doch ihren Spaß dran haben.

Ganz anders verhält es sich bei den inneren, den echten lokalen Werten. Dabei handelt es sich um eine Art Klebstoff, der die Menschen einer Region zusammenhält und gleichzeitig hilft, Freund von Feind, also Einheimische von Fremden zu unterscheiden. Erbrivalitäten wie die zwischen Nürnberg und Fürth, Franken und Bayern, Bayern und dem Rest der Welt sind dabei zwar förderlich, taugen aber nur dann etwas, wenn sie mit Inhalten gefüllt werden.

Als ganz besonders geeignet hat sich hier das wunderbare Gebiet der Speisen erwiesen, weshalb jede Region, die etwas auf sich hält, ihre eigene Spezialität vorweise kann. So hat die Pfalz ihren gefüllten Saumagen, der Norden sein Labskaus, Köln seine Currywurst und Franken sein Schäuferla mit Kloß – meistens sogar mit zwei Klößen, so groß wie Kindsköpfe, wenn es richtig gut sein soll. Allerdings, und hier zeigt sich der lokalpatriotische Gehalt von Spezialitäten, kann das kindskopfgroße Kniedla – für den Franken unbedingt ein Grund zur Freude – einen Hanseaten allein von der Größe her zutiefst erschrecken. Auf der anderen Seite soll es schon Fälle gegeben haben, wo Franken beim Anblick eines schön matschigen Labskaus mit Matjes, Roter Beete und Gewürzgurke in Weinkrämpfe ausgebrochen sind. So ist das eben mit den echten lokalen Werten: was dem einen eine Sünde wert wäre, ist für den anderen ein Grund zum Heulen.

Und damit zum Wandel der sogenannten gesellschaftlichen Werte, also jener Werte, die wie eine Zeitgeist-Dunstglocke über allen anderen schweben. Die sind alles andere als sündig, vielmehr zum Heulen. Das, was dem Menschen der modernen westlichen Welt am wertvollsten ist, was er sich am dringlichsten wünscht, ist laut neuesten Studien nämlich, Tusch: Gesundheit und Sicherheit!

Wie bitte? Wenn jemand ernsthaft krank ist, wünscht er sich natürlich Gesundheit. Lebt ein Mensch in unsicheren Zuständen, dürfte ihm Sicherheit sehr am Herzen liegen. Wenn aber Millionen von Menschen, die noch niemals gesünder waren, nie älter wurden und niemals sicherer lebten als wir, keine besseren Wünsche einfallen als Gesundheit und Sicherheit, dann ist das nur noch zum Heulen. Wie gesund und wie sicher sollen wir um Himmels Willen denn noch leben?

Und: Geht dabei nicht das, was uns wirklich etwas wert ist, vor die Hunde? Sollten wir aus Gesundheitsgründen auf Schäuferla, Kniedla, Seidla und vorsichtshalber auch gleich auf das Wirtshaus verzichten? Tofu an Reisbällchen mit einem Tässchen Kräutertee sind schließlich auch ganz lecker und deutlich gesünder als fettes Schweinefleisch. Sollten wir aus Sicherheitsgründen auch darauf besser verzichten – immerhin: Es sind schon Menschen an einem Reiskorn erstickt oder haben sich an Kräutertee verbrüht.

In einer alten Donald-Duck- Geschichte stand Donald auch mal vor diesem Dilemma. Eine Wahrsagerin hatte ihm prophezeit, dass ihm etwas passieren wird, egal, ob er sich im Haus oder draußen aufhalten würde. Donald beschließt daraufhin, sich auf die Fensterbank zu setzen – und bekommt das Schiebefenster voll auf den Bürzel. Mögen wir schlauer sein als diese Ente!

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