Zwischen Krankheit und Kosten: Medizincontroller am Klinikum

14.8.2013, 22:07 Uhr
Zwischen Krankheit und Kosten: Medizincontroller am Klinikum

© Gabi Pfeiffer

Donnerstag. Heute ist Sozialgerichtstag für Jörg Liebel. Er wird sich auf die Auseinandersetzung vorbereiten, die das Klinikum mit den Kassen führt. Es gibt immer einige Fälle. Der Streit dreht sich dann beispielsweise um akutes Nierenversagen. Die Kassen machen die Diagnose an bestimmten Blutwerten fest, das Klinikum folgt dem ärztlichen Urteil. Weil an der Einordnung ein ganzer Rattenschwanz weiterer Behandlung hängt, geht es um viel Geld. Das das Klinikum braucht, das die Kasse nicht zahlen will. Jeder einzelne Fall landet vor Gericht. „Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt. Man muss ruhig bleiben“, sagt der Medizincontroller.

Jörg Liebel hat Medizin studiert, seine Facharztausbildung zum Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten aber abgebrochen – Stichwort Ärzteschwemme – und für ein Mannheimer Software-Haus den Bereich OP-Management entwickelt. Nach sieben Jahren wollte er zurück ins Krankenhaus und wechselte an den Chiemsee. Dabei half der betriebswirtschaftlich ausgerichtete Master „Healthcare Management“, den er nebenberuflich abgeschlossen hatte. 2011 kam er nach Fürth.

Die „vitalste Aufgabe“ der Medizincontroller – von denen es um die 1500 in Deutschland gibt – ist die Abrechnung. Denn nur was dokumentiert ist, bringt auch Geld.

Viele der ICDs – also den Codes für Diagnosen – und den OPS, den Operationen- und Prozedurenschlüssel, kann Jörg Liebel „im Schlaf herunterbeten“. Diabetes, Herzinsuffizienz, Lungenentzündung und so weiter. Weil der ärztliche Controller für alle Fachgebiete des Krankenhauses arbeitet und oft die Visiten begleitet, fühlt er sich inzwischen als Generalist und hakt schon einmal nach: Warum hat dieser Patient ein Eisenpräparat verordnet bekommen? Die ärztliche Hoheit freilich darf er nicht infrage stellen.

Aber Fragen muss erlaubt sein, denn Geld spielt natürlich eine Rolle. Alles andere wäre gelogen. Das lässt sich an der Verweildauer festmachen. Zu jeder Diagnose gehört ein festgelegter Zeitkorridor. Entlässt die Klinik die Patienten früher, gibt es Abzüge von der Fallpauschale. Liegt der Patient länger, zahlt die Klinik drauf.

„Ich sitze zwischen allen Stühlen“, sagt Liebel. Das Klinikum fordert Wirtschaftlichkeit, für die Ärzte zählt die optimale Behandlung und für die Kassen die Kosten. Wie hält der 44-Jährige das aus? „Bis jetzt recht gut!“ Denn es gibt ja nicht nur Streit, sondern auch Spielräume. So codieren Liebels Mitarbeiter – 16 sogenannte Fallbegleiter – inzwischen direkt auf Station, statt im Nachhinein abzufragen, was gemacht wurde. „Wir wollen unsere Leistungen gut abbilden.“

Natürlich hilft penible Dokumentation auch in der Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Der kommt montags und dienstags ins Haus, prüft zehn Prozent der jährlich 36.000 Fälle am Klinikum Fürth. Liebel ist mit dabei. „Wir stehen ständig unter Beobachtung“, sagt er. Im Kleinen – Beispiel Eisenpräparat – wie im Großen. So kann eine komplexe Tumorerkrankung mit Operation 12.000 Euro kosten, liegt ein Patient mehrere Wochen auf der Intensivstation, laufen schnell sechsstellige Summen auf.

Maximal ausgereizt

„Wir müssen Medizin ein Stück weit nüchterner betrachten“, sagt Liebel und hofft, dass das komplizierte Gesundheitssystem renoviert – sprich vereinfacht – wird. Und ganz persönlich hinterfragt er, ob „wirklich alles maximal ausgereizt werden muss, was technisch möglich ist“. Vielleicht muss er so denken. Denn Medizin-Controlling ist ständige Selbst-Überprüfung und gleichzeitig eine Projektion in die Zukunft.

Für die jährlichen Budgetverhandlungen beispielsweise überschlägt Liebel: Was bringt eine neue OP-Technik? Wie wird sich das Umschichten von Stationen auswirken? Und er fragt, zusammen mit der Klinikumsleitung: Wo liegen Leistungsbereiche, die das Klinikum besetzen sollte? Die Akut-Geriatrie geht auf eine solche Überlegung zurück: Oft blieben alte Menschen auf Station, obwohl ihre akute Erkrankung schon therapiert war und die Betten für neue Patienten gebraucht wurden. Aber allein nach Hause konnte man sie nicht schicken. Jetzt werden sie in der Akut-Geriatrie fit für den Alltag gemacht. Das ist lohnend – in jeder Hinsicht.

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