Treuchtlingen: Der Biber „rodet“ den Karlsgraben

28.11.2019, 06:04 Uhr
Treuchtlingen: Der Biber „rodet“ den Karlsgraben

© Micha Schneider

Wenn Wolfgang Schießl über Biber redet, dann nicht nur nebenbei. Jeder Satz enthält Erläuterungen, seine Hände sind stets in Bewegung. Schießl ist ein wandelndes Biber-Lexikon, und man spürt: Dieses Tier ist ihm heilig. Der 72-Jährige ist beim Bund Naturschutz und seit 15 Jahren ehrenamtlicher Biberberater im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Wenn ein Feld überflutet ist oder ein Fraßloch im Maisacker klafft, rufen ihn die Landwirte. Schießl versucht dann, die Wogen zu glätten – so gut das eben geht.

Am Karlsgraben kämpft sich der Berater in seinem langen, grauen Kittel den rutschigen Abhang hinunter. Unter Ästen hindurch zwängt er sich Richtung Wasser. Sein Ziel: die angenagten Bäume am Ufer. Manche liegen schon am Boden, die Rinde ist weggefressen. Mindestens ein Biber war hier zu Gange, und bevor umstürzende Bäume zur Gefahr werden, musste die Stadt tätig werden.

Biber ernähren sich unter anderem von Blätter und junger Rinde, die sie im Winter nur hoch droben im Geäst der Bäume finden. Deshalb fällen sie in der kalten Jahreszeit mehr Bäume. Damit schaffen sie aber auch neue Lebensräume.

Biber ernähren sich unter anderem von Blätter und junger Rinde, die sie im Winter nur hoch droben im Geäst der Bäume finden. Deshalb fällen sie in der kalten Jahreszeit mehr Bäume. Damit schaffen sie aber auch neue Lebensräume. © dpa

Nach einem Gespräch mit dem zuständigen Förster habe man entschieden, mehrere Bäume zu fällen, erklärt Treuchtlingens dritter Bürgermeister Klaus Fackler, der auch Mitarbeiter im Landschaftspflegeverband ist. „Wenn Gefahr besteht, muss man reagieren.“ Am Dienstagvormittag waren dann Mitarbeiter des Stadtbauhofs vor Ort und brachten sogenannt “Hosen“ aus Drahtgeflecht an den Stämmen einiger Bäume an.

Sorge um spielende Kinder

22 angenagte Bäume hat Wolfgang Schießl gezählt. „Das ist kein immenser Schaden“, sagt er, räumt aber ein, dass das in dieser Häufigkeit am Karlsgraben neu sei. Er wolle es nicht verharmlosen. Ein Bürger hatte sich an den Treuchtlinger Kurier gewandt, weil die Bäume im Winter bei Wind aufs Eis fallen könnten, wenn dort Kinder spielen. „Man kann dort auch eine Flatterleine als Absperrung anbringen“, sagt Schießl.

Knapp die Hälfte des Karlsgraben-Ufers ist frei von Bäumen. Ziel ist laut Schießl eine friedliche Koexistenz zwischen Kultur und Natur. Immerhin ist der Karlsgraben eines der bedeutendsten technischen Denkmäler des frühen Mittelalters. „Für die Grabener mag das neu sein, und vielleicht sind hier jetzt auch zwei Biber aktiv und nicht mehr nur einer“, sagt Schießl. Zur Veranschaulichung, dass es den Nager hier schon länger gibt, zeigte er auf einen älteren, schon etwas dunkleren angenagten Stamm: „Das hier ist bestimmt drei Jahre her.“ Will heißen: Panikmache sei fehl am Platz.

Biber fällen vor allem im Winter Bäume, wenn sie sonst nichts zu fressen finden. Da sie nicht klettern können, ist dies ihre einzige Möglichkeit, an Blätter oder die zarte Rinde der Äste zu gelangen. „Ganz wichtig ist es deshalb, gefällte Bäume liegen zu lassen“, sagt Klaus Fackler. Dann könne der Biber deren Rinde fressen und müsse keine weiteren fällen.

Als „Schlüsselart“ bedeutend

Landwirte wollen dem Biber wegen der Schäden, die er mancherorts anrichtet, bisweilen an den Pelz. Naturschützer weisen indes auf seine Bedeutung hin. „Der Biber sorgt durch seine Lebensart für Artenvielfalt und trägt natürlich zum Hochwasserschutz bei“, sagt Bund-Naturschutz-Kreisvorsitzender Alexander Kohler. Durch die Veränderung der Landschaft schaffe er Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Der Naturschutzbund Nabu bezeichnet ihn deshalb als „Schlüsselart“.

Andere seltene Tiere wie Fischotter, Eisvögel, Schwarzstörche, Wasserspitzmäuse und Bachforellen fühlen sich in seinem Lebensraum ebenso wohl wie Insekten und Pflanzen, die die vom Biber geschaffenen Lichtungen besiedeln. Durch seine Dämme entstehen zudem ruhige Gewässerzonen und „Biberteiche“, die ganze Uferzonen überschwemmen können. Solche Flachwasser und Feuchtwiesen kommen Fröschen, Libellen und Wasservögeln zugute.

Biberreviere sind stets dynamisch, mal mit feuchten oder nassen, dann wieder mit trockenen Bereichen. Diese Dynamik ist laut Naturschutzbund Deutschland überlebenswichtig für viele bedrohte Tierarten.

Population bleibt natürlich stabil

Zurzeit gibt es in Bayern etwa 6500 Biberreviere, „eines davon am Karlsgraben“, so Alexander Kohler. Dass sich der Nager zu stark vermehrt, sei wegen seines speziellen Lebensraums ausgeschlossen. „Die Population bei uns im Landkreis steigt nicht, weil alle möglichen Reviere besetzt sind“, erklärt Wolfgang Schießl. Und Klaus Fackler ergänzt: „Ich bin seit 1994 mit dem Thema befasst, und es ist deutlich ruhiger geworden. Konflikte kommen immer mal wieder vor, aber im Großen und Ganzen sind die Wogen geglättet.“

Und das soll, wenn es nach Wolfgang Schießl geht, auch so bleiben. Denn das streng geschützte Tier ist ein „Ureinwohner“, der seit Millionen von Jahren hier lebt. Zwischen 1860 und 1960 war er in Bayern 100 Jahre lang ausgestorben, nur in der Elbregion überlebte er. In den 1970er Jahren bürgerte ihn der Bund Naturschutz dann im Donaumoos wieder ein – „mit ausdrücklicher Genehmigung des Landwirtschaftsministeriums“, so Schießl.

Die ersten Biber in der Region siedelten sich damals in Solnhofen an. „Von da habe ich aber noch nie Beschwerden gehört“, sagt der Biberberater. „Die sind das gewohnt und kennen das seit Jahren.“ Später kamen die Nager dann auch nach Pappenheim und Zimmern. „Der ganze Landkreis ist heute mit Bibern besetzt“, weiß Schießl. „Und der Biber, der hier am Karlsgraben ist, ist ein ehemaliger Altmühl-Biber, der wohl über das Land rüber gelaufen ist“, so Schießl. Das Tier im Karlsgraben sei wohl über Land aus der Altmühl nach Graben gekommen.

Baumfällungen schaden kaum

„Wenn ein Bach- oder Flussufer dicht mit typischen Auwaldbäumen wie Weide oder Erle bewachsen ist, stören die Fällaktionen des Bibers kaum“, betont auch Alexander Kohler. „Sie gehören zum normalen Kreislauf in diesem Lebensraum. Bäume wie Weide oder Erle schlagen im Folgejahr aus den Stümpfen wieder aus.“ In eher naturfernen, vom Menschen gestalteten Bereichen würden Verluste natürlich schmerzen – der Mensch müsse dann steuernd eingreifen. In solchen Gebieten sei es sinnvoll, die Stämme von Uferbäumen frühzeitig bis auf eine Höhe von etwa 1,20 Metern mit Drahtgeflecht zu schützen – so wie nun am Karslgraben. Gleiches gelte für Obst- oder Nutzbäume, die in der Nähe von Bibergewässern stehen.

Helfen derlei Maßnahmen nicht, ist es notfalls möglich, Biber abzuschießen. Das muss bei der Unteren Naturschutzbehörde beantragt werden. Am Karlsgraben sieht Schießl dafür aber keinen Grund. „Es sind ja nur zweieinhalb Prozent der Bäume betroffen. Dem Mensch bleiben 97,5 Prozent.“ Und auch aus praktischen Gründen ist eine solche „Biber-Entnahme“ laut Fackler nur die letztmögliche Option. Denn „Schießen auf Biber im Wasser ist äußerst schwierig“.

Wolfgang Schießl wird das gern hören. Nach der Erkundung am Karlsgraben zeigt er einen Zeitungsartikel mit der Überschrift: „Keine Tierart ist so nützlich wie der Biber.“ Dann lässt er es gut sein. Er kann ja nur informieren. Eine Meinung muss sich am Ende jeder selbst bilden.

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