Amokfahrer: "Ich werde von Volkswagen schikaniert"

23.1.2019, 11:57 Uhr
Amokfahrer:

© Stefan Hippel

Die Vorwürfe, die Oberstaatsanwalt Peter Adelhardt erhebt, sind voller Wucht: Von versuchtem Totschlag in vier Fällen ist die Rede, von gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung. Der Beschuldigte (53 Jahre), der, flankiert von Anwalt Robert Reitzenstein, vor der 19. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth sitzt, nutzte seinen schwarzen BMW auf der Landstraße zwischen Herzogenaurach, Dondörflein und Höfen als Waffe.

Doch dieser Mann ist kein böser Mensch und schon gar kein Terrorist, der mit einer wilden Amokfahrt und für seine Überzeugung andere Menschen töten wollte. Hier sitzt ein Mensch, dem Psychiater Michael Wörthmüller eine wahnhafte Störung attestiert. Der Beschuldigte selbst erklärt vor Gericht, "irgendwie im Affekt" gehandelt zu haben. Um Missverständnisse zu vermeiden: Auch der Ankläger behauptet keine Tötungsabsicht. Er wollte nicht in andere Fahrzeuge rasen, jedoch riskierte er, sie zu rammen, so der Staatsanwalt.

Vollbremsung um Vollbremsung

Vor der 19. Strafkammer versuchen die Juristen gemeinsam mit dem Psychiater und dem Ingenieur Manfred Huttner als Verkehrssachverständigem die Fahrt nachzuvollziehen – Huttner hat Spielzeugautos dabei, die Prozessbeteiligten stehen am Richtertisch und schieben Autos hin und her. Um Zusammenstöße zu vermeiden, vollzog der Beschuldigte immer wieder Vollbremsungen und wechselte wieder auf seine Fahrspur zurück.

Er war am 13. Juni 2018 gegen 15.40 Uhr auf der Verbindungsstraße zwischen Herzogenaurach und Dondörflein unterwegs. Als ihm ein VW Touran entgegenkam, steuerte er plötzlich frontal auf diesen Wagen zu. Ein Schock, erinnert sich der Familienvater, der den VW fuhr. Er selbst sei mit seiner Frau und den beiden Kindern gerade auf dem Weg in den Kindergarten gewesen. Um einen Unfall zu vermeiden, steuerte er seinen Wagen in den angrenzenden Acker.

Zwischen Dondörflein und Höfen überholte der Beschuldigte einen VW Tiguan, setzte sich vor die Fahrerin und bremste sie aus. Als eine Golf-Fahrerin hinzu kam, rammte er fast auch ihr Auto, in Höfen brachte er den Fahrer eines VW Passat dazu, eine Vollbremsung hinzulegen.

Was ihn trieb? Er sei damals auf dem Weg nach Hause gewesen. Er war bei der Schaeffler AG beschäftigt und seit etwa fünf Jahren, so schildert er vor Gericht, sei ihm klar, dass er abgehört werde. Am Arbeitsplatz, im Auto sowieso. Vor allem Audi und Volkswagen seien ihm übel gesonnen, schildert er. Die Anklage sei eine Lüge, er werde von den VW-Fahrern schikaniert.

Die Aussage klingt wie der Witz von dem Autofahrer, der im Radio die Warnung vor einem Geisterfahrer hört und bei sich denkt: "Einer? Hunderte!". Die traurige Pointe: Häufig fehlt es Betroffenen wie ihm bei derartigen Krankheiten an der Einsicht und damit am Willen zur Therapie. Bedingt durch die Krankheit hält er die eigene Position für vernünftig.

Der 53-Jährige kam nach seiner Amokfahrt zunächst in Untersuchungshaft, seit 6. August ist er vorläufig im Bezirksklinikum Erlangen untergebracht. Ankläger Adelhardt geht davon aus, dass der Betroffene zum Tatzeitpunkt unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen und danach zu handeln.

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