Musik ist sein Leben

13.4.2016, 08:57 Uhr
Musik ist sein Leben

© Foto: Ingrid Jungfer

Mancher mag sich jetzt die Augen reiben und nachzählen. 70 Jahre und dennoch im Alter von 15 Jahren mit einer solch anspruchsvollen Aufgabe betraut? Ein junger Bursche, konnte der diese Aufgabe überhaupt stemmen? Er konnte und wollte. Zwar nicht ganz freiwillig, aber damals, 1961, respektierte man noch den Willen des Vaters.

Ludwig Schmerler war ein Musiker mit Leib und Seele, genauso dessen Vater Gottlieb und offenbar auch die Vorfahren. Wie von kundigen Bläserkollegen zu erfahren war, soll die Musikerfamilie im Österreichischen ihre Wurzeln gehabt haben, was man noch heute an manchem gespielten Liedgut erkenne. Im 18. Jahrhundert wurden die Vorfahren dann, weil „lutherisch“, von Erzherzogin Maria Theresia des Landes verwiesen. Wann der Schmerler-Clan in Weisendorf eine neue Heimat gefunden hat, war nicht zu erfahren. Wohl aber, dass die Musiker seit jeher im Dorf und der gesamten Region wegen ihres Könnens gern gesehen waren, denn die Kapelle Schmerler spielte bei Festen, Feiern und Kirchweihen zum Tanz und zur Unterhaltung auf.

Kein Wunder also, dass auch Dieter bereits ab seinem siebten Lebensjahr aktiv mit Musik aufwuchs. In Nürnberg bekam er Klavier- und Geigenunterricht, erzählt Posaunenchor-Kassier Leonhard Prechtel, ein Weggefährte seit den ersten Jahren. Mit zwölf Jahren kam Trompetenunterricht bei Vater Ludwig dazu. Damit schien ein sehnlicher Wunsch des damaligen Pfarrers Gottfried Kühhorn in Erfüllung zu gehen. Er wollte — wie vorher in Steppach — einen Posaunenchor. Neuhaus und Hemhofen hatten einen, der von Kairlindach hatte in der Weihnachtszeit im Weisendorfer Gottesdienst gespielt. Also begeisterte Pfarrer Kühhorn seine Präparanden und Konfirmanden für das Vorhaben. Und fragte Dieter Schmerler, ob er die Schüler erste Noten und Töne lehren könne. Der stimmte zögerlich zu. Denn auch er musste dafür umlernen. Die Ventile waren anders zu benutzen, da allgemein die Blasmusik „notiert in B“ spielt, evangelische Posaunenchöre aber „klingend in C“, wie Kenner wissen.

Im Mai 1961 wurden die ersten Instrumente geliefert, bis August probte Hans Hertel, Chorleiter aus Neuhaus, mit den Jungs. Dann sollte nach des Pfarrers Wunsch Vater Ludwig der Chorleiter werden. Der lehnte ab und drängte Dieter, „in diese Aufgabe hineinzuwachsen“. Im November 1961 wurden die Weisendorfer Mitglied im Verband Evangelischer Posaunenchöre. Dieter, gerade mal 15 Jahre, war Chorleiter von sechs Anfängern: Rudi Keim, Arthur Schlee, Reinhard Zink, Gerhard Berner, Helmut Hauffen und Bruder Kurt. Bruder Frank musste nur umlernen.

Heute sind von diesen nur noch Rudi Keim — Dieter Schmerlers Stellvertreter seit der ersten Stunde — und er selbst aktiv. Einige sind verstorben, andere aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden.

Von Beginn an war Dieter „vor und nach der Probe der beste Freund, während der Probe aber die Respektsperson, wie heute noch“, erzählt Kassier Prechtel. Als exakter Chorleiter wollte Schmerler stets das Beste herausholen, ließ jeden Spieler einzeln vorspielen. Konsequent sei er gewesen, meist geduldig und stets gründlich auf die einstündige Probe vorbereitet. Akribisch notiere er auch heute noch jeden Einsatz, ob „Ständla“ oder Gottesdienst, auch was, wann, wo gespielt wurde. Den Computer braucht er dazu nicht, nur Bleistift und Papier. Und – bei aller Perfektion: Er stelle nie einen Spieler wegen eines falschen Tons bloß. „So, jetzt spiel mers noch amol“, sei vielmehr seine Reaktion.

Zurück zum Gründungsjahr, das am Heiligen Abend 1961 mit dem ersten Auftritt im Gottesdienst endete. Und zunächst mit Kichern von den Emporen begleitet wurde, als der erste Einsatz schief ging. Beim zweiten Versuch klappte es. Ein guter Anfang, der bald weitere junge Bläser nach sich zog. Schließlich gab es damals zur Freizeitbeschäftigung nur den Sportverein und die Feuerwehr.

1962 hatte der Chor bereits 22 öffentliche Auftritte bei kirchlichen und weltlichen Anlässen. Bemerkenswert, denn die jungen Burschen absolvierten eigentlich ihre Lehre. Sie lernten dennoch in kürzester Zeit, erinnert sich Arthur Schlee. Und Dieter Schmerler schaffte den Spagat zwischen Chorleitung und Ausbildung zum Mechaniker, wozu er — meist mit dem Fahrrad — nach Erlangen-Bruck fuhr. „A harter Hund“ sei er am Anfang sich und dem Chor gegenüber gewesen, hat Schlee in Erinnerung. Die Mitgliederzahl stieg konstant. Sogar der Bundeswehrdienst der jungen Bläser konnte den Aufschwung nicht stoppen. 2001, beim 40. Jubiläum, erreichte der Chor mit 49 Bläserinnen und Bläsern seine stärkste Besetzung. Aktuell zählt man 38 Mitglieder. Vor allem die Jungen verlassen den Chor wieder, aus beruflichen oder privaten Gründen.

1977 dagegen kamen allein acht junge Bläser, der Nachwuchschor wurde gegründet. 1984 spielte als erstes Mädchen Schmerlers Tochter Anja bei einem ökumenischen Gottesdienst mit. Die Ökumene, sie lag Dieter Schmerler bald am Herzen. Er achtete beim Nachwuchs nicht auf die Konfession, sondern auf die Leistung. Auch der Einsatzort spielte keine Rolle. Man blies zu besonderen Anlässen ebenso in einer katholischen Kirche. Wichtig war und ist Schmerler weiterhin die forcierte Jugendarbeit. Selbst wenn er zuweilen vielleicht etwas strenger ist als sein Stellvertreter Rudi Keim, der zu passender Zeit auch mal nach der Probe den Nikolaus gibt.

Musik ist sein Leben

© Repro: Ingrid Jungfer

Was dem Chor und seinem Leiter sonst noch am Herzen lag und liegt? 1978 in der Pausenhalle der Grundschule die professionelle Aufnahme ihrer einzigen Langspielplatte mit geistlicher wie Volksmusik und swingenden Melodien, das jährliche Frühjahrskonzert mit ähnlichem Programm, später ergänzt mit Egerländer Melodien, die Einsätze im Marktort zu allen Veranstaltungen im Jahreslauf, das Weihnachtsblasen in den Erlanger Kliniken, in Höchstadt, im Herzogenauracher Liebfrauenhaus. Die Teilnahme an Posaunentagen gehört dazu und natürlich die jährlichen Ausflüge, bei denen der Chor bereits halb Europa bereist hat.

Der Vollblutmusiker Dieter Schmerler, der meist mit der Trompete blasend dirigiert – bekannt als „Schmerler-Schleife“ — und den Chor auch per Mimik steuert, lässt für einen Urlaub sogar seinen Chor zurück – in der Obhut von Rudi Keim. Schmerler widmet sich dann gemeinsam mit Ehefrau Rosi dem Bergwandern. Er gilt als versierter Bergsteiger. Den Kilimandscharo hat er auch schon erklommen – und sich dabei vielleicht neue Inspirationen für seinen Chor geholt.

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