15. Dezember 1970: Kollekte für einen Kollegen

15.12.2020, 07:00 Uhr
15. Dezember 1970: Kollekte für einen Kollegen

© Polit

Drei der Haupttäter sitzen inzwischen in Haft. Einer von ihnen wurde erst vor wenigen Tagen an der südfranzösischen Riviera festgenommen. Vor mehreren Wochen kam die Polizei der weitverzweigten Bande erstmals durch die Sicherstellung eines bereits umfrisierten und zum Verkauf angebotenen Diebesautos auf die Spur (wir berichteten darüber). Ein in München gestohlener Wagen vom Typ BMW 2500 war umgespritzt und mit der Fahrgestellnummer eines Unfallwagens versehen worden. Mit den Papieren eben dieses Unfallwagens sollte das Fahrzeug für 10.000 DM verkauft werden.

Drei Männer taten sich beim Umfrisieren in eigenen Werkstätten besonders hervor: Andreas S. (30), Volkmar D. (26) – beide geschieden und Vater von zwei Kindern – sowie Roland R. (30), noch verheiratet und Vater von drei Kindern. Anfangs betrieb das Trio gemeinsam eine Umschlagstelle für gebrauchte Personenwagen, bis das Geschäft mit Diebesgut so gut lief, daß man sich trennte. Jeder eröffnete eine eigene Werkstatt.

Volkmar D. entwickelte sich schon bald zu einem Meister seines Faches. Seine Arbeit war so gut, daß er selbst einen Fürther Polizeibeamten täuschte und ihm einen gestohlenen, umfrisierten Ford 20 M verkaufte, der Monate zuvor in München gestohlen worden war. Ende letzter Woche wurde das bisher letzte Fahrzeug aus dieser Serie bei einem Nürnberger Speditionskaufmann sichergestellt: ein Mercedes 190 D, den Volkmar D. dem Kaufmann für 4000 DM überlassen hatte.

Überhaupt hatte sich diePraxis eingebürgert, daß man gestohlene Autos in Nürnberg von einer 32köpfigen Bande aus München „importierte“ und dafür Diebeswagen aus Nürnberg zum Umfrisieren und zum Verkauf nach München schaffte. Als die Kriminalpolizei ihre ersten Ermittlungen anstellte, setzte sich Volkmar D. zusammen mit seiner Freundin nach Griechenland ab, nachdem er noch seinem Kumpel Roland R. von dessen Standplatz zwei Gebrauchtwagen gestohlen hatte, um sie für die Reisekasse flüssig zu machen. Seither ist Volkmar D. verschwunden.

Das einzige Lebenszeichen: vor einigen Tagen schrieb er an die Kripo einen Entschuldigungsbrief: „Ich kann mich, sehr geehrte Herren, aus verständlichen Gründen vorerst nicht bei Ihnen melden.“

Nachdem ein früherer Arbeiter von Volkmar D. die Werkstatt übernommen hatte, schloß auch Andreas S. seine Pforten und tauchte unter.

Roland R. spezialisierte sich mehr auf das Herbeischaffen von Autos, die er fachmännisch knackte, nicht nur in Nürnberg. Er half auch seinen Kollegen in München mit seinen Erfahrungen aus. Seine Vorliebe galt Mercedes-Wagen vom Typ 250 aufwärts sowie BMW 2000 und BMW 2002.

Als er eines Tages einen 200 D von München „geliefert“ bekam, legte er auch noch seinen besten Freund aufs Kreuz: Kessety D. (29) aus Fürth, der vom lohnenden Nebenverdienst seines Kumpels nichts wußte. Roland R, bot ihm den Mercedes zuerst für 11 000 DM, später für 10 500 DM an. („Du bist doch mein Freund. An Dir will ich nichts verdienen.“) Kessety D. gab seinen Opel Diplomat für 4000 DM in Zahlung und erhielt nachdem er Roland D. über ein Kreditinstitut den Differenz-Betrag gezahlt hatte, den Mercedes. Lange konnte er sich des Wagens nicht erfreuen. Wenige Wochen später stellte die Kripo den gestohlenen Wagen sicher, und Kessety D. war sauer.

33.000-DM-Porsche verschwunden

Inzwischen wurde Roland R., der seinen Sommerurlaub mit einem in München gestohlenen 10 000-DM-Motorboot in Bibione verbracht hatte, festgenommen und in Haft gesetzt. Sichergestellt wurden auch seine zwei Luxuswagen, mit denen er privat durch die Lande fuhr: ein Porsche 911 und ein Mercedes 280. Roland R. bestritt, etwas mit Autodiebstählen zu tun zu haben. Seinen aufwendigen Lebenswandel – er fuhr Autorennen und war zuletzt dabei, den Flugschein zu machen – habe er mit seinen reellen Werkstatteinkünften finanziert, bei einem Jahresumsatz von 100.000 DM.

Der Vierte im Bunde ist eine markante Erscheinung aus der Ottostraße, seines Zeichens Kellner: Erich N. (30). Auch er sprach dem high life zu. Hierzu bezog er als Beschützer von Liebesdienerinnen sein geregeltes Salär, das es ihm gestattete, sich im eigenen Mercedes 600 von einem Chauffeur durch die Lande fahren zu lassen.

Er ritt nebenher eine andere Tour, mit Autos Geld zu machen: er ließ seinen nagelneuen 33.000-Mark-Porsche bei einem Besuch in Hamburg einfach verschwinden, um ihn als gestohlen zu melden und die Versicherungs-Prämie zu kassieren. Dann wurde – wie die Kripo vermutet – der Wagen umfrisiert und für teures Geld verkauft.

Auf die gleiche Weise war vor einigen Monaten bereits ein 35.000-DM-Porsche kurz nach dem Kauf verschwunden. Die Besitzerin, die Liebesdienerin Edith Z. (35), Mutter von vier Kindern, erstattete Vermißtenanzeige. Etwa zur gleichen Zeit erstattete ein Zuhälter von der Ottostraße Diebstahlanzeige: sein nagelneuer Porsche sei gestohlen worden.

Dieses Fahrzeug wurde mit ausgeschlachtetem Motor in München sichergestellt. bevor er umfrisiert werden konnte. Der Werkstatt-Besitzer Emil Sch. (28) wurde festgenommen. Ähnliche fingierte Diebstähle teurer Superautos aus Zuhälterkreisen meldet auch die Polizei in Frankfurt und München.

Erich N., der sonst mit Geld um sich wirft, wurde jetzt ein Augenblick der Sparsamkeit zum Verhängnis: in einem kleinen Ort bei Nizza wollte er aus einer Garage den Porsche von Edith Z. abholen, der dort seit dem Verschwinden in Nürnberg Mitte Juni abgestellt war. Er versuchte, mit dem Wagen abzuhauen, ohne die Standgebühren zu zahlen. Der Besitzer verständigte die Polizei, die Erich N. festsetzte.

Die Kunde drang schnell nach Nürnberg, wo seine Kollegen in der Ottostraße für ihn eine „Kollekte“ veranstalteten, um ihm über einen nahmhaften Nürnberger Anwalt aus der Klemme zu helfen. Bei der Sammlung spendeten die Ganoven Einzelbeträge bis zu 1.000 DM.

Noch steht nicht fest ob Erich N. in Frankreich verurteilt oder gleich nach Nürnberg abgeschoben wird. Immerhin laufen gegen ihn noch Ermittlungen wegen versuchten Raubes, Körperverletzung, eines versuchten Juwelier-Geschäfts-Einbruchs vor einem Jahr in Fürth und neuerdings wegen Versicherungsbetruges.

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