1972: Geschäft mit Täschchenwinken

2.6.2012, 14:04 Uhr
Amtlich untersagt: der "wilde" Strich an der Regensburger und der Breslauer Straße im Jahr 1971.    

© Barth Amtlich untersagt: der "wilde" Strich an der Regensburger und der Breslauer Straße im Jahr 1971.   

Das war dringend nötig, denn entlang der Wodanstraße im Nibelungenviertel florierte jahrelang die Straßenprostitution. Frauen und Mädchen, die nicht von Freiern blöd angequatscht und nach ihrem Preis gefragt werden wollten, taten gut daran, die eindeutigen Kennzeichen der Huren zu vermeiden. Mitunter konnte es aber auch passieren, dass sich eine Prostituierte gegen vermeintliche Konkurrenz zur Wehr setzte: „Verpiss dich, das ist mein Revier“, wurde manche Anwohnerin angeschnauzt, die auf dem Bürgersteig eigentlich nur auf ihren Mann wartete. Auf ihren eigenen, wohlgemerkt.

Verwechslungen konnten schon mal vorkommen, selbst wenn sich jemand nicht, so wie es im Strafgesetzbuch beschrieben war, besonders auffällig verhielt und damit „ein Angebot zur Unzucht“ machte. „Was heißt heute schon ,auffälliges Benehmen‘“, fragten auch die NN schon im Jahre 1967: „Wenn schon ehrbare Damen mit Minirock und gestelzten Absätzen durch die Straßen flanieren, wo beginnt da die Auffälligkeit und wo endet sie?“

Das „Geschäft mit Täschchenwinken“, wie es die Nürnberger Nachrichten beschrieben, sorgte für Unruhe in der Südstadt. „Die Gunstgewerblerinnen haben das gutbürgerliche Wohngebiet zur Strichgegend herabgewürdigt“, sagte ein Polizeisprecher.

Starker Zulauf

Eine Handhabe gegen die Prostitution gab es kaum. Die Beamten beschwerten sich über unzureichende gesetzliche Grundlagen, die sie zur Untätigkeit verurteilten. Die „Gunstgewerblerinnen“ konnten unbehelligt ihren Geschäften nachgehen; gleichzeitig nahm eine immer größere Zahl von Männern die Liebesdienste in Anspruch. „Das Geschäft florierte wie an kaum einer anderen Stelle der Stadt“, hieß es in einem Zeitungsbericht.

Der starke Zulauf in der Wodanstraße hatte auch damit zu tun, dass erst kurz zuvor die Prostituierten von ihrem angestammten Strich an der Breslauer und Regensburger Straße vertrieben worden waren. Zwar boten einige von ihnen ihre Dienste einfach jenseits der Stadtgrenze am Zollhaus an. „Nicht selten stehen wartende Freier am Rande der Straße Schlange“, hatte der NN-Autor beobachtet. Aber auch im Nibelungenviertel „war zuletzt die Nachfrage größer als das Angebot“.

Die Verwaltung wollte diesem „Dirnen-Unwesen“ endlich einen Riegel vorschieben. Die „wilden Dirnen“, wie die Straßen-Huren im Gegensatz zu ihren professionellen Kolleginnen an der Frauentormauer genannt wurden, „stehen vor harten Zeiten“, prophezeite die Zeitung. Denn der Sperrbezirk, in dem Straßenprostitution verboten war, werde ausgeweitet.

Seit 1961 erstreckte sich der Sperrbezirk nur auf die Altstadt (mit Ausnahme der Frauentormauer, Deutschlands ältestem Rotlichtbezirk), die Gegend um Hauptbahnhof und Plärrer sowie auf Personenbahnhöfe und Bahnhofsvorplätze. Mit der Erweiterung im Jahr 1972 kamen nun noch das Bleiweißviertel und Gleißhammer hinzu — und damit eben auch das Nibelungenviertel. Von der Maßnahme hofften auch die professionellen Liebesdienerinnen an der Frauentormauer zu profitieren, „die schon seit langem über Kundenrückgang klagen“, notierten die NN.

Doch die Wirkung blieb hinter den Erwartungen weit zurück, denn die Prostituierten vom Straßenstrich nahmen die Geldstrafen bis zu 500 Mark offenbar in Kauf. Außerdem hatte die Polizei allzu oft das Problem, dass sie die Prostitution nicht einwandfrei nachweisen konnte. Dazu brauchte man den Freier — und der hielt in aller Regel, schon um einen Skandal zu vermeiden, den Mund.

So kam es bis in die 90er Jahre immer wieder zu Festnahmen. Im Jahr 1975 etwa nahm die Polizei nach zweiwöchiger Ermittlung auf einen Schlag 41 Frauen im Alter zwischen 16 und 53 Jahren fest.

Heute spielt der Straßenstrich an der Wodanstraße oder anderswo im Stadtgebiet keine Rolle mehr, versichert das Nürnberger Ordnungsamt. Laut Sperrbezirksverordnung ist die Prostitution auf allen Straßen und öffentlichen Plätzen verboten, und dieses Verbot werde auch eingehalten. Und Anwohnerinnen müssen nicht mehr befürchten, dass ihnen jemand ein unsittliches Angebot macht, nur weil sie eine Handtasche in der Hand tragen.

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