25. Dezember 1970: Mehr Effekt als Eleganz

25.12.2020, 07:00 Uhr
25. Dezember 1970: Mehr Effekt als Eleganz

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Ein Leckerbissen mußte dieser Stoff für den genialen Jacques Offenbach sein, der vom Heldenpathos der Großen Oper angewidert war, der darauf versessen war, Götter und Abgötter von ihren Sockeln in die Niederungen komischer Trivialitäten herabzustoßen und sich von seinen Librettisten Meilhac und Halevy einen Text schreiben ließ, der den Großen seiner Zeit wie ätzende Lauge ins fade Gesicht spritzte.

Seine ironisch funkelnde Erfolgsoperette wiederum mußte den begabtesten deutschen Dramatiker der jüngeren Generation reizen, mit einer Bearbeitung die Geschichte noch geistvoller, poetischer zu machen und die Dialoge in den Vordergrund zu rücken; und so baute Peter Hacks die Dialoge zu einer „Operette für Schauspieler“ aus, vermied alles Burleske, reduzierte das Musikalische und arbeitete mit dem gleichen Gespür für das Sensitive an griechischen Mythen, das er in seinem „Amphitryon“ zeigt. Die Hacks-Bearbeitung (1964) ist Schauspiel, Operette, Musical und Revue in einem und dabei von brillanter, doch leiserer Komik als bei Offenbach.

25. Dezember 1970: Mehr Effekt als Eleganz

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Dieses schillernde Stück halb kulinarischen, halb dialektischen Theaters fordert jeden Regisseur, der einen Nerv für diese Dinge hat, heraus. Günther Büch, vor Jahren mit der westdeutschen Erstaufführung in Oberhausen recht erfolgreich, setzte auf sein Vermögen, gerade in einem solchen komplexen Genre das Schwierige leicht zu servieren, aber das scheinbar Schwerelose ging ihm und seinem umfangreichen Ensemble keineswegs so elegant und selbstverständlich von der Hand.

Die zwiefach gebrochene Ironie des Peter Hacks hatte längst nicht jenen fleckenlosen Glanz, daß diese Inszenierung eine ungetrübte Freude war. Der starke Beifall, der mit Bravo- und Buhrufen angefeuert wurde, besagt noch nicht, daß diese Aufführung sich auf dem Niveau bewegt, das Hacks sich vorgestellt hat.

Denn Büch gelang es nur zum Teil, die verschiedenen Elemente zum einheitlichen Ganzen zu verschmelzen; nur äußerst selten herrscht jene Grazie, die nach Hacks in dieser Welt „voll Sonne, Eleganz und Naivität“ waltet. Dabei wurde auch keineswegs immer die ironische Distanz zur Operette gewahrt: das große Liebesduett zwischen Helena und Paris zum Beispiel bekommt die penetrante Süße einer Zuckerstange und bleibt bar aller parodistischen Färbung.

Eleganz und Naivität, diese beiden Dinge souverän zu vereinen, ist Titeldarstellerin Astrid Jacob weit überfordert. Ihre Helena hat nichts von der verderbten Unschuld, mit der die Zeustochter die Männer genauso hörig macht wie mit ihrer Schönheit; diese Helena giert nach Effekt und setzt auf die Mittel des Revuestars: prononcierter Sex, wo es gerade die Faszination dieses Geschöpfes ausmacht, daß es sich seiner erotischen Ausstrahlung nur halb bewußt ist. Ihr Partner Jan Maeder mimt laienhaft den hübschen Jungen, der dieser Paris zwar in erster Linie ist, aber genau wie Helena die Inkarnation des Erotischen sein sollte.

Waren diese zentralen Gestalten also zu aufgesetzt oder zu blaß, so sah es auf der komödiantischen Seite weit besser aus. Vor allem mit Jürgen Cziesla als Menelaos, aber auch mit Erich Ude als Agamemnon und Arno E. Hausch als Achill waren die unheldischen Helden ausgezeichnet besetzt.

Gerade mit der Unaufdringlichkeit und der gedrosselten Komödiantik, mit der Cziesla den Hahnrei spielte, gab er dem Menelaos jene überzeugenden Nuancen verhaltener, fast treuherziger Komik, die das Lächerliche nicht in die Posse abrutschen läßt. Udes „König der Könige“ ist ein metallisch dröhnender, das hohle Pathos entlarvender Agamemnon, dumm und bieder, doch nicht ohne einen letzten Rest von Würde.

Büch hatte sich von Günter Kupfer Bühnenbilder bauen lassen, die Offenbachs Empire-Plüsch weit hinter sich ließen und sich auf Andeutungen im kühlweißen Popstil beschränkten. Der Zeustempel ist eine Mischung aus Riesenphallus und Säule, Helenas Liebeslager wird geziert von zwei pompösen Brüsten, Jupiters Olymp, den Hacks noch als Marmorfelsen sieht, ist hier zum dampfenden Misthaufen geworden, auf dem der göttlichste aller Gockel (Horst Breitenfeld) thront; Merkur (Hans-Joachim Paulmann) fährt mit Rollschuhen auf die Szene; ein gehäkelter Zwischenvorhang trennt Vorder- und Hinterbühne, wodurch die Verwandlung der Szenen pausenlos geschehen kann. Von hoher Empore kommentiert ein Sprecher (Dietmar Mues) mit den ausführlichen Regieanweisungen von Hacks das Geschehen.

Kein reines Vergnügen

Allerhand diskutable Einfälle, und doch wurde diese Aufführung kein reines Vergnügen. Das lag nicht so sehr an den einzelnen Darstellern – unter denen Kurt Mejstrik als Jupiter-Priester Kalchas, Marion Schweizer als Venus, Hildegard Krost als Minerva, Michael Holm als Orest, Ulla Willick als Galatea keine üble Figur abgaben –, das lag vielmehr vor allem an merklichen Niveauschwankungen und an der mangelnden Brillanz in den Tanzszenen und den Massenszenen.

Denn so gut Choreograph Georges Lais auch mit einigen profilierten Darstellern arbeiten konnte, zuweilen haperte es doch beträchtlich an der Präzision – und Präzisionsschwächen bedeuten noch längst keine Parodie.

Büch setzte für seine bombastisch gemeinte Schau an Mitteln ein, was ihm zu Gebote stand, aber dieses Stück ist ein kleiner Olymp für jeden Regisseur, und Büch blieb auf halber Höhe stecken.

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