Alkoholsucht bei Frauen: Eine Nürnbergerin erzählt

11.3.2018, 05:49 Uhr
Wegen des gesellschaftlichen Drucks greifen Frauen oft heimlich zur Flasche.

© colourbox.com Wegen des gesellschaftlichen Drucks greifen Frauen oft heimlich zur Flasche.

Sophie V. ist 71 Jahre alt. Doch erst seit dem 50. Lebensjahr lebt sie. Seitdem ist sie trocken. Der NZ erzählt die flippige Frau mit den kurz geschorenen grauen Haaren, die eigentlich anders heißt, von ihrer "chronischen Krankheit".

Mit zwölf Jahren fing alles an. Sie schnappte sich Bier aus dem Kasten, der für die Erwachsenen beim Umzug bereitstand. Trotz ihres Alters merkte Sophie V. sofort, welche Vorzüge Alkohol bietet. Dass er Flucht bedeutete, dass er sie die Gewalt des autoritären Vaters vergessen machte. Heute sagt sie: "Endlich hatte ich etwas gefunden, das mich aus diesem beschissenen Leben entfliehen ließ."

Alkoholpausen in der Schwangerschaft

Also trank sie weiter. Viel. Über Jahrzehnte hinweg. Erst Bier, dann Apfelwein, dann hartes Zeug. So dass sie morgens oft nicht mehr wusste, wie sie abends ins Bett gekommen war. Nur während der Schwangerschaften und des Stillens legte sie Alkoholpausen ein, sagt Sophie V. Für ihre zwei Kinder konnte sie stark sein - eine Zeit lang. Ein Alkoholiker könne aber erst aufhören, wenn er es um seiner selbst willen tut.

Wie konnte Sophie V. damit durchkommen? Hat es niemand gemerkt, dass sie unter Alkoholeinfluss stand? Außenstehenden falle es oft schwer, das zu glauben, weiß Sozialpädadogin Cornelia Schmitt vom Beratungszentrum im Christine-Kreller-Haus. "Jemanden mit Sucht zu konfrontieren, ist aber ein hochschwieriges Unterfangen." Das bedeute Konflikt. Außerdem setzten Abhängige alles daran, die Sucht zu verheimlichen.

Griff zur Flasche

"Ich war äußerlich immer gut drauf. Innerlich habe ich mich nicht leiden können", erklärt Sophie V. Nach außen hätte sie immer funktioniert. Das sei typisch für weibliche Alkoholkranke. Männer dürften dagegen auch mal ausfällig werden - ohne, dass sie schief angeschaut würden.

Sophie V. arbeitete damals Vollzeit, im sozialen Bereich. Später immer mehr im Außendienst: Da konnte sie unbeobachtet zur Flasche greifen. Auch ihr Ex-Mann, mit dem sie fast 20 Jahre verheiratet war, sprach das Thema nie an. Nur ihre Kinder konfrontierten sie und sagten Sachen wie: "Mama, du stinkst!" Sie stritt es ab, stellte deren Wahrnehmung infrage, antwortete Sachen wie: "Wie kommst du darauf? Das stimmt nicht!" Das tue ihr heute besonders leid.

Angst vor dem Tod

Irgendwann, als ihre Sucht stark fortgeschritten war, stand Sophie V. vor der Entscheidung: leben oder sterben. Diese Erkenntnis traf sie plötzlich, nachts. Zum ersten Mal im Leben - im Alter von 47 Jahren - war es ihr ernst mit dem Aufhören. Die Anonymen Alkoholiker und ein Klinikaufenthalt halfen ihr dabei – freilich nicht ohne Rückfälle.

Seitdem komme endlich ihr eigentliches Wesen zum Vorschein, sagt sie. Vorher war es überschattet von Selbstbetrug, Lügen und Betäubtheit. Doch die Krankheit bleibt ein Leben lang. Keine Praline mit Schuss, kein Schlückchen Sekt zum Anstoßen - sonst werde sie wieder rückfällig, ist sie sich sicher. Die Natur ist ihr Anker. Läuft es mal nicht, geht sie an die Pegnitz. "Spirit verdrängt Spiritus", sagt Sophie V.

Gesellschaftlicher Druck

Heute betreut sie die Selbsthilfegruppen der Stadtmission. "Das ist mein sicherer Hafen." Da die Gruppe ausschließlich weiblich ist, können die Teilnehmerinnen offen über alles reden, was sie bewegt - auch über die (sexuellen) Gewalterfahrungen, die viele in die Sucht trieben.

Frauen sind zunehmend von Alkoholsucht betroffen. Das habe mit dem gesellschaftlichen Druck zu tun, erklärt Tabea Bozada, die Pressesprecherin der Stadtmission. Von Frauen werde erwartet, dass sie funktionieren: in ihrer Rolle als glückliche Mutter und im Job. Da helfen manchen zwei, drei Wein zur Entspannung am Abend. "Frauen konsumieren diskret. Sie konsumieren, um zu funktionieren, um ihre Rollen weiter am Laufen zu halten." Und wen stört schon, wenn eine Frau auf Feiern ein Gläschen Prosecco in der Hand hält? Niemand weiß ja, dass es schon das fünfte oder sechste Glas ist.

Mehr Infos für Frauen und Männer und Angehörige gibt es anonym unter Tel. 37 65 42 00 oder im Internet unter www.stadtmission-nuernberg.de

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